Heimatbuch Reichelsheim 1992 OCR verlinkt
Reichelsheim in der goldenen Wetterau Historische Betrachtungen von Hagen Behrens Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim Bearbeitung: Hagen Behrens Umschlaggestaltung: Jean Bourdin Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main Erschienen 1992
Reichelsheim in der goldenen Wetterau
Historische Betrachtungen von Hagen Behrens
Herausgeber: Magistrat der Stadt Reichelsheim
Bearbeitung: Hagen Behrens
Umschlaggestaltung: Jean Bourdin
Gesamtherstellung: Friedrich Bischoff Druckerei GmbH, Frankfurt/Main
Erschienen 1992
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
ders in unserem kleinen Landstädtchen Auswirkungen<br />
zeigen.<br />
Das Leben der Einwohner hatte sich gegenüber der<br />
Zeit vor dem Kriege verändert. Die Staatsverschuldung,<br />
hervorgerufen durch den Krieg und seine Folgen, steigerte<br />
die schon während des Krieges begonnene starke<br />
Geldentwertung. Da die'Preise für die Lebensmittel<br />
schneller stiegen als die Löhne und Gehälter, gab es<br />
Streiks, die nach Einführung der Tarifautonomie nach<br />
dem Kriege erlaubt waren - für die Bewohner landwirtschaftlich<br />
geprägter Ortschaften etwas Fremdes, Unbegreifliches.<br />
Als 1919 auch wegen eines Bahnarbeiterstreiks der<br />
Bahnverkehr zwischen Friedberg und Nidda ruhte, zeigt<br />
der Pfarrer wenig Verständnis, bekämen sie doch bei<br />
rat<br />
Auch wenn die Zeiten. schlecht waren:<br />
Jubiläen der Vereine wurden gefeiert/<br />
I0. Juli 1920: Festzug zum 75ja`hrigen Bestehen<br />
des Gesangvereins „Liederkranz“<br />
(Foto im Original im Besitz der Familie Winter)<br />
gimıå<br />
einem 8-Stunden-Tag stattliche 370 Mark ausbezahlt. In<br />
seiner Entrüstung über den Streik vergaß er den Widerspruch,<br />
der ihm wenige Zeilen darunter mit der Mitteilung<br />
unterlief: „Die Preise für alle Lebensmittel steigen weiterhin.<br />
Ein Ferkel wird für 250-300 verkauft“ (s. S. 486).<br />
Wie schlecht insgesamt die Nahrungs- und damit die<br />
Gesundheitssituation im Winter 1919/1920 war, das verrät<br />
ein kleiner Hinweis des Pfarrers über die Folgen einer<br />
Grippe-Epidemie: „Im Monat Februar stand ich an 6 frischen<br />
Gräbern“ (s. S. 492).<br />
Daß die Stimmung bezüglich der demokratischen Republik<br />
in <strong>Reichelsheim</strong> wirklich schlecht war, beweisen<br />
Eintragungen in der Kirchenchronik zum sogenannten<br />
Kapp-Putsch im März 1920, mit dem Kapp und General<br />
Lüttwitz verhindern wollten, daß zumindest die Bestimmungen<br />
des Versailler Vertrages betreffend der Stärke<br />
der Reichswehr in Kraft treten würden. Diesen Putsch<br />
nannte Vogel eine „Gegenrevolution“. Und weiter äußert<br />
er, daß sich „viele wegen des seitherigen furchtbaren<br />
Elends und Niedergang Deutschlands“ freuten. Der<br />
Umsturz, an den viele <strong>Reichelsheim</strong>er demnach geglaubt<br />
hatten, fand nicht statt, Kapp flüchtete verkleidet und<br />
maskiert ins Ausland.<br />
Allerdings hatte dieser Putsch zur Folge, daß sich die<br />
großen Parteien in Berlin auf vorgezogene Neuwahlen<br />
zum Reichstag einigten. Sie fanden im Juni 1920 statt:<br />
Ergebnis:<br />
Partei<br />
<strong>Reichelsheim</strong> Reich<br />
DNVP 60,71 % 15,1 %<br />
DVP 13,33 % 14,0%<br />
DDP<br />
1,67 '% 8,4%<br />
Z + BVP (Bayr. Volkspartei) - 22,0 %<br />
SPD 9,52 % 21,6 %<br />
USPD<br />
14,76 '% 18,0 %<br />
KPD (Kommunistische Partei) - 2,0%<br />
143