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Heimatbuch Reichelsheim 1992 OCR verlinkt

Reichelsheim in der goldenen Wetterau Historische Betrachtungen von Hagen Behrens Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim Bearbeitung: Hagen Behrens Umschlaggestaltung: Jean Bourdin Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main Erschienen 1992

Reichelsheim in der goldenen Wetterau
Historische Betrachtungen von Hagen Behrens
Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim
Bearbeitung: Hagen Behrens
Umschlaggestaltung: Jean Bourdin
Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main
Erschienen 1992

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te: Florstädter Straße). Neugasse - die „Armen“ (Handwerker,<br />

Hirten, Tagelöhner) aus der Haingasse, der<br />

Turmgasse usw.<br />

Oft zählte er die Kirchenbesucher, hielt die Zahl von<br />

ihnen in der Chronik fest, sie und die Höhe der Kollekte<br />

meist mit den Zahlen des Vorjahres vergleichend.<br />

Der Pfarrer war also Institution! Er begleitete die<br />

Menschen seiner Gemeinde durch das Leben, dies auch<br />

deswegen, weil zu seinen eigentlichen Aufgaben als Pfarrer<br />

ebenso das Amt des Schulinspektors gehörte (bis zum<br />

Ende des letzten Jahrhunderts unterstand die Schulaufsicht<br />

der Geistlichkeitl). Er war auch derjenige, der zu allen<br />

Festtagen, den geistlichen und den weltlichen, neben<br />

Predigten die Festrede hielt.<br />

Unter all diesen Voraussetzungen wird vielleicht deutlich,<br />

wie entscheidend es für ein Dorf, einen Marktflekken<br />

oder eine kleine Stadt war, für welche Konfession<br />

sich im 16. Jahrhundert nach der Reformation der herrschende<br />

Fürst oder Grafentschied. Zum Verständnis der<br />

Geschichte muß bewußt sein: Nicht der einzelne<br />

Mensch, nicht die Kirchengemeinde entschied in jenen<br />

Jahrhunderten, welcher Glaube der sei, dem man sich<br />

zuwenden wollte - dies allein entschied die den Ort regierende<br />

Herrschaft: für <strong>Reichelsheim</strong> die Grafen von<br />

Nassau.<br />

Am 31. Oktober 1517 schlug der damalige Mönch<br />

Martin Luther an die Tür der Schloßkirche in Wittenberg<br />

ein Blatt mit 95 Thesen, über deren Inhalt er mit anderen<br />

Theologen und Gläubigen zu diskutieren wünschte. Er<br />

tat, was damals viele andere taten: er nutzte den zentralen<br />

Ort der Stadt, eben die Kirche, um seine Anliegen<br />

„zu veröffentlichen“. Er ahnte gewiß in jenem Moment<br />

nicht, daß diese Thesen über den inneren Zustand der<br />

christlichen Kirche derart Weltgeschichte machen würden.<br />

Doch die Zeiten waren allgemein im Umbruch. Die<br />

Menschen in den Städten hatten zu einem neuen Selbstbewußtsein<br />

gefunden, angeführt durch die erstarkten<br />

Handwerkerzünfte. Die Bauern auf dem Lande waren es<br />

zugleich leid, immer neue Abgaben und immer weitere<br />

Hand- und Spanndienste den adligen Herren leisten zu<br />

müssen; sie wollten es auch nicht mehr akzeptieren, daß<br />

die Herrschaften in ihrer Jagdleidenschaft immer wieder<br />

die Frucht auf den Feldern zerstörten. Unruhen waren<br />

die Folgen; auch in der Wetterau kriselte es.<br />

Zugleich war die Nachricht durch Stadt und Land gezogen,<br />

daß es eine „Neue Welt“ gäbe, reich an Gold und<br />

Edelsteinen, aber auch reich an fremdartigen Menschen<br />

und Tieren.<br />

Der frisch erfundene Buchdruck durch Johannes<br />

Gutenberg im Jahre 1450 im nahe gelegenen Mainz ließ<br />

die Menschen neugierig auf Geschriebenes werden. War<br />

Gedrucktes bisher Grundlage des Wissens von wenigen,<br />

und damit zugleich die Grundlage der Herrschaft von<br />

wenigen, so war solches Wissen nun durch die verhältnismäßig<br />

geringen Druckkosten auch erreichbar für das<br />

Bürgertum.<br />

Luthers Lehren bzw. seine Ansichten verbreiteten sich<br />

wie ein Lauffeuer. Gedruckte Flugblätter, von Hand zu<br />

Hand weitergereicht, trugen zu einer ungeahnten Verbreitung<br />

bei.<br />

Als Luther 1521 vor dem Reichstag in Worms der Forderung<br />

des Kaisers Karl V. nach Widerruf seiner Lehren<br />

widerstand und somit in den Augen seiner Anhänger den<br />

Herren der Welt unerschrocken und mutig die Stirn bot,<br />

da kam bei vielen Zeitgenossen der Wille, die als lästig<br />

empfundenen „Ketten der Unfreiheit“ abzuschütteln:<br />

Die Bauernkriege, angeschürt auch von einzelnen Rittern,<br />

die hofften, ihre alte Macht und Herrlichkeit wiedererlangen<br />

zu können, verbreiteten Angst und Schrecken<br />

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