Heimatbuch Reichelsheim 1992 OCR verlinkt
Reichelsheim in der goldenen Wetterau Historische Betrachtungen von Hagen Behrens Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim Bearbeitung: Hagen Behrens Umschlaggestaltung: Jean Bourdin Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main Erschienen 1992
Reichelsheim in der goldenen Wetterau
Historische Betrachtungen von Hagen Behrens
Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim
Bearbeitung: Hagen Behrens
Umschlaggestaltung: Jean Bourdin
Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main
Erschienen 1992
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9. d) Die Zeit der Verblendungz das „3. Reich“<br />
SA -A ufmarsch in <strong>Reichelsheim</strong><br />
1933 (rechts der umfriedete Kirchhof)<br />
„Es ist der 30. Januar. Da kommen die Schulkinder<br />
der höheren Schule von Friedberg nachmittags mit Nachrichten<br />
heim, die wir nicht glauben wollen. Aber eine<br />
Stunde später, wir sitzen gerade wieder beim Kaffee zusammen,<br />
wie einst, als die Polizei zur SA-Auflösung vorfuhr,<br />
diesmal im Hause des Lehrers Keller zu einem kleinen<br />
Familienfest- da geht der Ortsdiener mit der Schelle<br />
durch die Straßen. Gerade vor dem Fenster, an dem wir<br />
saßen, machte er Halt zur Bekanntmachung:<br />
„Der Herr Reichspräsident hat den Führer der<br />
NSDAP, Adolf Hitler, zum Reichskanzler ernanntl“<br />
Was er weiter noch sagte, ging unter in dem Jauchzen<br />
von Kindern und Erwachsenen“ (s. .Kirchenbuch,<br />
S. 563).<br />
In <strong>Reichelsheim</strong> kam es am 26. Februar 1933 zum Bürgermeisterwechsel,<br />
da der bisherige Bürgermeister ver-<br />
storben war. Er war es gewesen, der im April 1932 bei<br />
der „Revolution“ die Seite der Ordnung und des Rechts<br />
mitvertreten hatte, der aber seit jenem Tage in den Augen<br />
der meisten <strong>Reichelsheim</strong>er „durch mancherlei Umstände<br />
und Irrgänge des Lebens in die falsche Bahn geraten“<br />
war (s. Kirchenbuch, S. 563); betrübt seien die <strong>Reichelsheim</strong>er<br />
wohl gewesen, weil man aufihn „einst große<br />
Hoffnungen gesetzt“ hätte.<br />
Am 26. Februar 1933 wurde Bürgermeister Veith gewählt.<br />
Da die von Hitler durchgesetzte Reichstagswahl<br />
unmittelbar bevorstand (5. März), die Euphorie vom<br />
30. Januar durch die gelenkte Presse noch wirkungsvoll<br />
am Leben gehalten worden war, galt diese Bürgermeister-Wahl<br />
in <strong>Reichelsheim</strong> als „Stimmungsbarometer“<br />
für die Zustimmung der Bevölkerung zur NSDAP.<br />
Im Kirehenbuch ist darüber zu lesen: „Am 26. Februar<br />
wurde Bürgermeister Veith gewählt. Acht Tage vor der<br />
großen Reichstagswahl (5. lII.): es war die letzte Bürgermeisterwahl<br />
in Hessen: Bürgermeister V., der erste nationalsozialistische<br />
und der letzte ›gewählte< Bürgermeister<br />
Hessensl“ Daß der berichtende Pfarrer das Wort<br />
„gewählte“ in Anführungszeichen gesetzt hatte, weist<br />
wohl auf die Häme hin, die gemäß der Auffassung der<br />
Hitler-Partei dem demokratischen Prinzip einer Mehrheitsentscheidung<br />
zugedacht war.<br />
lm Kirehenbuch wird weiter ausgeführt: „Er (Bürgermeister<br />
V.) hat von seinem Amt sofort entschlossen Gebrauch<br />
gemacht. Als nach der Reichstagswahl man zu<br />
ihm kam und die schwarz-rot-goldenen Fahnen (= die<br />
der demokratischen Republik) forderte, um sie zu verbrennen,<br />
. _ . da waren sie schon nicht mehr da; er hatte<br />
sie schon verbrannt“ (s. S. 564).<br />
Pfarrer Rühl, der seine Rolle in <strong>Reichelsheim</strong> als wichtiger<br />
Meinungsführer seit der absehbaren Wende zum<br />
Nationalsozialismus nicht mehr nur als Pfarrer gesehen<br />
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