Heimatbuch Reichelsheim 1992 OCR verlinkt
Reichelsheim in der goldenen Wetterau Historische Betrachtungen von Hagen Behrens Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim Bearbeitung: Hagen Behrens Umschlaggestaltung: Jean Bourdin Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main Erschienen 1992
Reichelsheim in der goldenen Wetterau
Historische Betrachtungen von Hagen Behrens
Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim
Bearbeitung: Hagen Behrens
Umschlaggestaltung: Jean Bourdin
Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main
Erschienen 1992
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ließ wirklich Hoffnung aufkommen, dies besonders nach<br />
dem harten Winter '1947/48, in dem die Menschen freiwillig<br />
zusammenrückten, um ja nicht zu erfrieren.<br />
Um die Ernährungssituation zu verbessern, gelang es<br />
schließlich der politischen Gemeinde, Ackerland auf der<br />
Unterbeunde von der Kirche anzupachten, um dieses als<br />
Gartenland an die Heimatvertriebenen weiterzugeben.<br />
Dies brachte Besserung in die Ernährungslage, aber es<br />
brachte in vielen Fällen auch Anerkennung: Die Alt-<br />
<strong>Reichelsheim</strong>er sahen mit Verwunderung und Achtung,<br />
was die neuen Mitbürger aus ihren kleinen Stücken<br />
durch Sorgfalt, Kenntnisreichtum und vor allem Fleiß<br />
herauszuholen imstande waren! Manch ein Kontakt bildete<br />
sich, sah man doch, daß die „Eingeplagten“, wie die<br />
Vertriebenen und Flüchtlinge von Mißgünstigen genannt<br />
wurden, kräftig zupackten, wenn sie die Möglichkeit dazu<br />
erhielten.<br />
Da die Wohnungsnot nicht abnahm, sondern sich eher<br />
von Monat zu Monat verschlechterte, bildete sich eine<br />
„Wohnungsgesellschaft“. Noch vor der Währungsreform<br />
trat sie an die Kirche heran, um in den Besitz von<br />
Land im Bereich „Haingraben“ zu kommen: Nach vielem<br />
Hin und Her gelang es, zu einem Übereinkommen<br />
zu gelangen: Die Kirche, der es durch Kontrollratsgesetz<br />
der Siegermächte nicht erlaubt war, Gelände zu verkaufen,<br />
verpachtete einen Streifen Land durch den alten<br />
Pfarrgarten, um einen Zugang zur Oberen Haingasse zu<br />
ermöglichen. So konnten bald die ersten Häuser gebaut<br />
werden. <strong>Reichelsheim</strong> begann sich nach Westen hin auszudehnen.<br />
In dieser Zeit erblühte auch langsam wieder das Vereinsleben.<br />
Manch ein Zugezogener fand durch die Vereine<br />
Zugang in die Häuser und die Herzen der Alteingesessenen.<br />
Aber auch sonst schien wieder alles „normaler“ zu<br />
werden: Vom Kirchturm läuteten seit 1947 bereits wieder<br />
2 Glocken zu den festgesetzten Zeiten, nachdem eine<br />
der 1940 abgelieferten Glocken unversehrt wieder ihren<br />
Wirkungsort im Kirchturm bekommen hatte. Und auch<br />
sonst schien sich das kirchliche Leben zu normalisieren,<br />
traten doch wieder viele der Gemeinschaft der evangelischen<br />
Christen bei, nachdem sie einige Jahre zuvor aus<br />
politischen Erwägungen ihr den Rücken gekehrt hatten.<br />
Und zur Zufriedenheit des Pfarrers fanden sich genügend<br />
Gemeindemitglieder, die bereit waren, für ein ehrenamtliches<br />
Mandat in der Kirchenvertretung oder gar<br />
im Kirchenvorstand zu kandidieren.<br />
Durch die große Zahl von Neubürgern entwickelte<br />
sich die Schulsituation zu einer Katastrophe: Im Historischen<br />
Rathaus, das in seinem 1. Stock nur zwei Schulräume<br />
beherbergte, gab es anfänglich gar keinen Unterricht,<br />
weil es durch den Krieg überhaupt keine Lehrer<br />
gab. Doch dann sollten in diesen 2 Räumchen 200 Schulkinder<br />
Platz finden! Es blieb nur eine organisatorische<br />
Lösung: Unterricht rund um die Uhr, also in zwei oder<br />
gar drei Schichten! Um das leisten zu können, wurde zusätzlich<br />
ein Raum im Lehrerwohnhaus (Florstädter Straße<br />
/ Neugasse) in ein Klassenzimmer umgewandelt. Die<br />
Eltern, die sich gewiß Besseres und Schöneres für ihre<br />
Kinder vorgestellt hatten, unterstützten die Lehrer, die<br />
anfänglich meist nur Hilfslehrer oder „Schulamtsanwärter“<br />
waren, nach besten Kräften, damit sie die Schülergruppen<br />
von meist 40 Kindern pro Klasse im „Griff“ behalten<br />
konnten.<br />
Schon 1949 begann wegen der unbeschreiblichen<br />
Raumnot die Planung für ein neues Schulgebäude. Doch<br />
es dauerte noch mehrere Jahre, bis es zum ersten Spatenstich<br />
für das Gebäude kam. Die Bürgerschaft war nämlich<br />
geteilter Auffassung über den rechten Standort:<br />
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