Zwang in der Heimerziehung? - INIB - Institut für Innovation und ...
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Geleitwort<br />
Mathias Schwabe ist e<strong>in</strong> mutiger Mann. Ich b<strong>in</strong> mit se<strong>in</strong>em Buch nicht<br />
<strong>in</strong> allem e<strong>in</strong>verstanden. Aber ich bewun<strong>der</strong>e, wie er es wagt, Worte wie<br />
<strong>Zwang</strong> als Bestandteil von <strong>Heimerziehung</strong> auszusprechen, statt ausschließlich<br />
von Hilfen, Dienstleistungen <strong>und</strong> Freiwilligkeit zu reden. Mut<br />
braucht das, weil er damit zwangsläufig riskiert, missverstanden zu werden.<br />
E<strong>in</strong>erseits von denen, die denken: „Endlich sagt mal e<strong>in</strong>er, dass man<br />
nicht so zimperlich se<strong>in</strong>, son<strong>der</strong>n Diszipl<strong>in</strong> for<strong>der</strong>n soll <strong>und</strong> schon auch<br />
mal zulangen darf, wenn’s denn se<strong>in</strong> muss“. An<strong>der</strong>erseits von denen, die<br />
ihre Parteilichkeit <strong>für</strong> Klienten vor allem dann betonen, wenn sie persönliche<br />
Konfrontationen mit ihnen vermeiden können.<br />
Je<strong>der</strong> weiß zwar, dass öffentliche Ersatzerziehung immer auch <strong>und</strong> oft<br />
mit K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen zu tun hat, die Gewalt – erlittene <strong>und</strong> praktizierte<br />
Gewalt, strukturelle <strong>und</strong> manifeste Gewalt – als „normalen“ Teil<br />
ihres Lebens erfahren haben. Sie verhalten sich entsprechend <strong>und</strong> erwarten<br />
Entsprechendes. Alle wissen auch, dass es oft nicht leicht <strong>und</strong> manchmal<br />
unmöglich ist, solchen Erfahrungen <strong>der</strong> Gewalt <strong>und</strong> Gegengewalt e<strong>in</strong>e<br />
an<strong>der</strong>e Wirklichkeit gegenüberzustellen: Also auf glaubwürdige <strong>und</strong> verlässliche<br />
Weise e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Welt zu verkörpern als jene Welt, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zuschlagen<br />
o<strong>der</strong> Sich-Entziehen die e<strong>in</strong>zigen Überlebensstrategien jenseits<br />
von bloßer Unterwerfung s<strong>in</strong>d. Schließlich wissen auch alle, dass auch die<br />
hilfewilligste Praxis <strong>der</strong> Jugendhilfe ihre Abschiebepraxis hat, wenn es <strong>in</strong><br />
Extremfällen zu den <strong>Zwang</strong>smitteln von K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendpsychiatrie<br />
o<strong>der</strong> Polizei <strong>und</strong> Justiz ke<strong>in</strong>e Alternative gibt.<br />
Dennoch herrscht nach wie vor fast e<strong>in</strong>helliger Konsens <strong>in</strong> <strong>der</strong> sozialpädagogischen<br />
Fachdebatte, über Freiheit e<strong>in</strong>schränkende Maßnahmen<br />
(geschlossene Unterbr<strong>in</strong>gung) o<strong>der</strong> gar über Mittel physischen <strong>Zwang</strong>es<br />
(womit natürlich nicht Körperstrafen geme<strong>in</strong>t s<strong>in</strong>d), dürfe nur gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
ablehnend, aber nicht pragmatisch abwägend diskutiert werden. Die<br />
Diskrepanz zwischen jener Wirklichkeit <strong>und</strong> diesem Fachdiskurs muss sowohl<br />
<strong>für</strong> die PraktikerInnen als auch <strong>für</strong> die Jugendlichen selbst zunehmend<br />
als heuchlerisch wirken. Die wissenschaftliche Sozialpädagogik trägt<br />
viel dazu bei. Sie behandelt den <strong>Zwang</strong>sgebrauch aus Schwäche als zwar<br />
unprofessionell, aber verzeihlich, den <strong>Zwang</strong>sgebrauch mit fachlich verantworteter<br />
Begründung <strong>und</strong> Begrenzung dagegen als unverzeihlich. Die<br />
Diskussion <strong>der</strong> Juristen darüber, was das Gebot, „mil<strong>der</strong>e Mittel“ zu be-