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Zwang in der Heimerziehung? - INIB - Institut für Innovation und ...

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<strong>Zwang</strong> im Rahmen von Hilfeprozessen<br />

men unterscheiden sich von spontanen Formen <strong>der</strong> Gewalt dadurch, dass<br />

sie <strong>in</strong>strumentell <strong>und</strong> berechnend e<strong>in</strong>gesetzt werden. Unter Strafandrohung<br />

stehen ebenso Formen von <strong>Zwang</strong>, die auf das Hervorrufen existenzieller<br />

Ängsten zielen, beispielsweise wenn man jemandem mit <strong>der</strong> Weitergabe<br />

von Informationen droht, die se<strong>in</strong>e Ehe o<strong>der</strong> se<strong>in</strong>en Arbeitsplatz<br />

gefährden würden <strong>und</strong> ihn dadurch „nötigen“ möchte, bestimmte For<strong>der</strong>ungen<br />

des Erpressers zu erfüllen (z. B. Geld o<strong>der</strong> sexuelle Handlungen).<br />

Rechtlich abgesichert s<strong>in</strong>d spezifische Formen von <strong>Zwang</strong> dann, wenn<br />

sie dazu dienen, akute Situationen von „Selbst- <strong>und</strong> Fremdgefährdung“ zu<br />

beenden, o<strong>der</strong> im Zusammenhang mit polizeilichen Aufgaben <strong>der</strong> Gefahrenabwehr<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Verfolgung von Verbrechen stehen (s. Kap. 6).<br />

In <strong>der</strong> Erziehung wird <strong>Zwang</strong> – wie wir noch ausführlich begründen –<br />

als e<strong>in</strong>e Form <strong>der</strong> Grenzsetzung angewandt: als e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>s drastische<br />

<strong>und</strong> effektive, punktuell s<strong>in</strong>nvolle <strong>und</strong> nötige, aber auch hoch riskante<br />

Form, die ihre gr<strong>und</strong>sätzliche Aff<strong>in</strong>ität zu Gewalt behält <strong>und</strong> be<strong>in</strong>ahe je<strong>der</strong>zeit<br />

<strong>in</strong> diese umschlagen kann (s. Kap. 2). Mit dem Thema <strong>Zwang</strong> s<strong>in</strong>d<br />

deswegen immer auch rechtliche Fragestellungen verb<strong>und</strong>en: das Recht<br />

auf gewaltfreie Erziehung <strong>und</strong> die Achtung vor den Gr<strong>und</strong>rechten e<strong>in</strong>es<br />

K<strong>in</strong>des <strong>und</strong> Jugendlichen kann mit dem fachlichen Anspruch e<strong>in</strong>er energischen<br />

Grenzsetzung kollidieren. Mit <strong>der</strong> Abwägung, ob <strong>und</strong> welche Art<br />

von <strong>Zwang</strong> fachlich s<strong>in</strong>nvoll se<strong>in</strong> kann, stellt sich zugleich die Frage <strong>der</strong><br />

Abwägung von Rechtsgütern (s. Kap. 6).<br />

E<strong>in</strong>e weitere Komplizierung <strong>und</strong> Aufsplitterung des <strong>Zwang</strong>-Begriffes<br />

ergibt sich daraus, dass se<strong>in</strong>e Anwendung je nach Alter, Lebenssituation<br />

<strong>und</strong> vorangegangenen Erfahrungen mit <strong>Zwang</strong> subjektiv sehr unterschiedlich<br />

erlebt <strong>und</strong> bewertet werden können. Das gilt sowohl <strong>für</strong> das, was als<br />

<strong>Zwang</strong> erlebt wird, als auch da<strong>für</strong>, wie <strong>Zwang</strong> erlebt wird. E<strong>in</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartenk<strong>in</strong>d<br />

wird sich nur selten daran stören, dass die E<strong>in</strong>gangstüre <strong>der</strong> Kita<br />

am Vormittag abgeschlossen ist. Für das emotionale Empf<strong>in</strong>den e<strong>in</strong>es Jugendlichen<br />

im Heim kann e<strong>in</strong>e auch nur zeitweise abgeschlossene Tür e<strong>in</strong>en<br />

erheblichen E<strong>in</strong>griff <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Autonomie <strong>und</strong> damit <strong>Zwang</strong> darstellen.<br />

Für denselben Jugendlichen mag wie<strong>der</strong>um die geschlossene Türe e<strong>in</strong>er<br />

k<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> jugendpsychiatrischen Station, auf <strong>der</strong> er sich z. B. <strong>für</strong> vier<br />

Wochen zur Entgiftung bef<strong>in</strong>det, an<strong>der</strong>s erlebt werden als die geschlossene<br />

Tür <strong>der</strong> Heimgruppe, die er zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong> Stückweit als se<strong>in</strong> „Zuhause“<br />

betrachtet (s. Kap. 5). Für den e<strong>in</strong>en 12-Jährigen kann es e<strong>in</strong>e traumatische<br />

Erfahrung bedeuten, nach e<strong>in</strong>er Gewalttat gegenüber e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en<br />

K<strong>in</strong>d von Erziehern überwältigt <strong>und</strong> gegen se<strong>in</strong>en Willen aus dem Haus<br />

o<strong>der</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Zimmer transportiert zu werden. Auch wenn es Gründe <strong>für</strong><br />

diese Intervention gegeben hat, kann er diese eventuell auch Tage <strong>und</strong> Wochen<br />

später nur als Übergriff <strong>und</strong> Verletzung se<strong>in</strong>er Würde empf<strong>in</strong>den.<br />

E<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er 12-Jähriger kann auf die gleiche Situation unmittelbar mit heftiger<br />

Wut reagieren, sich aber später schnell beruhigen <strong>und</strong> den <strong>Zwang</strong><br />

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