Heimatbuch Reichelsheim 1992 OCR verlinkt
Reichelsheim in der goldenen Wetterau Historische Betrachtungen von Hagen Behrens Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim Bearbeitung: Hagen Behrens Umschlaggestaltung: Jean Bourdin Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main Erschienen 1992
Reichelsheim in der goldenen Wetterau
Historische Betrachtungen von Hagen Behrens
Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim
Bearbeitung: Hagen Behrens
Umschlaggestaltung: Jean Bourdin
Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main
Erschienen 1992
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den, doch anfangs hier weniger Anklang. Als aber nach<br />
und nach die Nachricht von den Bewegungen in dem ganzen<br />
Nassauischen Ländchen auch hierher drang und man<br />
die Rechte und die Freiheiten, welche man gefordert hatte<br />
und die von unserem Herzoge Adolph verwilligt worden<br />
waren, zu begreifen anfing, ja als in ganz Deutschland<br />
der Freiheitswunsch erwachte, nahm man auch hier<br />
einen immer größeren Anteil an der politischen Begeisterung,<br />
welche alle deutschen Gemüter ergriff. Man<br />
lechzte nach jedem Zeitungsblatt, kam in den Wirtshäusern<br />
zusammen, um sich die neuen Mähren zu verkünden<br />
und zu holen, holte alte verrostete Flinten und Büchsen<br />
hervor, um sie zu probieren, machte Miene, eine Bürgerwehr<br />
zu errichten, bildete ein Sicherheitskommitee, sang<br />
,Heckerlieder“ (Hecker war ein Kämpfer für radikale liberale<br />
Freiheitsrechte im Badischen gewesen), prunkte<br />
mit schwarz-rot-goldenen Fahnen (Fahne der revolutionär-demokratischen<br />
Burschenschaftsbewegung) und beriet<br />
in Versammlungen, wie man die gewordenen Freiheiten<br />
am besten zu seinem eigenen Vorteile benutzen<br />
kann. Jedoch zum Lobe <strong>Reichelsheim</strong>s muß man es sagen,<br />
daß es bei allem erwachten Freiheitsrausche doch<br />
sich stets fast ganz in den Grenzen der Ordnung und Mäßigkeit<br />
hielt. Während man hörte, daß in vielen Orten<br />
Excesse aller Art vorfielen, beschränkte man sich hier<br />
auf einige Pasquille (= Schmähschriften gegen bestimmte<br />
Herrschaften, in diesem Fall gegen den Herzog), welche<br />
man legte, und Drohungen, welche man aussprach.<br />
Zwar bannte der Unfug, welcher jetzt mit der Presse<br />
getrieben wurde, das gemeine Schimpfen und Schelten,<br />
das in den Volksversammlungen an der Tagesordnung<br />
war und sich hauptsächlich gegen die Fürsten Deutschlands,<br />
des Adels, die Kirchen und Angestellten wendete,<br />
der Rufer des Kommunismus, das Eigentum müsse geteilt<br />
werden, das unbesonne Reden der Freiheitsschwindler<br />
über gänzliche Abschaffung aller bisherigen<br />
Lasten und Steuern, nicht ohne Einwirkung aufdie hiesigen<br />
Einwohner blieben. Aber wenn auch in Manchem<br />
das Gelüste nach Aufteilung des Eigentums sich regte,<br />
sich in beklagenswertes Mißtrauen gegen die Vorgesetzten<br />
immer kund tat und die Unzufriedenheit der Minderbegüterten<br />
dahier immer mehr um sich griff; so behielt<br />
dieses alles doch mehr eine locale Richtung.<br />
An größere politische Vereine schloß man sich nicht an.<br />
Man arbeitete weniger oder gar nicht an den Umsturz der<br />
bestehenden Staatsverfassung, sondern wollte nur in dem<br />
Gemeinwesen Neuerungen schaffen. Namentlich glaubten<br />
die Ärmeren, in der Gemeindehaushaltung größere Vorteile<br />
erringen zu müssen, und sie setzten es auch mit Hilfe<br />
des Mittelstandes durch, in diesem Jahr von der Abtragung<br />
der Schulden, welche auch die Gemeinde hat. ganz abzusehen,<br />
und dafürjedem einzelnen Ortsbürger größere Anteile<br />
an den Gemeindewiesen zu geben.“<br />
Auch wenn diese „Revolution“ wegen der Uneinigkeit<br />
der Bürgerschaft, wegen der wenig konkretisicrten Form<br />
der politischen Vorstellungen bald scheiterte, so verblieb<br />
als eine Art Nebenprodukt eine Konsequenz bestehen,<br />
die bis heute keine Umkehr, sondern im Bewußtsein der<br />
Menschen eher noch eine Bestätigung fand: Das war die<br />
eingeleitete Trennung von Staat und Kirche. Das, was<br />
durch die „Säkularisierung“ der geistlichen Fürstentümer<br />
im Jahre 1801 mit der Aufhebung des „Reichsbannes“<br />
(= „Ein Staat - eine Kirche“) eingeleitet worden<br />
war, fand nun seine historisch logische Fortsetzung! Die<br />
Kirche erhielt jetzt, wie Pfarrer Frankenfeld berichtete,<br />
„eine freie selbständige Stellung im Staate“, sie war nun<br />
nicht mehr Teil der Staatsgewalt. Anweisungen des Herzogs,<br />
z. B. zu bestimmten Festtagen Predigten zu bestimmten<br />
Themen unter bestimmten Bibelworten zu halten,<br />
das war nun nicht mehr möglich. Jeder Pfarrer war<br />
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