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Zwang in der Heimerziehung? - INIB - Institut für Innovation und ...

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Mathias Schwabe, Thomas Evers <strong>und</strong> David Vust<br />

spontan <strong>und</strong> unreflektiert wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie, son<strong>der</strong>n stellen geplante<br />

Maßnahmen im Rahmen öffentlicher Erziehung dar. Im Bereich <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

können z. B. die Verlegung e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Gruppe,<br />

nachdem dieses gewalttätig wurde, das Durchführen e<strong>in</strong>er Zimmerdurchsuchung<br />

bei Verdacht auf Waffenbesitz, die verb<strong>in</strong>dliche Auffor<strong>der</strong>ung<br />

zur Ur<strong>in</strong>abgabe bei Verdacht auf Drogenkonsum, das Heraustragen aus<br />

dem Haus bei Verweigerung des morgendlichen Schulbesuches <strong>Zwang</strong>smaßnahmen<br />

darstellen. Zu <strong>in</strong>stitutionellen <strong>Zwang</strong>selementen werden sie,<br />

wenn bzw. weil sie zu e<strong>in</strong>er offiziellen o<strong>der</strong> <strong>in</strong>offiziellen, jedenfalls häufiger<br />

angewandten Praxis e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>richtung zählen, die zum<strong>in</strong>dest von e<strong>in</strong>igen<br />

Kollegen gebilligt o<strong>der</strong> sogar propagiert wird; dasselbe gilt, wenn sie<br />

konzeptionell verankert s<strong>in</strong>d, mit Billigung <strong>der</strong> Leitung, <strong>der</strong> Jugendämter<br />

<strong>und</strong> an<strong>der</strong>er Kooperationspartner praktiziert <strong>und</strong> regelmäßig dokumentiert<br />

<strong>und</strong> evaluiert werden. <strong>Zwang</strong>selemente gehören zum Verhaltensrepertoir<br />

e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>richtung <strong>und</strong> bedürfen deswegen e<strong>in</strong>er rechtlichen Reflexion<br />

bzw. Legitimation (s. Kap. 6).<br />

Oftmals bezeichnen Eltern <strong>und</strong> <strong>Institut</strong>ionen ihre verb<strong>in</strong>dlich gemachten<br />

Erziehungsversuche mit an<strong>der</strong>en Begriffen wie Grenzsetzung o<strong>der</strong><br />

Konsequenz, Ordnungsmaßnahme o<strong>der</strong> Druck machen, Verb<strong>in</strong>dlichkeit<br />

o<strong>der</strong> För<strong>der</strong>n <strong>und</strong> For<strong>der</strong>n. Die Bandbreite dieser Euphemismen ist lang.<br />

Zum e<strong>in</strong>en kl<strong>in</strong>gen diese Begriffe schöner als <strong>Zwang</strong> o<strong>der</strong> <strong>Zwang</strong>smaßnahme,<br />

zum an<strong>der</strong>en müssen sie auch nicht unbed<strong>in</strong>gt als <strong>Zwang</strong> bzw. auf<br />

Gr<strong>und</strong> von <strong>Zwang</strong> wirken <strong>und</strong> so bezeichnet werden. Es gibt viele Formen<br />

<strong>der</strong> Grenzsetzung, die ohne <strong>Zwang</strong> auskommen o<strong>der</strong> sogar vor allem deswegen<br />

entwicklungsför<strong>der</strong>lich wirken, weil sie von <strong>Zwang</strong> absehen. Aber<br />

es gibt eben auch Grenzsetzung o<strong>der</strong> Orientierung mit <strong>der</strong> Anwendung<br />

von <strong>Zwang</strong>. Zu Elementen von <strong>Zwang</strong> werden sie erst dann, wenn ihre<br />

Durchsetzung – latent o<strong>der</strong> offen – entwe<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Androhung des E<strong>in</strong>satzes<br />

von Körperkraft verb<strong>und</strong>en wird o<strong>der</strong> mit e<strong>in</strong>er Konsequenz, die<br />

das K<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Jugendliche als existenzielle Verunsicherung bzw. Preisgabe<br />

erlebt. Die Konsequenz daraus heißt <strong>für</strong> das Individuum <strong>in</strong> jedem<br />

Fall E<strong>in</strong>samkeit <strong>und</strong> Isolierung; sie muss aber nicht mit Ausstoßung verb<strong>und</strong>en<br />

se<strong>in</strong>. So macht es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel e<strong>in</strong>en Unterschied, ob e<strong>in</strong> Jugendlicher<br />

z. B. aus <strong>der</strong> Familie ausgestoßen o<strong>der</strong> aus e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>richtung entlassen<br />

wird bzw. ob <strong>in</strong> dieser Situation die <strong>in</strong>nere <strong>und</strong> äußere Möglichkeit besteht,<br />

sich zur weiteren Perspektivenplanung an das Jugendamt bzw. e<strong>in</strong>en<br />

gesetzlichen Vertreter zu wenden o<strong>der</strong> nicht.<br />

<strong>Zwang</strong>smomente <strong>und</strong> <strong>Zwang</strong>selemente stellen demnach Anwendungsformen<br />

von <strong>Zwang</strong> dar, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en umfassenden Prozess e<strong>in</strong>gebettet s<strong>in</strong>d<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie aber auch im Heim o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schule erzieherische Funktionen<br />

übernehmen wollen. Mit ihnen geht es nicht – o<strong>der</strong> nicht nur – um<br />

Gefahrenabwehr o<strong>der</strong> die Sicherstellung von Aufsicht. Mit ihnen s<strong>in</strong>d<br />

pädagogische Intentionen verknüpft: Sie wollen <strong>der</strong> Entwicklung von

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