Zwang in der Heimerziehung? - INIB - Institut für Innovation und ...
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Mathias Schwabe <strong>und</strong> Thomas Evers<br />
Se<strong>in</strong> Ziel ist <strong>der</strong> Wechsel <strong>in</strong>s Betreute Wohnen, e<strong>in</strong>er Wohnform, die mehr<br />
Freiheiten be<strong>in</strong>haltet, aber auch mehr Pflichten impliziert. Er sagt über das<br />
Punkteprogramm: „Ja. Ich kann das machen, wenn ich mich gut hier – also<br />
qualifiziere sozusagen“ (Karl, 38, 1. Befragung, 2004). Für sich selbst<br />
bilanziert er: „Ich b<strong>in</strong> ziemlich ruhig geworden <strong>und</strong> dann hab ich mich<br />
fleißig rangehalten.“<br />
Interviewer: „Fleißig rangehalten?“<br />
Karl: „Ja, ich hatte ke<strong>in</strong>en Bock runter zu fallen. Weil man, war ja auch<br />
schwer auf Stufe 4 zu kommen.“ (Karl, 1. Befragung, 2004)<br />
Pr<strong>in</strong>zipiell hat sich Karl auf das Programm e<strong>in</strong>gelassen. Er versteht sogar,<br />
dass es bei dem Punktesammeln nicht nur darum geht, sich an Ort <strong>und</strong><br />
Stelle gut zu benehmen, son<strong>der</strong>n dass dies e<strong>in</strong>em Ziel dient, dem Erwerb<br />
von Kompetenzen. Obwohl er sich bisher sehr erfolgreich <strong>in</strong> dem Programm<br />
(Stufe 4 = höchste Stufe) bewegt hat, erlebt er es als Teil e<strong>in</strong>er<br />
Machtstrategie, mit <strong>der</strong>en Hilfe die Erwachsenen das Verhalten <strong>der</strong> Jugendlichen<br />
kontrollieren wollen.<br />
Karl: „Weil die me<strong>in</strong>ten damit [mit dem Punkteprogramm], die könnten damit<br />
alles sagen, was wir hier machen <strong>und</strong> so `n Scheiß. Aber äh, wir f<strong>in</strong>den<br />
das aber Scheiße, was die mit uns machen [unverständlich], mal hier Big<br />
Boss spielen, aber s<strong>in</strong>d sie nicht!“<br />
Interviewer: „Mh, ihr seid hier die Bosse o<strong>der</strong> wer?“<br />
Karl: „Ke<strong>in</strong>er ist hier <strong>der</strong> Boss!“<br />
Interviewer: „Aber du hast das Gefühl, dass die denken, sie s<strong>in</strong>d <strong>der</strong> Boss?<br />
Lassen die euch das spüren?“<br />
Karl: „Ja, (. . .) immer Strafe, Punkte abziehen <strong>und</strong> so. Weil die me<strong>in</strong>ten, ja, sie<br />
kommen damit durch, aber die kommen damit nicht durch. Da machen<br />
auch die Jugendlichen nur den Larry.“<br />
Interviewer: „Was me<strong>in</strong>st du, machen da den Larry?“<br />
Karl: „Na, Stress!“ (Karl, 160–168, 1. Befragung, 2004)<br />
Für Karl sche<strong>in</strong>t das Punkteprogramm e<strong>in</strong>e Art Schachzug <strong>der</strong> Erwachsenen<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Machtkampf mit den Jugendlichen darzustellen. Mit ihm, so<br />
unterstellt er, denken die Erwachsenen, sie wären die „Bosse“. Die Art<br />
<strong>und</strong> Weise, wie die Erwachsenen das demonstrieren, provoziert die Jugendlichen.<br />
Sie fühlen sich aufgerufen, zu beweisen, dass dem nicht so ist<br />
<strong>und</strong> machen „Stress“. Auch wenn Karl e<strong>in</strong>e Person war, die sehr rasch auf<br />
die höchste Stufe mit den meisten Privilegien aufgestiegen ist <strong>und</strong> selbst<br />
kaum „Stress“ gemacht hat, sche<strong>in</strong>t er doch mit den an<strong>der</strong>en, weniger<br />
erfolgreichen Jugendlichen mitzufühlen. E<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er Jugendlicher (Paul,<br />
16 Jahre) stellt das Programm <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Art diagnostischen bzw. Test-Kontext: