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Zwang in der Heimerziehung? - INIB - Institut für Innovation und ...

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Mathias Schwabe <strong>und</strong> David Vust<br />

<strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung, die bald wie<strong>der</strong> aufgegeben werden musste. Ungünstig ist<br />

sicher auch die nicht e<strong>in</strong>deutige Beschreibung des konkreten Verhaltens,<br />

also was <strong>in</strong> den Raum führt <strong>und</strong> was nicht. Zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kl<strong>in</strong>ik differierten<br />

die Anlässe. Ganz offensichtlich ist es <strong>in</strong> diesem Fall aber e<strong>in</strong> Mangel<br />

an Fallverstehen, <strong>der</strong> sich be<strong>in</strong>ahe von Anfang an durchzieht: Die Art<br />

<strong>und</strong> Weise se<strong>in</strong>es aggressiven Agierens <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er H<strong>in</strong>tergründe sche<strong>in</strong>en<br />

unverstanden. Ebenso <strong>der</strong> Zusammenhang zwischen dem Übererregungs-<br />

Phänomen <strong>und</strong> den gezielten sadistischen Attacken. Was treibt den Jungen<br />

um? Wie kann man sich se<strong>in</strong> Seelenleben vorstellen? Geht es ihm <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Psychiatrie eher darum, sich als unbeugbar zu präsentieren o<strong>der</strong> lernt er,<br />

dem <strong>Zwang</strong> Vorteile welcher Art auch immer abzugew<strong>in</strong>nen? Manipuliert<br />

er se<strong>in</strong>e Umgebung mit den aggressiven Attacken o<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d sie Ausdruck<br />

se<strong>in</strong>er Sehnsucht nach e<strong>in</strong>er unzerstörbaren Umwelt? Wie kann man sich<br />

das Ine<strong>in</strong>an<strong>der</strong> von Fortschritten <strong>und</strong> Symptomverschärfungen nach se<strong>in</strong>er<br />

Rückkehr <strong>in</strong>s Heim vorstellen? Das Problem ist nicht, dass diese Fragen<br />

nicht klar beantwortet werden konnten, son<strong>der</strong>n dass sie nicht wie<strong>der</strong><br />

<strong>und</strong> wie<strong>der</strong> bzw. mit immer neuen Inhalten gestellt wurden. Irgendwann<br />

– so sche<strong>in</strong>t es zum<strong>in</strong>dest nachträglich – war die eigene Unsicherheit <strong>der</strong><br />

Pädagogen zu groß, als dass man sich noch Fragen stellen konnte, <strong>und</strong> man<br />

hielt sich an e<strong>in</strong>er geplanten Intervention fest, ohne dadurch mehr Sicherheit<br />

zu gew<strong>in</strong>nen. Man könnte Verlaufsmuster D als gescheitert bezeichnen<br />

<strong>und</strong> folgende Regel formulieren: Sollte es <strong>in</strong>nerhalb von zwei bis fünf<br />

Monaten <strong>und</strong> nach sechs bis acht erzwungenen Auszeitraumnutzungen<br />

ke<strong>in</strong>e Verbesserung des Anlass-Verhaltes o<strong>der</strong> zum<strong>in</strong>dest ke<strong>in</strong>e Entwicklung<br />

<strong>in</strong> Richtung freiwilligerer Nutzung geben, so muss die Auszeit-Praxis<br />

entwe<strong>der</strong> gr<strong>und</strong>legend verän<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> beendet werden.<br />

Wie viel auch <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e solche klare Regel spricht, so wenig kann man<br />

ihre rigide Anwendung empfehlen: Nicht immer ist nach so kurzer Zeit<br />

schon abzusehen, ob e<strong>in</strong>e pädagogische o<strong>der</strong> therapeutische Intervention<br />

im <strong>in</strong>tendierten S<strong>in</strong>ne wirkt o<strong>der</strong> nicht. In vielen Fällen erleben wir mit<br />

Klienten Entwicklungsl<strong>in</strong>ien, die immer wie<strong>der</strong> durch Krisen o<strong>der</strong> Stagnationen<br />

geprägt s<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> als zwiespältig e<strong>in</strong>geschätzt werden müssen, also<br />

über längere Zeit we<strong>der</strong> <strong>der</strong> Erfolgs- noch <strong>der</strong> Misserfolgsseite e<strong>in</strong>deutig<br />

zuzurechnen s<strong>in</strong>d. Selbst wenn wir bei Nico davon ausgehen, dass die körperliche<br />

Überwältigung von ihm auch angestrebt wurde, so muss das nicht<br />

unbed<strong>in</strong>gt mit e<strong>in</strong>em masochistischen Lustgew<strong>in</strong>n gleichgesetzt werden.<br />

Vielleicht brauchte Nico immer wie<strong>der</strong> das Erlebnis, dass an<strong>der</strong>e e<strong>in</strong>deutig<br />

stärker s<strong>in</strong>d als er <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e gewalttätigen Impulse beherrschen. Fraglich<br />

wäre dann <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie, wie es gel<strong>in</strong>gen könnte, ihn da<strong>für</strong> zu gew<strong>in</strong>nen,<br />

diese Aufgabe schrittweise <strong>in</strong> eigene Regie zu nehmen.<br />

Die 16 Auszeitraumnutzungen von Nico nach <strong>der</strong> Entlassung aus <strong>der</strong><br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendpsychiatrie erstrecken sich über e<strong>in</strong>en Zeitraum von<br />

zehn Monaten, die 38 Nutzungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Psychiatrie über e<strong>in</strong>en Zeitraum

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