Heimatbuch Reichelsheim 1992 OCR verlinkt
Reichelsheim in der goldenen Wetterau Historische Betrachtungen von Hagen Behrens Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim Bearbeitung: Hagen Behrens Umschlaggestaltung: Jean Bourdin Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main Erschienen 1992
Reichelsheim in der goldenen Wetterau
Historische Betrachtungen von Hagen Behrens
Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim
Bearbeitung: Hagen Behrens
Umschlaggestaltung: Jean Bourdin
Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main
Erschienen 1992
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Ein paar Jahre später beantragte ein <strong>Reichelsheim</strong>er<br />
Einwohner die Wiederaufnahme des Verfahrens, weil<br />
ihm zwei Ochsen in kurzer Zeit verendet waren. Gefragt,<br />
wen er denn in Verdacht habe, äußerte er, das Hexenmädchen<br />
sei ja noch da, durch sie werde schon alles an<br />
den Tag kommen. ~ Seinem Wunsche scheint man dann<br />
auch nachgekommen zu sein.“<br />
Wir haben keine historischen Aussagen darüber, weraußer<br />
dem fanatischen Bingenheimer Amtmann Caspari,<br />
Vertreter der Herrschaft des Landgrafen Christian<br />
von Hessen-Bingenheim -zu den ursprünglichen Anzeigern<br />
und damit Anstiftern des Hexenwahns in <strong>Reichelsheim</strong><br />
zu nennen war. Aus Ouellen anderer Städte und<br />
Gemeinden wissen wir allerdings, daß der „Anzeiger“<br />
mit einem Drittel des Besitzes der „überführten und geständigen“<br />
Person belohnt wurde. . .l Die meisten „Anzeigen“,<br />
die zu neuen Verhaftungführten, stammten allerdings<br />
meist von denen, die gerade gefoltert wurden,<br />
denn sie wurden stets nach „Mithexen“ und „Mitzauberern“<br />
befragt. Aus der Hoffnung heraus. von den unsäglichen<br />
Schmerzen befreit zu werden, wurde. wie die oben<br />
angeführten Auszüge aus <strong>Reichelsheim</strong>er Gerichtsprotokollen<br />
beweisen, der Mund geöffnet, wurde der „Geist<br />
wissend“ gemacht, wurden Namen, irgendwelche Namen<br />
genannt oder bestätigt. Aufgrund der wiedergegebenen<br />
Berichte muß festgestellt werden, daß auch Mitbürgerinnen<br />
und Mitbürger aus Neid oder Habsucht jemanden<br />
„anschwärzten“.<br />
Läßt es sich heute erahnen, wie das Verhältnis der Mitmenschen<br />
untereinander im kleinen, mauerumgrenzten<br />
<strong>Reichelsheim</strong> war?<br />
Der berühmteste Gegner der damaligen Hexenverfolgung,<br />
der bereits genannte Pater Spee, schrieb in seinem<br />
schon zitierten Buch „Cautio Criminalis“ (2. Auflage<br />
1632):<br />
„Du mußt aber wissen, daß bei uns Deutschen der<br />
Aberglaube, die Mißgunst, Verleumdung, Ehrabschneiderei,<br />
heimlicher Klatsch. Schmähsucht und arglistiges<br />
Verdächtigen unglaublich tiefeingewurzelt sind, was weder<br />
von der Obrigkeit nach Gebühr bestraft wird, noch<br />
von der Kanzel. wie es nötig wäre, widerlegt wird. Und<br />
eben daher entsteht der erste Verdacht der Hcxerei, daher<br />
kommt es, daß alle Strafen Gottes von Zaubcreien<br />
und Hexen herrülırcn sollen. da lıabcn Gott uııd Natur<br />
nichtmehr zu gelten, sondern alles müssen die In lexen getan<br />
haben.“<br />
Schließlich und endlich starben 58 Meııschen aus <strong>Reichelsheim</strong>,<br />
fast alles Frauen, verurteilt als 1-lexen, als<br />
„Anti-Christen": Meist „aus Gnade" erst getötet durch<br />
den Strang des Henkers, wurdcıı sie außerhalb des Stadtmatıern<br />
- in den Brandgärtcn“ - verbrannt und die verbliebene<br />
Asche „in weitem Bogen verstreut“. Nur wenige<br />
gerichtete Körper wurden naclı der Strangulierung<br />
oder Enthauptung außerhalb der Stadtmatıern iıı die Erde<br />
gelegt. (Da ein weltliches Gericht die Verhandlungen<br />
führte und die Urteile sprach, gab es in der Regel keine<br />
lebendigen Verbrennungen in <strong>Reichelsheim</strong>. wie dies bei<br />
Verurtcilungcn durch kirchliche Gerichte nıeist der Fall<br />
war, weil die Kirche kein Blut vcrgießen durfte.) Keine<br />
der getöteten Personen wurde in geweihten Boden gelegt.<br />
also auf dem christlichen Friedhof bcerdigt.<br />
Die letzten Anklagefälle iıı <strong>Reichelsheim</strong> sind tıns aus<br />
den .lahren 1672 (s. das Protokoll zu Anfang dieses Kapitels)<br />
und 1678 bekannt. Über jenen letzt bekannten Fall<br />
berichtete wiedertım das Kirehenbuch (s. S. 112):<br />
„Den 29. Mai wurde Jonann Hörten Hausfrau Margarethe<br />
vor den Convent (der Kirche) geladen, weil hinterbracht<br />
wurde, sie sei auf Walpurgis (= I. Mai) morgens<br />
früh ungesprochen hinaus in die Lehmkaute gegangen<br />
tınd habe dortselbst etwas Böses und Zauberisches ge-<br />
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