Heimatbuch Reichelsheim 1992 OCR verlinkt
Reichelsheim in der goldenen Wetterau Historische Betrachtungen von Hagen Behrens Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim Bearbeitung: Hagen Behrens Umschlaggestaltung: Jean Bourdin Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main Erschienen 1992
Reichelsheim in der goldenen Wetterau
Historische Betrachtungen von Hagen Behrens
Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim
Bearbeitung: Hagen Behrens
Umschlaggestaltung: Jean Bourdin
Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main
Erschienen 1992
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Zuerst kamen Briefe, Pakete zurück mit dem Vermerk:<br />
Gefallen! Verwundet! oder Vermißt! Auch das andere<br />
Wort: Gefangen! Das waren furchtbare Tage und Wochen<br />
für die Angehörigen und uns. 1914 hatten wir 5 Gefallene<br />
und 2 Vermißte sowie einen Gefangenen zu beklagen“<br />
(s. S. 443 f.).<br />
Daß Krieg herrschte, das merkten die Menschen auch<br />
sehr schnell an den steigenden Preisen. lm Frühjahr 1915<br />
wurden bereits die ersten Lebcnsmittelkarten ausgegeben.<br />
„Wir ahnten damals noch nicht, was das Gespenst<br />
des Hungers noch alles über unser deutsches Volk bringen<br />
würde“ (s. S. 455).<br />
Doch schon ein Jahr später werden in den Städten die<br />
Lebensmittel knapp. Die Preise erreichen unvorstellbare<br />
Höhen. Den Bauern wird untersagt, ohne Genehmigung<br />
Hausschlachtungen vorzunehmen -ihre eigenen Vorräte<br />
werden amtlich erfaßt, damit kein Schwarzhandel möglich<br />
wird. Selbst das Obst im eigenen Garten wird amtlich<br />
geschätzt, und es ist den Besitzern nicht erlaubt, über die<br />
Ernte frei zu verfügen.<br />
Und immer wieder kommen die schlimmen Nachrichten<br />
von der Front: Gefallen! Vermißt! Gefangen! Verwundet!<br />
„Seit Ende Februar (1916) tobt die Schlacht bei Verdun<br />
_ . . Der Kanonendonner ist so stark, daß wir ihn hier,<br />
besonders nachmittags, genau hören konnten“ (s. S.<br />
461).<br />
„Es wurden immer mehrjunge und alte Leute eingezogen,<br />
daneben wurden viele Urlaubsgesuche und Reklamationen<br />
eingereicht. .. Es gab da manches Unwahrhaftiges<br />
in diesen Gesuchen. Hierdurch entstand Unzufriedenheit<br />
bei den andern, die Jahr für Jahr im Felde stehen<br />
mußten“ (s. S. 463).<br />
In diesem Zusammenhang machte Pfarrer Vogel aber<br />
folgende Bemerkung: „Es muß freilich aber auch anerkannt<br />
werden, daß durch die Einberufungen sehr große<br />
Lücken entstanden sind. Die ganze Arbeit liegt auf den<br />
Schultern von alten Leuten, die sich vielfach schon zur<br />
Ruhe gesetzt hatten, oder auf den Schultern der Frauen.<br />
Wir haben unter den Frauen manche Heldin aufzuweisen.<br />
So manche ist unter ihrer Last zusammengebrochen,<br />
aber sie mußte weiter schaffen“ (s. S. 464).<br />
Wegen der Knappheit an Rohstoffen mußten alle<br />
Haushaltungen, auch die in <strong>Reichelsheim</strong>, alle Wertstoffe,<br />
Kupfer, Zinn, Zink, Eisen, die irgendwie entbehrlieh<br />
waren, abliefern. Manches Erinnerungsstück wurde anschließend<br />
eingeschmolzen, um Kanone oder Kugel zu<br />
werden. Selbst 37 Zinnpfeifen der Orgel der <strong>Reichelsheim</strong>er<br />
Kirche mußten in Friedberg abgeliefert werden,<br />
ebenso eine der Glocken und das kleine Glöckchen am<br />
Rathaus, das „Siegfriedsglöckchen“, das einst der<br />
Schlosser Siegfried Vogt gespendet hatte.<br />
ln <strong>Reichelsheim</strong> wurde es stiller.<br />
1 914: Verwanclete des Ersten Weltkrieges vor<br />
dem Pfarrhaus, in dem Pfarrer Vogel (links) ein<br />
Genesungs-Lazarett eingerichtet hatte<br />
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