Zwang in der Heimerziehung? - INIB - Institut für Innovation und ...
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Mathias Schwabe <strong>und</strong> David Vust<br />
häufig von Vorteil, die erregte Situation <strong>für</strong> den Moment beenden zu können,<br />
um sie später weiter zu bearbeiten. Das K<strong>in</strong>d <strong>und</strong> auch man selbst<br />
braucht e<strong>in</strong>e Auszeit, e<strong>in</strong>en Moment <strong>der</strong> Ruhe <strong>und</strong> des Nachdenkens. Dazu<br />
kann man das K<strong>in</strong>d wegschicken o<strong>der</strong> selbst weggehen. Da man als<br />
Pädagoge e<strong>in</strong>e Art Hausrecht besitzt <strong>und</strong> häufig auch noch <strong>für</strong> an<strong>der</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
verfügbar bleiben muss, ist es nicht selten das K<strong>in</strong>d bzw. <strong>der</strong> Jugendliche,<br />
das/<strong>der</strong> weggehen muss: <strong>in</strong> das eigene Zimmer, vor die Tür an die<br />
frische Luft o<strong>der</strong> auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en speziellen Raum, <strong>in</strong> dem z. B. e<strong>in</strong> Boxsack<br />
hängt o<strong>der</strong> weiche Matten liegen, an denen er se<strong>in</strong>e Wut ausagieren kann.<br />
Für be<strong>in</strong>ahe jede Person gibt es e<strong>in</strong>en solchen, geeigneten <strong>und</strong> akzeptablen<br />
Ort, an dem sie sich beruhigen kann. Manchmal wird dieser Ort selbst gewählt<br />
<strong>und</strong> angesteuert, manchmal bekommt man ihn zugewiesen. Klar ist,<br />
dass dies bei Jugendlichen an<strong>der</strong>s geregelt werden muss als bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />
Häufig geht es aber auch um gravierende Vorfälle: E<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> Jugendlicher<br />
hat e<strong>in</strong>en Pädagogen geschlagen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es K<strong>in</strong>d angegriffen.<br />
Jemand wurde physisch o<strong>der</strong> psychisch verletzt, die <strong>in</strong>stitutionellen<br />
Regeln wurden gebrochen (Schwabe 2001c). Auch <strong>in</strong> solchen<br />
Situationen – vor allem im Wie<strong>der</strong>holungsfall – kann es s<strong>in</strong>nvoll se<strong>in</strong>, dem<br />
Täter e<strong>in</strong>e Auszeit zu verordnen: Man kann ihn, wenn das vom Familienkontext<br />
her möglich ist <strong>und</strong> vorher abgesprochen wurde, <strong>für</strong> zwei o<strong>der</strong><br />
drei Tage nach Hause schicken; man kann ihn <strong>für</strong> die gleiche Dauer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />
an<strong>der</strong>e Heimgruppe verlegen, sich mit ihm auf e<strong>in</strong>e mehrtägige Pflicht-<br />
Wan<strong>der</strong>ung begeben o<strong>der</strong> ältere K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit mehr o<strong>der</strong> weniger Betreuungs<strong>in</strong>tensität<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Jugendherberge unterbr<strong>in</strong>gen. Wichtig ist, dass die<br />
Eskalations- <strong>und</strong> Gewaltdynamik vor Ort unterbrochen wird <strong>und</strong> das<br />
Opfer erst e<strong>in</strong>mal zur Ruhe kommen kann, ohne direkt mit dem Täter<br />
konfrontiert zu se<strong>in</strong>. Genau so wichtig ist aber auch, dass <strong>der</strong> Aggressor<br />
die Möglichkeit erhält, über den Vorfall nachzudenken, um so etwas wie<br />
Reue o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Wie<strong>der</strong>gutmachungsimpuls zu spüren. Mit <strong>der</strong> Auszeit ist<br />
ebenfalls die Idee verb<strong>und</strong>en, dass <strong>der</strong> Täter bzw. die Restgruppe e<strong>in</strong> klares<br />
Signal erhalten soll nach dem Motto: „Gewalttaten dulden wir hier<br />
nicht! Wer so etwas tut, wird erst e<strong>in</strong>mal ausgeschlossen“. E<strong>in</strong>e solche<br />
zeitlich befristete Auszeit ist allerd<strong>in</strong>gs nur dann s<strong>in</strong>nvoll, wenn sie auch<br />
genutzt wird. Der gewaltsame Zwischenfall muss <strong>in</strong> diesen Tagen geklärt<br />
<strong>und</strong> aufgearbeitet werden. Art <strong>und</strong> Umfang e<strong>in</strong>er Wie<strong>der</strong>gutmachung s<strong>in</strong>d<br />
festzulegen. Dazu s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel verschiedene Gespräche <strong>und</strong> Abmachungen<br />
nötig. Manchmal müssen dabei Eltern <strong>und</strong> Jugendamt o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />
Außenstehende mit e<strong>in</strong>bezogen werden, damit es nach <strong>der</strong> Auszeit zu<br />
e<strong>in</strong>em geordneten Neuanfang kommen kann.<br />
Geeignete Formen von Auszeiten <strong>und</strong> mögliche, rasch zugängliche<br />
Auszeiträume <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weiten S<strong>in</strong>ne braucht demnach jede Heimgruppe.<br />
Sie bieten bedeutsame Möglichkeiten <strong>der</strong> Grenzsetzung <strong>und</strong> sollten deshalb<br />
gut ausgearbeitete <strong>und</strong> auch praktisch funktionierende Teile <strong>der</strong> eige-