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Zwang in der Heimerziehung? - INIB - Institut für Innovation und ...

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Mathias Schwabe <strong>und</strong> David Vust<br />

In den von uns beobachteten Situationen waren solche <strong>Zwang</strong> ausübenden<br />

Strukturen nicht zu beobachten. Im Bedarfsfall überreden die Pädagogen<br />

die K<strong>in</strong><strong>der</strong> bzw. Jugendlichen zur Teilnahme o<strong>der</strong> bitten sie, wenigstens an<br />

den Ort <strong>der</strong> Gruppenaktivität mitzukommen <strong>und</strong> sich dort ruhig zu verhalten.<br />

Am ehesten mussten noch die Jugendlichen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe Step by<br />

Step damit rechnen, u. U. mit e<strong>in</strong>em Maximum an passiver Körperkraft aus<br />

dem Haus geschoben zu werden. E<strong>in</strong> junger Mensch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe Wellenbrecher<br />

erhielt nach se<strong>in</strong>en Verweigerungen bezüglich <strong>der</strong> Gruppenaktivitäten<br />

e<strong>in</strong>ige Zeit <strong>in</strong>dividuelle Angebote, so dass er sich zum<strong>in</strong>dest auch<br />

bewegen musste. Er kam aber kurze Zeit später <strong>in</strong> die K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendpsychiatrie<br />

<strong>und</strong> wurde von dort aus entlassen. So könnte <strong>für</strong> etliche<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die diese Entwicklung beobachtet haben, die Idee mitschw<strong>in</strong>gen,<br />

dass die Verweigerung <strong>der</strong> Aktivitäten <strong>der</strong> erste Schritt zur Entlassung sei,<br />

was den <strong>Zwang</strong>scharakter erhöhen würde. Das sche<strong>in</strong>t aber nur ganz am<br />

Rande e<strong>in</strong>e Rolle gespielt zu haben.<br />

Für die Jugendlichen von Step by Step dürfte <strong>der</strong> Umstand e<strong>in</strong>e Rolle<br />

gespielt haben, dass man mit <strong>der</strong> Teilnahme im Rahmen e<strong>in</strong>e Programms<br />

Punkte verdienen o<strong>der</strong> bei Fehlen verlieren konnte. Das mag <strong>für</strong> e<strong>in</strong>ige unangenehmen<br />

Druck erzeugen. Ob <strong>und</strong> unter welchen Bed<strong>in</strong>gungen man<br />

diesen <strong>Zwang</strong> nennen kann, beschäftigt uns im nächsten Abschnitt.<br />

3.2.5 <strong>Zwang</strong> im Zusammenhang mit dem Entzug von Privilegien<br />

In <strong>der</strong> Gruppe Step by Step müssen die Jugendlichen an e<strong>in</strong>em Punkteprogramm<br />

teilnehmen. Je nach Anzahl <strong>der</strong> von ihnen täglich erreichten<br />

Verhaltenspunkte, können sie sich von e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>gangsstufe mit sehr wenigen<br />

Privilegien über zwei weitere Stufen mit immer mehr Annehmlichkeiten<br />

bis e<strong>in</strong>e vierte Stufe hocharbeiten. Fallen die Wochenpunkte mehrfach<br />

unter e<strong>in</strong> bestimmtes Level, kann e<strong>in</strong> Abstieg auf niedrigere Stufen erfolgen,<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Jugendliche muss erreichte Privilegien wie den Zutritt zum<br />

gruppeneigenen Clubraum, den selbst verwalteten Zimmerschlüssel, das<br />

Handy o<strong>der</strong> großzügigere Ausgangsregeln wie<strong>der</strong> abgeben. Das Punkteprogramm<br />

wird <strong>der</strong>zeit noch überwiegend verhaltensmodifikatorisch begründet.<br />

Für uns Externe ist es fraglich, ob das Programm tatsächlich auf<br />

<strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage dieser Theorie funktioniert, ob es nicht mit dem Anspruch<br />

<strong>der</strong> Verhaltensän<strong>der</strong>ung die Ablehnung <strong>der</strong> Jugendlichen provoziert <strong>und</strong><br />

ob <strong>in</strong> den Fällen, <strong>in</strong> denen es die Jugendlichen positiv anspricht, nicht ganz<br />

an<strong>der</strong>e Wirkfaktoren e<strong>in</strong>e Rolle spielen (Kenntner 1996).<br />

Die Interviews, die wir mit den Jugendlichen geführt haben, zeigen,<br />

dass sie das Stufenprogramm als e<strong>in</strong> sehr mächtiges Instrument <strong>der</strong> Verhaltenskontrolle<br />

erachten. Be<strong>in</strong>ahe zähneknirschend müssen sie gestehen,<br />

dass die Pädagogen damit etwas entwickelt haben, was sie zu Anpassungsleistungen<br />

nötigt. Es bleibt e<strong>in</strong> fremdbestimmtes System, dem sie sich un-

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