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Zwang in der Heimerziehung? - INIB - Institut für Innovation und ...

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Mathias Schwabe, Thomas Evers <strong>und</strong> David Vust<br />

das noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mitte des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts möglich war. Und doch stellt<br />

sich <strong>in</strong> vielen Schulen die Frage, ob sie nicht auch über effektive Mittel<br />

<strong>der</strong> Verhaltensbegrenzung, notfalls auch mit <strong>Zwang</strong>scharakter, verfügen<br />

müssten, um e<strong>in</strong>en geordneten Schulalltag bzw. das Abhalten von halbwegs<br />

ungestörtem Unterricht garantieren zu können.<br />

In e<strong>in</strong>igen Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Hauptschulen Berl<strong>in</strong>s werden Schüler, die den<br />

Unterricht wie<strong>der</strong>holt o<strong>der</strong> massiv stören, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en so genannten Auszeitraum<br />

geschickt. In e<strong>in</strong>em ausgewiesenen Raum sitzt e<strong>in</strong> Lehrer, <strong>der</strong> diese<br />

„Störer“ <strong>in</strong> Empfang nimmt <strong>und</strong> beschäftigt. Dort sollen sie zur Ruhe<br />

kommen <strong>und</strong> sich bis zur nächsten Pause <strong>für</strong> e<strong>in</strong>en neuen Start im regulären<br />

Unterricht sammeln. Wenn sich die Schüler weigern, <strong>der</strong> Weisung<br />

des Lehrers, <strong>der</strong> sie aus dem Unterricht schickt, Folge zu leisten, müssen<br />

sie zwar nicht damit rechnen, mit E<strong>in</strong>satz von Körperkraft dort h<strong>in</strong> gebracht<br />

zu werden. Dennoch wird das Konzept Auszeitraum nur dann<br />

funktionieren, wenn es dem Lehrer zum<strong>in</strong>dest auch möglich ist, Druck<br />

aufzubauen. Dem Lehrer steht e<strong>in</strong> ganzes Arsenal von Konsequenzen zur<br />

Verfügung, das von <strong>der</strong> Benachrichtigung <strong>der</strong> Eltern, dem Nachsitzen <strong>der</strong><br />

Zeit am Nachmittag mit elterlicher Zustimmung, <strong>der</strong> Ableistung von Wie<strong>der</strong>gutmachungsst<strong>und</strong>en<br />

unter <strong>der</strong> Regie des Hausmeisters, bis zur Androhung<br />

e<strong>in</strong>es Ausschlusses über mehrere Tage reicht. Von <strong>Zwang</strong> können<br />

wir sprechen, wenn <strong>der</strong> Ausschluss aus Klasse o<strong>der</strong> Schule <strong>in</strong> glaubhafter<br />

Weise droht <strong>und</strong> dem Schüler auch persönlich als existenzieller Verlust ersche<strong>in</strong>t.<br />

Dabei muss die Angst um e<strong>in</strong>en verbauten Schulabschluss <strong>und</strong> die<br />

möglicherweise verh<strong>in</strong><strong>der</strong>te Berufslaufbahn nicht unbed<strong>in</strong>gt im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong><br />

stehen. Eher kann es die Angst davor se<strong>in</strong>, mit dem Schulausschluss<br />

auch aus dem sozial attraktiven Zusammenhang <strong>der</strong> Peers herauszufallen<br />

<strong>und</strong> am Morgen ke<strong>in</strong>en Ort zu haben, wo man h<strong>in</strong> gehen <strong>und</strong> „Leute treffen“<br />

kann, was vom E<strong>in</strong>zelnen als Gr<strong>und</strong> zum Nachgeben erlebt wird. In<br />

vielen Fällen werden die K<strong>in</strong><strong>der</strong> auch mit drastischen Strafen seitens ihrer<br />

Eltern rechnen, wenn diese über den Eklat <strong>in</strong>formiert werden, den die<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Weigerung, das Klassenzimmer zu verlassen, provoziert<br />

haben. Diese Strafen können von körperlichen Züchtigungen bis h<strong>in</strong> zur<br />

Wegnahme des eigenen Handys o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em Ausgangsverbot am Wochenende<br />

reichen. Das e<strong>in</strong>e Mal wäre damit die körperliche Dimension von<br />

<strong>Zwang</strong> berührt, das an<strong>der</strong>e Mal die Angst vor Exklusion, weil viele K<strong>in</strong><strong>der</strong>/Jugendliche<br />

irrationalerweise, aber dennoch tatsächlich be<strong>für</strong>chten,<br />

ohne das Statussymbol Handy o<strong>der</strong> ohne mit den an<strong>der</strong>en ausgehen zu<br />

dürfen, die Achtung <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en zu verlieren <strong>und</strong> ausgegrenzt zu werden.<br />

Nur wenn mit <strong>der</strong> Ansage des Lehrers zugleich Überlegungen <strong>und</strong> Gefühle<br />

mit e<strong>in</strong>er existenziellen, persönlichen Dimension aktiviert werden<br />

<strong>und</strong> <strong>für</strong> die Entscheidung des Schülern zum Gehorsam e<strong>in</strong>e zentrale Rolle<br />

spielen, kann man von <strong>Zwang</strong> sprechen. An<strong>der</strong>e Schüler werden beim<br />

Befolgen <strong>der</strong> Anweisung we<strong>der</strong> von existenziellen Ängsten noch von <strong>der</strong>

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