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Heimatbuch Reichelsheim 1992 OCR verlinkt

Reichelsheim in der goldenen Wetterau Historische Betrachtungen von Hagen Behrens Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim Bearbeitung: Hagen Behrens Umschlaggestaltung: Jean Bourdin Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main Erschienen 1992

Reichelsheim in der goldenen Wetterau
Historische Betrachtungen von Hagen Behrens
Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim
Bearbeitung: Hagen Behrens
Umschlaggestaltung: Jean Bourdin
Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main
Erschienen 1992

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Eine andere, allerdings „unpolitische“ Anekdote soll<br />

zugleich angefügt werden, steht sie doch auch im Zusammenhang<br />

mit der Kirchenrenovierung und verdeutlicht<br />

sie in gewisser Weise doch, die Stimmung im Ort:<br />

„Die Kirchenvorsteher Zinser und Coburger und ich<br />

gingen im Ort eine Hauskollekte erheben. Wir fanden<br />

überraschende Gebefreudigkeit bei den Armen und Geringen.<br />

Im Haus eines als ›rot< verschrienen Arbeiters<br />

gab der Mann seinen Beitrag. Als wir hinausgingen,<br />

stand unter der Küchentüre die Frau und drückte mir<br />

stillschweigend einen weiteren Betrag in die Hand!<br />

Aber es kam auch anders: ›Goldig!< ist das Wort, mit<br />

dem uns ein wohlhabender Landwirt in der _..-gasse<br />

empfing: ›Eich geawe naut! Eich hu(n) naut! Däi Beamte<br />

freasse a1les!< Das galt dem Herrn Postsekretär Zinser<br />

und mir! Stillschweigend klappte ich die Mappe zu und<br />

ging zur Türe hinaus, äußerlich Entrüstung heuchelnd,<br />

innerlich mich krümmend vor Vergnügenl“ (s. S. 541).<br />

Doch wieder zur politischen Entwicklung in <strong>Reichelsheim</strong>:<br />

Schon früh hatten die <strong>Reichelsheim</strong>er Sympathien für<br />

rechtskonservative und völkische Parteiprogramme gezeigt,<br />

wie bereits berichtet wurde. Die „Neue Tageszeitung“<br />

und der „Bauernkalender“ stimmten die Menschen<br />

dieser Region immer wieder auf einen Umbruch<br />

gegen Republik und Demokratie ein. Auch wurde von<br />

diesen Presseerzeugnissen Adolf Hitler, der Führer der<br />

NSDAP, schon früh „salonfähig“ gemacht und als<br />

„Kämpfer für die richtige Sache“ vorgestellt. So hieß es<br />

im „Bauernkalender 1925“ (Friedberg 1924, S. 76):<br />

„Die 28tägigen Verhandlungen des Hitler-Prozesses.<br />

. _ entschleierten rücksichtslos die parlamentarische<br />

Korruption und brachten eine scharfe Abrechnung mit<br />

allen Schuldigen am heutigen Elend . . . Eines kann man<br />

den Männern nicht absprechen: Mut zur Tat. Verant-<br />

wortungsfreudigkeit und zu jedem Opfer bereite Vaterlandsliebe“<br />

(Entnommen: „Hessen unterm Hakenkreuz“,<br />

S. 212).<br />

Der Boden war gut vorbereitet, die Ernte sollte sich<br />

bald zeigen! Bei den Reichstagswahlen 1928, vor der<br />

Weltwirtschaftskrise, waren die Stimmengewinne hier in<br />

Hessen noch recht gering, wenn auch höher als im<br />

Reichsdurchschnitt. Aber es ging augenscheinlich „aufwärts“:<br />

Immer mehr NSDAP-Ortsgruppen wurden gebildet,<br />

immer mehr kam der Hessische Bauernbund bzw.<br />

Hessische Landbund unter Druck - immer aggressiver<br />

wurde vor allem die Agitation gegen die Weimarer Republik<br />

und die sie tragenden Parteien. Nur in den katholischen<br />

Ortschaften blieben die Erfolge der NSDAP mager,<br />

dort konnte sich - aktiv unterstützt von der katholischen<br />

Geistlichkeit - das Zentrum bis in das Jahr 1933 als<br />

klar stärkste Kraft behaupten.<br />

Im Jahr 1930 machte Pfarrer Rühl im Kirehenbuch folgende<br />

Anmerkung:<br />

„Der Herbst des Jahres brachte Reichstagswahlen (14.<br />

September 1930) und damit für <strong>Reichelsheim</strong> eine Flutwelle<br />

des Nationalsozialismus. Die ganze Jugend, aber<br />

auch reife Leute, darunter führende Männer der Gemeinde,<br />

bekannten sich dazu“ (s. S. 551).<br />

lm Reichsdurchschnitt erhielt die NSDAP etwas über<br />

18%, in <strong>Reichelsheim</strong> aber: 39,4%! Die „Frankfurter<br />

Zeitung“ kommentierte das Wahlergebnis u. a. wie folgt:<br />

„Erbitterungswahlen also, in denen eine aus vielen<br />

Ouellen gespeiste Stimmung, durch eine wilde Verhetzung<br />

aufgewühlt, sich in radikalen Stimmzetteln entlud.<br />

Kein positiver Wille, auch nicht der zu einem wirklichen<br />

Umsturz des heutigen Staates, nicht einmal der zu einem<br />

gewaltsamen Versuch des Umsturzes unserer heutigen<br />

außenpolitischen Grundlagen, steht hinter einem großen<br />

Teil dieser radikalnegierenden Stimmen. Ein solcher<br />

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