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Zwang in der Heimerziehung? - INIB - Institut für Innovation und ...

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<strong>Zwang</strong> im Rahmen von Hilfeprozessen<br />

<strong>der</strong> Wechselseitigkeit bestimmt. Dennoch kann es „passieren“, dass Eltern<br />

<strong>in</strong> bestimmten Situationen zum Mittel des <strong>Zwang</strong>s greifen (s. auch Kap. 2):<br />

Beispielsweise hält die Mutter o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Vater e<strong>in</strong> wütendes <strong>und</strong> wild<br />

strampelndes K<strong>in</strong>d im Supermarkt fest, nachdem er/sie diesem e<strong>in</strong>en Schokoladenriegel<br />

aus <strong>der</strong> Hand entw<strong>und</strong>en hat, den das K<strong>in</strong>d unbed<strong>in</strong>gt wollte,<br />

aber nicht bekommen sollte <strong>und</strong> schließlich eigenmächtig ergriffen hat.<br />

Das K<strong>in</strong>d kann <strong>in</strong> dieser Situation mit dem Mittel von körperlichem<br />

<strong>Zwang</strong> <strong>in</strong> mehrfacher H<strong>in</strong>sicht an <strong>der</strong> Ausübung se<strong>in</strong>es Willens geh<strong>in</strong><strong>der</strong>t<br />

werden: das erste Mal, als ihm <strong>der</strong> schon ergriffene Riegel wie<strong>der</strong> abgenommen<br />

wird, das zweite Mal, als es auf diese E<strong>in</strong>schränkung h<strong>in</strong> weglaufen<br />

möchte o<strong>der</strong> nach dem Elternteil treten will <strong>und</strong> dieser es mit Hilfe<br />

se<strong>in</strong>er körperlichen Überlegenheit daran h<strong>in</strong><strong>der</strong>t. So dramatisch die Ausübung<br />

von physischem <strong>Zwang</strong> vom K<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> se<strong>in</strong>en Eltern <strong>in</strong> diesem<br />

Moment erlebt worden se<strong>in</strong> mag, so leicht ist es an<strong>der</strong>erseits möglich, dass<br />

<strong>der</strong> betroffene Elternteil am Nachmittag mit dem K<strong>in</strong>d spielt o<strong>der</strong> sich bei<br />

e<strong>in</strong>em später am Tag erfolgenden Spaziergang im Rahmen e<strong>in</strong>es an<strong>der</strong>en<br />

Konfliktes mit dem K<strong>in</strong>d auf e<strong>in</strong>en Kompromiss e<strong>in</strong>lässt.<br />

E<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e <strong>Zwang</strong>sform würde dar<strong>in</strong> bestehen, dass die Eltern e<strong>in</strong>er<br />

3-Jährigen den Spielplatz verlassen, nachdem sie das Mädchen e<strong>in</strong>ige Male<br />

aufgefor<strong>der</strong>t haben, mit ihnen mit zu kommen. Sofern das Mädchen das<br />

Weggehen <strong>der</strong> Eltern als e<strong>in</strong>e unmittelbar drohende Gefahr ansieht, alle<strong>in</strong>e<br />

<strong>und</strong> schutzlos auf dem Platz zurückzubleiben, handelt es sich um die<br />

Anwendung von <strong>Zwang</strong>. Was dem Mädchen <strong>in</strong> diesem Moment <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

<strong>in</strong>neren Erleben wi<strong>der</strong>fährt, ist die unmittelbar drohende Möglichkeit,<br />

verlassen zu werden, bzw. die Preisgabe an e<strong>in</strong>e elternlose Welt ohne<br />

Schutz <strong>und</strong> Orientierung. Auch wenn die Eltern ihm nur vor Augen<br />

führen wollen, dass sie nicht bereit s<strong>in</strong>d, das K<strong>in</strong>d über ihre Zeit bzw. Präsenz<br />

bestimmen zu lassen, so berühren sie mit ihrer Aktion – willentlich<br />

o<strong>der</strong> nicht – existenzielle Ängste. In vielen Fällen s<strong>in</strong>d diese irrational: die<br />

Eltern würden ihr K<strong>in</strong>d niemals dauerhaft verlassen, aber im Moment ihres<br />

demonstrativen Weggangs machen die Eltern nichts, um den irrationalen<br />

Charakter dieser Angst aufzuklären. Auch sie fühlen sich <strong>in</strong> existenzieller<br />

Weise von <strong>der</strong> Weigerung des K<strong>in</strong>des betroffen: Sie haben es lange<br />

im Guten versucht; jetzt s<strong>in</strong>d sie am Ende mit ihren Möglichkeiten. Sie<br />

fühlen e<strong>in</strong>e Mischung aus Wut <strong>und</strong> Ratlosigkeit. Sie möchten nicht den<br />

Willen ihres K<strong>in</strong>des brechen, aber sie wollen sich ihm auch nicht unterwerfen.<br />

Sie hoffen noch immer, dass das Mädchen angesichts des von ihm<br />

selbst <strong>für</strong> möglich gehaltenen Verlustes se<strong>in</strong>er Eltern e<strong>in</strong>lenken <strong>und</strong> ihnen<br />

nachlaufen wird. Das K<strong>in</strong>d br<strong>in</strong>gt die Eltern mit se<strong>in</strong>er Verweigerung an<br />

ihre Grenzen, aber auch sie br<strong>in</strong>gen mit ihrem Weggehen das K<strong>in</strong>d an die<br />

Grenzen dessen, was es aushalten kann. Solche Grenzerfahrungen gehören<br />

zum Prozess <strong>der</strong> Erziehung mit dazu (Kron-Klees 1998).<br />

Sicher gibt es Eltern, die zu viel Gehorsam von ihren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n verlan-<br />

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