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Heimatbuch Reichelsheim 1992 OCR verlinkt

Reichelsheim in der goldenen Wetterau Historische Betrachtungen von Hagen Behrens Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim Bearbeitung: Hagen Behrens Umschlaggestaltung: Jean Bourdin Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main Erschienen 1992

Reichelsheim in der goldenen Wetterau
Historische Betrachtungen von Hagen Behrens
Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim
Bearbeitung: Hagen Behrens
Umschlaggestaltung: Jean Bourdin
Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main
Erschienen 1992

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Umsturzwille ist, wir dürfen uns wahrhaftig nicht in Illusionen<br />

wiegen, bei einem Teil sicherlich vorhanden. Der<br />

andere Teil hat lediglich Protest gewollt. Protest. _ . gegen<br />

die Methoden des Regierens und Nichtregierens, des<br />

entschlußlosen parlamentarischen Parlamentierens der<br />

letztvergangenen Jahre . . _ Protest gegen die wirtschaftliche<br />

Not, die fruchtbar ist und die viele, zum Teil aus ehrlicher<br />

Verzweiflung, zum anderen bloß aus Ärger über<br />

diese oder jene Einzelmaßnahme, einfach in die Stimmung<br />

treibt: die Partei, für die sie bisher gestimmt hatten,<br />

habe ihnen nicht geholfen, also versuche man es nun<br />

einmal mit einer anderen Tonart. Hitler verspricht ja<br />

Macht, Glanz und Wohlstand. Alsol“ (Entnommen: W.<br />

Tormin „Die Weimarer Republik“, S. 197)<br />

Die Weltwirtschaftskrise, der die Reichsregierung seit<br />

1930 mit der Politik der „Gesundschrumpfung der Wirtschaft“<br />

begegnen wollte, die aber vor allem zu Firmenzusammenbrüchen,<br />

zu rapide steigender Arbeitslosigkeit,<br />

zu Wohnungslosigkeit (die Mieten konnten nicht mehr<br />

bezahlt werden / neue, billige Wohnungen wurden wegen<br />

fehlender Finanzmittel nicht mehr gebaut) und damit<br />

zu Verzweiflung führte, zumal kaum eine soziale Absicherung<br />

von seiten des Staates gegeben war - dies alles<br />

zeigte bald Wirkung, vor allem dort, wo die Lawine<br />

schon ins Rutschen gekommen war!<br />

Betreffend der sozialen und politischen Situation in<br />

<strong>Reichelsheim</strong> schrieb Pfarrer Rühl: „In diesem Jahr 1931<br />

fing die wirtschaftliche Not an, sehr fühlbar zu werden.<br />

Sogar in unserem landwirtschaftlich noch stark orientierten<br />

<strong>Reichelsheim</strong> wuchs die Zahl der Arbeitslosen und<br />

auch der Bauer kam in Not. Die Steuern wuchsen unaufhörlich,<br />

während die Preise für die Erzeugnisse, Frucht<br />

und Schlachtvieh immer weiter zurückgehen. Man sieht<br />

diese Not z. B. an einem Zeichen: Während es in der Inflationszeit<br />

kaum möglich war, in der Eisenbahn einen<br />

Sitzplatz zu bekommen, ist eben dieselbe oft so leer, daß<br />

wohl kaum die Unkosten für die Züge gedeckt werden.<br />

Die Bahnverwaltung läßt auch die Züge immer kürzer<br />

werden.<br />

ln diese Zeit der Not und die damit verbundene Stimmung<br />

der Niedergedrücktheit und der Verzweiflung hinein<br />

trafdann im Herbst das Einsetzen einer Flutwelle von<br />

nationalsozialistischer Agitation. Unser <strong>Reichelsheim</strong>,<br />

das gewohnt war, sich auch bei großen politischen Versammlungen<br />

zurückzuhalten, bei denen die meisten<br />

Wahlredner-Versammlungen im Wirtszimmer abgehalten<br />

wurden, sah aufeinmal Versammlungen im zum Brechen<br />

überfüllten Saal, erlebte aufeinmal, daß erst junge<br />

Mädchen, später auch verheiratete Frauen zum Zuhören<br />

bei diesen Versammlungen erschienen. Als dann Hitler<br />

selbst in Gießen sprach, fuhr die Hälfte der Einwohnerzahl<br />

dorthin, um ihn zu hören.<br />

_<br />

Am 15. November war dann die Landtagswahl. Sie bedeutete<br />

für <strong>Reichelsheim</strong> den unbestrittenen Einzug des<br />

Nationalsozialismus:<br />

Nationalsozialisten: 340 Stimmen = 68,97 %<br />

Sozialdemokraten: 48 Stimmen = 9,74 %<br />

Landbund: 38 Stimmen = 7,71 %<br />

Kommunisten: 22 Stimmen = 4,46 %<br />

Deutsche Volkspartei: 18 Stimmen = 3,65 %<br />

Deutschnationale VP: 9 Stimmen = 1,83 %<br />

Sozialist. Arbeiterpartei: 7 Stimmen = 1,42 %<br />

Christlich Soziale: 6 Stimmen = 1,22 %<br />

Kommunistische Opposition: 2 Stimmen = 0,41 %<br />

Radikaldemokraten: 2 Stimmen = 0,41 %<br />

Zentrum: 1 Stimmen = 0,20 %<br />

In diesen Zahlen spiegelt sich zugleich die starke Zersplitterung,<br />

ein Zeichen der Ratlosigkeit der Wählerschaft<br />

soweit sie nicht auf Hitlers Seite stand. Unerhört<br />

ist der Rückgang des Landbundes, der bis dahin hier sei-<br />

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