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Heimatbuch Reichelsheim 1992 OCR verlinkt

Reichelsheim in der goldenen Wetterau Historische Betrachtungen von Hagen Behrens Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim Bearbeitung: Hagen Behrens Umschlaggestaltung: Jean Bourdin Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main Erschienen 1992

Reichelsheim in der goldenen Wetterau
Historische Betrachtungen von Hagen Behrens
Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim
Bearbeitung: Hagen Behrens
Umschlaggestaltung: Jean Bourdin
Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main
Erschienen 1992

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„Die Amtsbrüder haben aber wahrscheinlich keine Eintragungen<br />

in die Chronik gemacht, weil sie Sorge hatten,<br />

die Chronik könnte von den nationalsozialistischen Machthabern<br />

beschlagnahmt werden und die Eintragungen dem<br />

Chronisten zum Verhängnis werden“ (s. S. 618).<br />

Diese Sätze weisen nicht nur auf einen Gesinnungswandel<br />

des Pfarrers hin, sie verraten auch, daß die <strong>Reichelsheim</strong>er<br />

aus ihrem Traum endgültig erwacht waren,<br />

daß sie die NS-Lehre als Irrlehre durchschaut hatten.<br />

Vielleicht hatte ihnen der Flugzeugabsturz über <strong>Reichelsheim</strong><br />

im Mai 1944 einen letzten Schock versetzt,<br />

über den folgendes zu berichten ist: Ein feindlicher, in<br />

einer Luftschlacht angeschossener Bomber „verhakte“<br />

sich mit einer Tragfläche am Schornstein der Molkerei<br />

(bei der Genossenschaft) und stürzte auf das gemeindeeigenen<br />

Haus in der Bahnstraße, das als „Kinderschule“<br />

und Verwaltungsgebäude genutzt wurde.<br />

Glück im Unglück war, daß der Absturz in der Mittagszeit<br />

passiert war - als das Gebäude menschenleer<br />

war.<br />

Doch mehr werden die vielen Todes- und Vermißtennachrichten,<br />

die Nachrichten über Gefangenschaft oder<br />

Verwundung das Denken der Menschen in <strong>Reichelsheim</strong><br />

und anderswo beeinflußt haben: Mögen sie anfänglich<br />

den Haß auf die Kriegsfeinde gestärkt haben; mit Zunahme<br />

des Krieges richtet sich dieser auch gegen die eigene<br />

Führung. Denn in über 30 Fällen erhielten die Familien<br />

die Nachricht:<br />

„Ihr Mann /Ihr Sohn/ Ihr Bruder ist den Heldentod gestorben<br />

-für Führer, Volk und Vaterlandl“<br />

In ungefähr 20 Fällen erhielten die Familienangehörigen<br />

keine Auskunft - es hieß nur: „Vermißt!“ Das ließ<br />

zwar noch ein wenig Hoffnung offen, oft noch für viele<br />

Jahre nach der Kapitulation; doch der Schmerz blieb um<br />

so länger wach!<br />

In vielen Häusern unseres kleinen Ortes hatte man die<br />

Hoffnung, den Mann, den Sohn, den Vater doch noch in<br />

die Arme schließen zu können, hieß es doch, der Angehörige<br />

sei in Gefangenschaft geraten. Doch auch von ihnen<br />

kehrten nicht alle zurück, hatten nicht die Möglichkeit<br />

wie Pfarrer Carl für seine Nachkommen zu schreiben:<br />

„Am 29. 6. 1945 kam ich in Aalen (Württemberg) zur<br />

Entlassung. Per Lastauto ging es über Würzburg nach<br />

Aschaffenburg. Von hier fuhr ich zunächst bis nach Hanau<br />

und dann abends um ll Uhr von Hanau nach Friedberg:<br />

Hier erfuhr ich, daß in <strong>Reichelsheim</strong> durch Kriegsereignisse<br />

kein Schaden entstanden war. Nach der Sperrstunde,<br />

die bis 5 Uhr dauerte, lief ich von Friedberg aus<br />

heim . _. So kam ich denn am 30. 6. 45 heim. Das erste,<br />

was ich sah, war der Kirchturm. Am Schlusse des Krieges<br />

bin ich also noch sehr gnädig geführt worden“ (s. S. 616).<br />

„Das erste, was ich sah, war der Kirchturm“, so Pfarrer<br />

Carl. Die 60 Männer aus <strong>Reichelsheim</strong>, die in jenem<br />

unsinnigen, mörderischen und verbrecherischen Krieg<br />

ihr Leben oder für Jahre ihre Freiheit lassen mußten -<br />

wie hatten sie sich nach dem Anblick jenes Bauwerks gesehnt,<br />

das über Jahrhunderte den Menschen Symbol des<br />

Zuhauses, der Heimat, der Sicherheit gewesen war!<br />

„Das erste, was ich (von <strong>Reichelsheim</strong>) sah, war der<br />

Kirchturml“<br />

Das mögen allerdings auch die Menschen später erzählt<br />

haben, die als Evakuierte aus den zerbomten Großstädten<br />

des Rhein-Main-Gebietes aufs Land geflüchtet<br />

waren. Für ungefähr 150 Personen, meist Frankfurter,<br />

mußte Quartier gefunden werden. Das war nicht leicht,<br />

zumal es sich um Menschen handelte, die neben ihrem<br />

Hab und Gut oft auch Angehörige bei den flächendekkenden<br />

Bombardements verloren hatten. Sie kamen<br />

hierher, zu Familien, deren Versorgung auch stark ein-<br />

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