Zwang in der Heimerziehung? - INIB - Institut für Innovation und ...
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Die Stimmen <strong>der</strong> von <strong>Zwang</strong> Betroffenen hören, verstehen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>ordnen<br />
Urteile an die Leitung zu transportieren. Gefragt ist deswegen e<strong>in</strong> transparenter<br />
<strong>und</strong> reflektierter Umgang mit den Informationen aus den Interviews<br />
im ganzen <strong>in</strong>stitutionellen System. Befragungen führen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel<br />
zu Verstörungen mehrerer Systemteilnehmer auf mehreren Ebenen <strong>und</strong><br />
müssen deswegen sorgsam behandelt werden.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs gilt es, <strong>der</strong> Haltung, K<strong>in</strong><strong>der</strong> erzählten überwiegend Uns<strong>in</strong>n<br />
<strong>und</strong> seien deshalb nicht ernst zu nehmen, frühzeitig <strong>und</strong> energisch entgegenzutreten.<br />
Erstens erwiesen sich e<strong>in</strong>ige K<strong>in</strong><strong>der</strong>, zum<strong>in</strong>dest was bestimmte<br />
Themen betrifft, als sehr genaue Beobachter <strong>der</strong> äußeren, aber<br />
auch ihrer <strong>in</strong>neren Realität. Zweitens gilt das, was die Pädagogen <strong>für</strong> die<br />
Wahrnehmung <strong>und</strong> das Erleben <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> reklamieren, selbstverständlich<br />
auch <strong>für</strong> sie selbst: Auch sie nehmen subjektiv wahr <strong>und</strong> verarbeiten<br />
das Erlebte ebenfalls im Rahmen ihrer persönlichen <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> beruflichen<br />
Interessen. Insofern s<strong>in</strong>d Befragungen unter <strong>der</strong> Perspektive, welche geme<strong>in</strong>samen<br />
<strong>und</strong> welche unterschiedlichen Wahrnehmungen von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
<strong>und</strong> Erwachsenen damit <strong>in</strong> den Blick geraten, beson<strong>der</strong>s relevant. Das gilt<br />
sowohl <strong>in</strong>stitutions<strong>in</strong>tern wie <strong>für</strong> die Forscher. Wichtig ist zunächst nicht,<br />
was tatsächlich stattgef<strong>und</strong>en hat, son<strong>der</strong>n wie es die K<strong>in</strong><strong>der</strong> erlebt haben.<br />
In ihrem Verhalten können sie nur von den eigenen, <strong>in</strong>neren Bil<strong>der</strong>n ausgehen.<br />
Wenn die Pädagogen e<strong>in</strong> Verhalten verän<strong>der</strong>n wollen, können sie<br />
nicht umh<strong>in</strong>, an diese <strong>in</strong>neren Bil<strong>der</strong> <strong>und</strong> Erlebnisweisen anzukoppeln,<br />
wie verzerrt sie diese auch immer e<strong>in</strong>schätzen mögen. E<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Wirklichkeit<br />
besitzen die K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht (Watzlawick 1981). Und auf e<strong>in</strong>e generelle<br />
Infragestellung ihrer Wirklichkeit mit dem H<strong>in</strong>weis auf e<strong>in</strong>e objektivere<br />
<strong>und</strong> deswegen überlegene Erwachsenenwirklichkeit werden sie ganz<br />
sicher mit Abwehr reagieren. Aber die Lage ist noch komplizierter. Er<strong>in</strong>nern<br />
ist das e<strong>in</strong>e, die Versprachlichung des Erlebten das an<strong>der</strong>e. Was me<strong>in</strong>t<br />
z. B. Ingo (16 Jahre), wenn er von <strong>der</strong> Psychiatrie erzählt:<br />
„Weil da konnte man gar nicht aggressiv werden. Da hatte man ke<strong>in</strong>e<br />
Chance. Die haben e<strong>in</strong>en Pieper <strong>und</strong> so. Dann kommt man auf’s Fixierbett<br />
e<strong>in</strong> paar Tage <strong>und</strong> dann kommt Kanüle <strong>in</strong> den Arm <strong>und</strong> dann wirst Du mit<br />
Medis vollgepumpt.“ (Ingo, 232–234, 2. Befragung, 2005)<br />
Wer ist „man“, <strong>der</strong> „ke<strong>in</strong>e Chance“ hat? Spricht Ingo hier aus eigener Erfahrung<br />
von körperlicher Überwältigung o<strong>der</strong> kolportiert er „Stories“ aus<br />
<strong>der</strong> Psychiatrie, die er von an<strong>der</strong>en gehört hat? Kann es se<strong>in</strong>, dass e<strong>in</strong><br />
Jugendlicher dort tatsächlich über mehrere Tage auf e<strong>in</strong>em Bett fixiert<br />
bleibt? O<strong>der</strong> dehnt sich die Zeit beim erzwungenen Liegen sche<strong>in</strong>bar unendlich,<br />
so dass es e<strong>in</strong>em vorkommt wie ganze Tage? Und was me<strong>in</strong>t „mit<br />
Medis vollgepumpt“? Das körpernahe Erleben, dass die e<strong>in</strong>geführten Substanzen<br />
das Körpergefühl <strong>und</strong> die Eigenwahrnehmung verän<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> die<br />
bewusste Überschreitung e<strong>in</strong>er angemessenen Dosis durch e<strong>in</strong>en Arzt, um<br />
e<strong>in</strong>en renitenten Jugendlichen zu bestrafen o<strong>der</strong> länger als nötig ruhig zu<br />
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