Heimatbuch Reichelsheim 1992 OCR verlinkt
Reichelsheim in der goldenen Wetterau Historische Betrachtungen von Hagen Behrens Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim Bearbeitung: Hagen Behrens Umschlaggestaltung: Jean Bourdin Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main Erschienen 1992
Reichelsheim in der goldenen Wetterau
Historische Betrachtungen von Hagen Behrens
Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim
Bearbeitung: Hagen Behrens
Umschlaggestaltung: Jean Bourdin
Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main
Erschienen 1992
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Die Gänge und die Straßen pflegen zu Plätzen zuführen;<br />
sie dienten zum Aufenthalt bei Ansammlungen von<br />
Menschen, wie sie bei bestimmten Gelegenheiten vor<br />
dem Rathaus und vor den Kirchen stattfanden. .<br />
Wer nochmals auf den Stadtplan blickt oder sich <strong>Reichelsheim</strong><br />
mit seinem Straßennetz vorstellt, der erkennt:<br />
Fast alle Straßen liefen vormals auf die breite Hauptstraße,<br />
die Durchgangsstraße. zu. Es war leicht, von überall<br />
herkommend vor dem Rathaus oder vor dem Kirchplatz<br />
zu erscheinen, um Neuigkeiten, gute oder schlechte<br />
Nachrichten oder Ankündigungen, aus offiziellem Munde<br />
zu erfahren. Die engen Gassen. die zur Hauptstraße<br />
führten und noch führen, konnten wirklich nur jeweils<br />
von einem Fuhrwerk befahren werden. Sie waren eng,<br />
mußten aber auch eng sein, denn schließlich war innerhalb<br />
der Stadtmauern kein Quadratmeter Boden zu vergeuden.<br />
Daß <strong>Reichelsheim</strong> keine von Handel und Gewerbe geprägte<br />
Stadt war, das braucht nicht erst durch das Studium<br />
der Quellen belegt zu werden. <strong>Reichelsheim</strong> war<br />
eine Stadt der Bauern! Landwirtschaft war die Existenzgrundlage<br />
der großen Mehrheit der Menschen. Daß dies<br />
wirklich zutreffen ist, also daß <strong>Reichelsheim</strong> keine Kaufmanns-<br />
und auch keine Handwerkerstadt, sondern eine<br />
typische „Ackerbürgerstadt“ war, das zeigt das Straßenbild<br />
der „Durchgangsstraße“ zwischen Rathaus und dem<br />
heutigen Schuhhaus „Neun“ ganz deutlich:<br />
„Die Ackerbürgerstädte“ erscheinen „meist in Form<br />
einer breiten langen Straßenzeile, die zugleich Markt ist<br />
und an der rechts und links die Bauernhöfe und einige<br />
Handwerkerstellen liegen... Das Rathaus liegt an der<br />
Marktstraße, die Kirche hinter ihr“ (s. Erich Hamm,<br />
„Deutsche Stadtgründungen im Mittelalter“, S. 118, in:<br />
H. Stoob „Altständisches Bürgertum“, Bd. 3).<br />
Die Handwerker. meist auch die Gastwirte, hatten ihre<br />
Wirkungsstätten um 1700 in der Haingasse bzw. den<br />
anderen Nebengassen, wie Turmgasse oder Schweizergasse.<br />
Sie benötigten nicht so große Anwesen wie die<br />
Bauern, sie konnten es sich in der Regel auch nicht leisten,<br />
ihre Werkstätten in der Hauptstraße aufzuschlagen.<br />
Das Sprichwort „Handwerk hat einen goldenen Boden“<br />
traf für <strong>Reichelsheim</strong>, trotz der Einrichtung der<br />
Zünfte, erst viel später zu.<br />
Doch eines ist gewiß: In allen Straßen und Gassen<br />
herrschte reges Leben. Überall verspürte der Betrachter<br />
Aktivität. Dies mag auch daran gelegen haben, daß<br />
nicht jedes Haus oder jede kleine Hofreite mit einem<br />
eigenen Brunnen versehen war. S0 mußten die Mägde<br />
vor allem immer wieder zu einem der Gemeindebrunnen<br />
in der Neugasse in der Nähe des Amtshauses, am<br />
südlichen Rand der alten Apotheke und an der Bachgasse<br />
gehen und bottichweise dieses wichtige Nahrungsmittel<br />
für Mensch und Tier herbeischaffen. Die<br />
Frauen trugen die Bottiche oder Krüge meist auf dem<br />
Kopf, wobei der Druck auf diesen durch ein festgestopftes<br />
Rundkissen, die „Ketzel“, gemindert wurde.<br />
In gleicher Weise sah man die Frauen ihre zubereiteten<br />
Brote oder Kuchen zum Bäcker bringen, damit<br />
dieser sie backe, bzw. die fertige Ware von ihm abholen.<br />
74