Heimatbuch Reichelsheim 1992 OCR verlinkt
Reichelsheim in der goldenen Wetterau Historische Betrachtungen von Hagen Behrens Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim Bearbeitung: Hagen Behrens Umschlaggestaltung: Jean Bourdin Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main Erschienen 1992
Reichelsheim in der goldenen Wetterau
Historische Betrachtungen von Hagen Behrens
Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim
Bearbeitung: Hagen Behrens
Umschlaggestaltung: Jean Bourdin
Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main
Erschienen 1992
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
zeit; die Bäume gaben dem Ort auch Schutz vor den<br />
manchmal scharfen West- und vor allem Süd-West-<br />
Winden.<br />
Für Vögel aller Art, aber auch für Klein- und Niederwild<br />
war eine derart strukturierte Landschaft ein Paradies.<br />
Störche waren, wie die älteren Mitbürger unserer<br />
Stadt noch heute wissen, in und um <strong>Reichelsheim</strong> so<br />
selbstverständlich wie der wiederkehrende Frühling.<br />
Die <strong>Reichelsheim</strong>er Kinder lernten nicht nur sehr<br />
schnell die heimischen Vögel und Tiere kennen. Sie lernten<br />
von jungen Beinen an die Bedeutung ihres Lebensumfeldes<br />
kennen. Sie wußten durch die Gespräche der<br />
Eltern und Nachbarn, wie wichtig die Weiden, Wiesen<br />
und Felder waren; sie hörten von den geschilderten<br />
Streitereien zwischen den Orten um die Wiesen und Weiden,<br />
bzw. um die Grenzziehung. Sie nahmen „Partei“ für<br />
ihre Väter, wenn diese wieder einmal eine „unberechtigt“<br />
weidende Kuh eines Heuchelheimer, Weckesheimer<br />
oder Leidhecker Bauern in ihren eigenen Stall getrieben<br />
hatten und diese erst gegen Zahlung eines „anständigen“<br />
Entgeltes wieder ihrem ursprünglichen Besitzer<br />
freigaben! Die Kinder hörten aber auch von dem sich<br />
wiederholenden Ärger des <strong>Reichelsheim</strong>er Müllers mit<br />
Bingenheim, das - vor allem in regenarmen Jahren - das<br />
Wasser staute, damit ihr eigener Müller dann Wasser<br />
hatte, wenn er es zum Betreiben seiner Mühle benötigte,<br />
oder wenn ihre eigenen im Bingenheimer Ried weidenden<br />
Herden mehr Wasser brauchten... Bingenheim lag flußaufwärts<br />
und konnte deswegen leicht den Wasserstand regulieren!<br />
Sie hörten allerdings auch von Beschwerden der<br />
Bingenheimer, Gettenauer und Heuchelheimer gegenüber<br />
dem <strong>Reichelsheim</strong>er Müller, der in nassen Jahreszeiten<br />
bzw. Jahren das Wasser gestaut haben soll, wodurch die<br />
Horloff die Wiesen im Bingenheimer Ried noch stärker<br />
überschwemmten bzw. dem Bingenheimer Müller das<br />
Mahlen des Kornes wesentlich erschwert wurde. Auch<br />
wurde ihm vorgeworfen, unerlaubte Veränderungen<br />
(Erhöhung des Wehres) durchgeführt zu haben!<br />
Die Kinder hörten aus den Gesprächen der Erwachsenen<br />
in diesem Zusammenhang auch, wie schlecht Ortschaften<br />
wie Dorn-Asscnheiın dran waren. Dieser Nachbarort<br />
hatte durch Brunnen zwar genügend Wasser zur<br />
Versorgung von Menschen und Vieh. Aber Dorn-Assenheim<br />
hatte keinen großen Bach oder kleinen Fluß! Und<br />
deswegen hatten sie nicht genügend Wiesen zur Versorgung<br />
des Vichs mit Heu, vor allem aber hatten sie keine<br />
Mühle. Da auch dieser Ort ein recht isolierter Herrschaftsbereich<br />
war, zudem durch den katholischen Glauben von<br />
dem protestantischen Umfeld abgeschlossen, hatten die<br />
Bewohner Schwierigkeiten, Mehl aus ihrem Ernteertrag zu<br />
gewinnen. Erst durch Beschluß der Adelsherrschaftcn von<br />
<strong>Reichelsheim</strong> und Dorn-Assenheim wurde der <strong>Reichelsheim</strong>er<br />
Müller verpflichtet, auch das Getreide des Nachbarortes<br />
zu mahlen. Wenn die Horloff genügend Wasser<br />
führte, hatten auch er und die <strong>Reichelsheim</strong>er Bauern<br />
nichts dagegen einzuwenden. Aber wenn nicht?<br />
Die Kinder hörten auch davon, wie abhängig die<br />
Handwerker von der _jewciligcıı Wirtsehaftssituation in<br />
der Stadt waren: Gab es eine Mißernte, ließen die Bauern<br />
ihre Scheune nicht durch die Zimmerleute ausbessern;<br />
hatte der Zimmermann keine Arbeit und damit<br />
Verdienst, so konnte er für sich und seine Familie keine<br />
Schuhe beim Schuhmacher bestellen; hatte der Schuhmacher<br />
keine Aufträge, konnte er sich keinen neuen Kittel<br />
beim Schneider machen lassen.. _<br />
Die Kinder lernten durch all dies von klein aufdie Bedeutung<br />
von Wind, Regen, Schnee, Sonne, Trockenheit<br />
kennen. Sie lernten die Abhängigkeit der Menschen von<br />
den Einflüssen der Natur kennen -lernten aber auch für<br />
ihren Vorteil zu kämpfen. .!<br />
77