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Zwang in der Heimerziehung? - INIB - Institut für Innovation und ...

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Mathias Schwabe <strong>und</strong> Thomas Evers<br />

nerseits alles da<strong>für</strong>, <strong>in</strong> die nicht-geschlossene Gruppe zu kommen. An<strong>der</strong>erseits<br />

wartet er darauf, dass se<strong>in</strong>e Mutter ihn dort bald wie<strong>der</strong> herausholt.<br />

Er lässt ke<strong>in</strong>en Zweifel daran, dass we<strong>der</strong> er noch se<strong>in</strong>e Mutter den<br />

Heimaufenthalt wünschen. Das Jugendamt steckt h<strong>in</strong>ter dieser Entscheidung,<br />

auch wenn er auf den gesetzlichen H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> nicht e<strong>in</strong>gehen mag.<br />

Gleichzeitig will er dort etwas anpacken. Auch wenn <strong>der</strong> Sorgerechtsentzug<br />

im Moment dagegen steht, ist <strong>für</strong> ihn am wichtigsten, dass se<strong>in</strong>e Eltern<br />

ihn – auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em existenziellen S<strong>in</strong>ne – „wie<strong>der</strong> haben wollen“. E<strong>in</strong>e<br />

Zeitlang schien er sich dagegen wie ausgestoßen gefühlt zu haben, se<strong>in</strong>e<br />

Zugehörigkeit zur Familie schien gefährdet (Schwabe 2005, 382f). Also<br />

will Nils <strong>in</strong>s Heim kommen als Alternative zu viel schlechteren Möglichkeiten<br />

<strong>und</strong> ist dort doch nicht freiwillig, weil an<strong>der</strong>e entscheiden, dass er<br />

dort zu se<strong>in</strong> hat. Beim Jugendamt sche<strong>in</strong>t das e<strong>in</strong>deutig zu se<strong>in</strong>. Bei <strong>der</strong><br />

Psychiatrie spricht er e<strong>in</strong>mal von „angeboten“, an e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en Stelle von<br />

„muss“. Das Schwierige an dieser Gemengelage ist, dass sie <strong>für</strong> ihn <strong>und</strong> die<br />

Familienangehörigen <strong>in</strong> hohem Maße unsortiert zu se<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>t. Nils kann<br />

sich gleichzeitig <strong>in</strong> das Heim gezwungen fühlen, weil ihm e<strong>in</strong>e sehr viel<br />

düstere Alternative drohte, mit <strong>der</strong> offensichtlich massive Ängste verb<strong>und</strong>en<br />

s<strong>in</strong>d. Und er kann sich gleichzeitig als jemand sehen, <strong>der</strong> gewählt hat.<br />

Beides stimmt <strong>und</strong> stimmt auch nicht. Deswegen formuliert er selbst bezogen<br />

auf den Heimaufenthalt sehr treffend: „Ich muss das von zwei Seiten<br />

sehen: eigentlich ganz gut, aber eigentlich auch voll Scheiße!“ (Nils, 524,<br />

2. Befragung, 2005).<br />

Das Problem, das dabei entstehen kann, ist, dass <strong>der</strong> befragte Jugendliche<br />

zwischen den Positionen h<strong>in</strong> <strong>und</strong> her spr<strong>in</strong>gt, wie es <strong>für</strong> ihn gerade<br />

leichter ist. In <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Situation kann er sich als den Gezwungenen sehen<br />

<strong>und</strong> Reaktanz zeigen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en als denjenigen, <strong>der</strong> <strong>für</strong> sich das Beste<br />

herausgeschlagen hat. Das bildet ke<strong>in</strong>e gute Basis <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e Kooperation<br />

mit den Heimpädagogen. Unfreiwillig wird auch das Zurückkommen <strong>in</strong>s<br />

Heim bzw. <strong>der</strong> <strong>Zwang</strong>, dort nach e<strong>in</strong>er Krise bleiben zu müssen, von Ingo<br />

(16 Jahre) erlebt:<br />

Interviewer: „Wer hat entschieden, dass du wie<strong>der</strong> zurück sollst?“<br />

Ingo: „Ja, me<strong>in</strong> Vater. Aber ich glaube, <strong>der</strong> hat sich überreden lassen. Die<br />

haben so alle, die saßen so im Kreis <strong>und</strong> me<strong>in</strong> Jugendamt <strong>und</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtungsleiter,<br />

die haben drauf e<strong>in</strong>geredet: Ja, ich b<strong>in</strong> noch nicht so weit, ich<br />

mache Uns<strong>in</strong>n, bäbä bäbä.“<br />

Interviewer: „Und de<strong>in</strong>e Mutter?“<br />

Ingo: „Die war nicht dabei. (. . .) Dann stand me<strong>in</strong> Vater halt vor <strong>der</strong> Entscheidung,<br />

das hab ich schon gemerkt. Die haben ihn so vollgeredet. Weil<br />

immer haben die auch gesagt: Ja, Sie können ihn auch mit nach Hause<br />

nehmen, aber bla bla. Da dachte ich mir auch so, na die überreden den.<br />

Und was war. Ist dann doch passiert: Naja, ich lass ihn hier.“ (Ingo, 370–<br />

382, 3. Befragung, 2006)

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