Heimatbuch Reichelsheim 1992 OCR verlinkt
Reichelsheim in der goldenen Wetterau Historische Betrachtungen von Hagen Behrens Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim Bearbeitung: Hagen Behrens Umschlaggestaltung: Jean Bourdin Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main Erschienen 1992
Reichelsheim in der goldenen Wetterau
Historische Betrachtungen von Hagen Behrens
Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim
Bearbeitung: Hagen Behrens
Umschlaggestaltung: Jean Bourdin
Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main
Erschienen 1992
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Schweine zu kaufen, sondern es wurde dies auch<br />
vom hiesigen Amte und den auswärtigen Behörden<br />
ausdrücklich verboten. Der Ort war ordentlich verrufenl“<br />
Um zu verdeutlichen, daß Mäuseplagen in jener Zeit<br />
nicht eine Einmaligkeit darstellten, sei ein anschaulicher<br />
Kirchenbucheintrag aus dem Jahre 1842<br />
(s. S. 80) wiedergegeben:<br />
„ . . _ Dagegen war die Ernte von den Sommerfrüchten<br />
sehr gering, wie auch die der Kartoffeln. Was die<br />
anhaltende Hitze nicht vernichtet hatte, wurde von<br />
den Mäusen verzehrt, welche in unzählbaren Mengen<br />
sich auf den Feldern zeigten. Tausende wurden<br />
von den hiesigen Einwohnern gefangen und getötet;<br />
aber doch blieb ihre Anzahl so groß, daß man sie mit<br />
dem Stock auf dem Wege totschlagen konnte.“<br />
1843 herrschte durch die Mißernte vom Jahr zuvor<br />
Hungersnot. War 1842 ein Dürre-Jahr, so war 1843<br />
„durch die Nässe und seinen Regen, zumal in der<br />
Sommerzeit“ ausgezeichnet (Kirchenbuch, S. 81).<br />
Die Preise für Heu und Getreide stiegen enorm an.<br />
Die Regengüsse machten es notwendig, „die Wiesen<br />
durch Erhöhung des Dammes vor dem Austreten der<br />
Horloff zu schützen, und doch wurden - aller Mühe<br />
ungeachtet - unsere Wiesen und Äcker durch das<br />
Wasser zu Grunde gerichtet... Doch gottlob, die<br />
Teuerung ließ nach und der Arme konnte, weil die<br />
Kartoffeln wohlgerieten, sich wieder satt essen.“<br />
Und wieder Mißernten, wieder Hunger: „Das Jahr<br />
1846“, berichtet Pfarrer Frankenfeld, „wird den Bewohnern<br />
Deutschlands lange im Andenken bleiben,<br />
weil es durch die geringe Ernte, welche es lieferte,<br />
Teuerung und Hungersnot hervorrief. ._ Dazu kam<br />
noch die immer mehr überhandnehmende Fäulnis<br />
bei den Kartoffeln, welche bisher ein Hauptnahrungsmittel<br />
des Landsmannes gebildet hatte.“ Weiter<br />
lesen wir im Kirehenbuch (S. 83): „Hier in <strong>Reichelsheim</strong><br />
war zwar im Vergleich zu vielen anderen<br />
Orten der Wetterau die Ernte nicht so schlecht und<br />
die Fäulnis der Kartoffel nicht so allgemein, aber<br />
doch war selbst der Mittelstand unter den Landsleuten<br />
genötigt, einen Teil seines Jahrbrotes zu kaufen.“<br />
1847: „Was zu befürchten war, traf ein: Die Teuerung<br />
des Getreide stieg in diesem Jahr bis kurz vor<br />
der Ernte enorm _ . . Zwar wurden sämtliche Dominialfrüchte<br />
bereitwillig von Seiner Hoheit dem Herzog<br />
dem Lande zu niedrigeren Preisen überlassen<br />
und die Herzogliche Landesregierung ließ dieselben<br />
teils unentgeltlich arı Arme verabfolgen, denen davon<br />
Brot gebacken wurde, teils den weniger Bemittelten<br />
bis zur neuen Ernte borgen; zwar wurden<br />
Früchte, als die Teuerung noch immer stieg, von der<br />
Regierung in Amerika angekauft und den Unbemittelten<br />
zu geringen Preisen überlassen; aber dieses alles<br />
wollte die Not nicht mindern und den Hunger<br />
nicht stillen“ (s. S. 83).<br />
Wahrscheinlich lag es an den wiederkehrenden Hungersnöten,<br />
die die Folge von Mißernten waren, daß der<br />
Verlust eines Kindes nicht in der Form empfunden wurde,<br />
wie dies heute der Fall ist. Wir wissen, daß arme Familien<br />
oft nicht wußten, wie und vor allem mit was sie die<br />
vielen „Kinder-Mäulchen“ stopfen sollten. „Findelhäuser“<br />
nahmen nicht nur ungewollte, nichteheliche Kinder<br />
auf, sondern auch ausgesetzte Kinder aus bestehenden<br />
Familien. Es gab aber auch die Tatsache, daß Kinder und<br />
Jugendliche sich durch wohlklingende Versprechungen<br />
verführen ließen, ohne Erlaubnis ihrem Elternhaus zu<br />
entfliehen, hoffend, es bei Fremden besser zu haben,<br />
hoffend, in der Fremde satt zu werden.