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Zwang in der Heimerziehung? - INIB - Institut für Innovation und ...

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Mathias Schwabe <strong>und</strong> David Vust<br />

tiven biographischen Weichenstellungen werden; aber man darf ihre Häufigkeit<br />

nicht überschätzen (Makarenko 1953, 21ff; Bittner 1972, 148–150).<br />

Außerdem ist es im Heim nicht selten gerade dieser Pädagoge, <strong>der</strong> nach e<strong>in</strong><br />

paar Monaten o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em halben Jahr den Dienst quittiert, was die Erfahrung<br />

e<strong>in</strong>er strapazier- <strong>und</strong> tragfähigen Beziehung schmerzlich unterbricht<br />

<strong>und</strong> das K<strong>in</strong>d oftmals auf e<strong>in</strong>en früheren Entwicklungsstand zurückwirft<br />

(Schwabe 2003, 260ff).<br />

Es ist nicht unrealistisch, sich den Pädagogen im Heim im Erleben <strong>der</strong><br />

jungen Menschen erst e<strong>in</strong>mal als e<strong>in</strong>en Vertreter des neuen Systems vorzustellen,<br />

welcher das K<strong>in</strong>d/den Jugendlichen mit dessen Anfor<strong>der</strong>ungen bekannt<br />

macht, die E<strong>in</strong>haltung von Regeln kontrolliert <strong>und</strong> eventuell auch<br />

gegen den Willen des K<strong>in</strong>des durchzusetzen versucht. Diese Regelpädagogik<br />

entspr<strong>in</strong>gt oftmals nicht konzeptionellen Überlegungen, son<strong>der</strong>n ist<br />

<strong>der</strong> großen Anzahl <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> bzw. <strong>der</strong> ger<strong>in</strong>gen Personalbesetzung im<br />

Normaldienst geschuldet. Manche Heime versuchen, den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen<br />

am neuen Ort e<strong>in</strong>en deutlichen Neuanfang zu ermöglichen, da<br />

sie davon ausgehen, dass die Eltern o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Erwachsene dem K<strong>in</strong>d<br />

vorher lieblos, eventuell mit Gewalt <strong>und</strong> auf jeden Fall ohne Verständnis<br />

begegnet s<strong>in</strong>d. Deshalb zeigen sich die Erwachsenen im Heim zu Beg<strong>in</strong>n<br />

beson<strong>der</strong>s offen <strong>und</strong> <strong>in</strong>teressiert, sie bieten Beziehung an <strong>und</strong> ermöglichen<br />

e<strong>in</strong>e gute materielle Versorgung. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> sollen es gut haben im Heim<br />

<strong>und</strong> erkennen, dass die Erwachsenen an<strong>der</strong>s s<strong>in</strong>d als diejenigen, die sie bisher<br />

kannten.<br />

In e<strong>in</strong>igen Fällen gel<strong>in</strong>gt dieser Neuanfang, <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en wird das K<strong>in</strong>d<br />

dieses Angebot über kürzere o<strong>der</strong> längere Zeit austesten. Es ahnt, dass die<br />

<strong>Institut</strong>ion Heim auf Gr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er organisatorischen Verfasstheit das Beziehungsversprechen<br />

nicht so erfüllen kann, wie es sich das K<strong>in</strong>d vorstellt<br />

(Nie<strong>der</strong>berger/Nie<strong>der</strong>berger-Bühler 1988), <strong>und</strong> möchte prüfen, ob die<br />

fre<strong>und</strong>liche Maske bei se<strong>in</strong>en ersten Verweigerungen fällt o<strong>der</strong> es die Erwachsenen<br />

wirklich ernst mit ihm me<strong>in</strong>en. Häufig wird es zwischen dem<br />

Wunsch schwanken, sie mögen sich als an<strong>der</strong>s erweisen, aber auch e<strong>in</strong>iges<br />

da<strong>für</strong> tun, die alten Cl<strong>in</strong>ch-Situationen wie<strong>der</strong> herzustellen, weil neue gute<br />

Erwachsene se<strong>in</strong>e Loyalität <strong>und</strong> B<strong>in</strong>dung zu den ursprünglichen Bezugspersonen<br />

gefährden würden (Conen 1991, 34ff). Dies wird verstärkt, wenn<br />

die neuen Erwachsenen zwar gut zum K<strong>in</strong>d s<strong>in</strong>d, aber se<strong>in</strong>e Eltern bzw.<br />

die an<strong>der</strong>en Pädagogen, die vorher mit dem K<strong>in</strong>d beschäftigt waren, <strong>in</strong>sgeheim<br />

als schlechte Erzieher verdächtigen o<strong>der</strong> sogar verachten.<br />

In den meisten Heimen bleiben Beziehungsversprechen <strong>und</strong> Neuanfang<br />

auf Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong> strukturellen Voraussetzungen halbherzig <strong>und</strong> <strong>in</strong> Bezug auf<br />

ihre immanenten Spannungen unreflektiert. Diesen Unterschied gegenüber<br />

<strong>der</strong> Familie gilt es zu bedenken, wenngleich damit bei vielen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />

nicht <strong>der</strong>en empirische Form, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong>en pr<strong>in</strong>zipielles Potential<br />

geme<strong>in</strong>t se<strong>in</strong> kann.

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