Heimatbuch Reichelsheim 1992 OCR verlinkt
Reichelsheim in der goldenen Wetterau Historische Betrachtungen von Hagen Behrens Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim Bearbeitung: Hagen Behrens Umschlaggestaltung: Jean Bourdin Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main Erschienen 1992
Reichelsheim in der goldenen Wetterau
Historische Betrachtungen von Hagen Behrens
Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim
Bearbeitung: Hagen Behrens
Umschlaggestaltung: Jean Bourdin
Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main
Erschienen 1992
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leben in <strong>Reichelsheim</strong> zu bereichern. Als Pfarrer mußte<br />
er aber bald mit tiefem Bedauern feststellen, daß es<br />
zwischen politisch-weltlicher Gemeinde und Kirche zu<br />
einer Entfremdung kam. Daß diese Trennung besonders<br />
von dem herrschenden System gefördert wurde,<br />
mußte ihn besonders gekränkt haben, sah er doch<br />
selbst offiziell keinen Widerspruch zwischen christlichevangelischer<br />
Anschauung und NS-Ideologie; und er<br />
glaubte wahrscheinlich auch an die Aussagen Hitlers<br />
in seiner Regierungserklärung vom 1. Februar 1933,<br />
daß „das Christentum als Basis unserer gesamten Moral“<br />
anzusehen sei bzw. daß „beide christliche Konfessionen<br />
wichtigste Faktoren der Erhaltung unseres<br />
Volkstums“ seien (s. E. Aleff „Das Dritte Reich“,<br />
S. 49).<br />
Carl mußte feststellen, daß immer mehr Menschen<br />
aus seiner Kirche austraten; auch wurde auf Druck der<br />
Kreisleitung der NSDAP der damalige Bürgermeister<br />
veranlaßt, seine Funktion als Vositzender des Kirchenvorstandes<br />
aufzugeben, weil sich angeblich die Mitgliedschaft<br />
im Kirchenvorstand mit dem nationalsozialistisch<br />
geprägten Bürgermeisteramt im Dritten Reich<br />
nicht vereinbaren ließe. Damit war ein Bruch in die<br />
<strong>Reichelsheim</strong>er Tradition eingetreten, wonach der<br />
Bürgermeister stets Mitglied, sehr häufig auch Vorsit-<br />
zender des Kirchenvorstandes war - ein Bruch, der<br />
Wirkungen auf das Verhältnis zwischen weltlicher und<br />
kirchlicher Gemeinde haben mußte. Wie sehr dieser<br />
Bruch von der NS-Bewegung gewollt war, zeigt die<br />
Tatsache, daß ab Frühjahr 1938 kein Pfarrer mehr Religionsunterricht<br />
an den Schulen erteilen durfte - auch<br />
nicht Pfarrer Carl, was diesen sehr betrübte.<br />
Doch dies trübte nicht das Verhältnis der <strong>Reichelsheim</strong>er<br />
zum herrschenden Regime. Die NS-Propaganda<br />
sorgte durch die unendliche Reihe von „Erfolgsmeldungen“,<br />
daß die Stimmung insgesamt optimistisch blieb.<br />
Daß vieles gar nicht selbst erzielt, sondern Ergebnis<br />
einer verbesserten Weltkonjunktur war, das wurde -<br />
wenn überhaupt - nur am Rande erwähnt. Daß die Senkung<br />
der Arbeitslosenzahlen auch etwas damit zu tun<br />
hatte, daß der Arbeitsdienst eingeführt worden war, daß<br />
die Frauen aus den Stellungen im öffentlichen Dienst<br />
oder die jüdischen Mitbürger nach und nach aus allen Bereichen<br />
des Arbeitslebens verdrängt wurden - das wurde<br />
nicht gemeldet. Statt dessen wurden „Arbeitsdienst“,<br />
der Bau von Kasernen, Flugplätzen, Autobahnen propagandistisch<br />
herausgestellt und immer und immer wieder<br />
bejubelt. Der Glaube an den herbeigesehnten Aufschwung<br />
wurde festgehalten - auch wenn in den Lohntüten<br />
der einfachen Menschen keine Steigerung erkennbar<br />
war!<br />
„Arbeitsleben/A rbeitsdank “, Mitte der 30er Jahre<br />
(Bilder im Besitz der Familie Diel)<br />
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