Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 22953<br />
Dagmar G. Wöhrl<br />
(A)<br />
(B)<br />
schen. Sie sind im Südsudan zurzeit am stärksten von der<br />
Hungersnot, von Kämpfen, von permanenter Angst und<br />
vielem mehr bedroht, und viele Kinder sind traumatisiert.<br />
Diese Menschen haben nichts von Einigkeit, Einheit und<br />
Geschlossenheit. Im Südsudan wurde eine offizielle<br />
Hungersnot ausgerufen. Das ist nicht nur die erste Stufe<br />
einer Warnung, die ausgerufen wird, bevor sich eine<br />
Hungersnot anzeigt. Eine offizielle Hungersnot ist der<br />
schlimmste aller Fälle, das Schlimmste, was man sich in<br />
diesem Bereich überhaupt vorstellen kann.<br />
Südsudan ist der jüngste Staat der Welt. Wie euphorisch<br />
waren wir alle hier im Plenum gewesen – viele<br />
Kolleginnen und Kollegen erinnern sich noch daran –,<br />
als wir diesen Staat nach 22 Jahren Bürgerkrieg endlich<br />
haben aus der Taufe heben können! Zwei Jahre hat das<br />
gehalten. Danach ging wieder der Bürgerkrieg los. Der<br />
Bürgerkrieg ist der entscheidende Unterschied zu anderen<br />
Ländern Afrikas, die zurzeit auch bedroht sind von<br />
Dürre oder Überschwemmungen, ausgelöst von Naturkatastrophen<br />
wie El Niño, die die Ernten vernichten. Im<br />
Bürgerkrieg wird Aushungern als Waffe eingesetzt, Bauern<br />
werden ausgeplündert, das Vieh getötet – man sagt,<br />
zuerst stirbt das Vieh, und dann stirbt der Mensch. Das<br />
Getreide wird vernichtet, es kommt zu Massenvergewaltigungen,<br />
Zivilisten werden gezielt bombardiert, Kinder<br />
zu Kindersoldaten rekrutiert und vieles andere mehr.<br />
Es findet eine ethnische Säuberung statt – eine ethnische<br />
Säuberung im Zuge des Konflikts zwischen zwei<br />
rivalisierenden Gruppen, und zwar denen von Salva Kiir,<br />
also den mit der Regierung verbündeten Milizen, und den<br />
Truppen seines Gegners, denen des Rebellenführers Riek<br />
Machar. Beide stehen sich hier in nichts nach. Es ist ein<br />
gewolltes Chaos, das hier herbeigeführt wurde.<br />
Das Vermögen beider hat sich während des Bürgerkriegs<br />
– das ist von den Kolleginnen und Kollegen schon<br />
angesprochen worden – um ein Vielfaches vermehrt.<br />
Es geht um die Macht im Land. Es geht aber auch um<br />
die großen Ölvorkommen im Land, die 97 Prozent der<br />
Staatseinnahmen ausmachen und die ausschließlich an<br />
China fließen. Da braucht man sich nicht zu wundern,<br />
dass das Waffenembargo, das der Weltsicherheitsrat verhängen<br />
wollte, an China und Russland gescheitert ist.<br />
Auch wenn der Sicherheitsrat diese Woche einen neuen<br />
Anlauf unternommen hat, sind wieder nur Empfehlungen<br />
herausgekommen. Auch diesen Worten werden keine Taten<br />
folgen.<br />
Wir müssen sehen, dass es hier um ein Verbrechen<br />
gegen die Menschlichkeit geht. Es gibt im Land über<br />
3 Millionen Flüchtlinge, allein 2 Millionen Binnenflüchtlinge,<br />
und 1,5 Millionen Menschen haben Zuflucht<br />
in den Nachbarländern gesucht. Allein in Uganda sind<br />
es 800 000 Menschen. Der Kollege hat vollkommen<br />
zu Recht gesagt, dass die Menschen bisher noch in die<br />
Nachbarländer fliehen – vor Hunger und Vergewaltigungen,<br />
aus Angst und um ihre Familien in Sicherheit<br />
zu bringen. Aber die Grenze zum Sudan ist offen, und<br />
Sudan grenzt an Libyen. Wir wissen, was vor der libyschen<br />
Küste liegt, nämlich Europa. Auch das muss man<br />
in diesem Zusammenhang sehen.<br />
(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Die allermeisten<br />
gehen nach Uganda! Das ist eine absurde<br />
Theorie!)<br />
Das ist eine Conditio, die gewichtig ist. Die Weltgemeinschaft<br />
muss aufwachen. Wir müssen sehen, was hier passiert.<br />
Ich bin Ihnen für diese Debatte dankbar; denn zu<br />
1 Million Menschen haben wir keinen humanitären Zugang.<br />
Das Ministerium hat inzwischen auf Hungermodus<br />
umgeschaltet. Wir unterstützen jetzt primär die vulnerable<br />
Bevölkerung, also Familien, Kinder und Frauen, die<br />
vergewaltigt wurden. Wir müssen deswegen dafür sorgen,<br />
dass wir Zugang zu den entsprechenden Gegenden<br />
bekommen. Auch internationale Hilfsorganisationen<br />
werden zurzeit daran gehindert, in große Teile des Landes<br />
vorzudringen. UNMISS wird ebenfalls daran gehindert,<br />
unterstützend tätig zu werden.<br />
Ich glaube, ein ganz großes Dankeschön müssen wir<br />
den vielen Helfern sagen, die dort trotz großer Gefahr für<br />
Leib und Leben noch im Land aktiv sind.<br />
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten<br />
der SPD und des BÜNDNISSES 90/<br />
DIE GRÜNEN)<br />
Seit 2013 sind dort 97 Helfer und Helferinnen gestorben,<br />
die für die Ärmsten der Armen da waren – allein 6 in der<br />
letzten Woche, als sie versucht haben, mit einem Konvoi<br />
mit Hilfsmitteln nach Unity vorzudringen.<br />
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die dortige Regierung<br />
schämt sich auch nicht, mit diesen Hilfeleistungen<br />
Geld zu machen. Früher hat ein Visum 100 Dollar<br />
gekostet, jetzt kostet das Visum für einen Helfer fast<br />
10 000 Dollar – das muss man sich einmal vorstellen –,<br />
nur damit sich die Regierung und die vielen an der Spitze<br />
dieses Landes die Taschen vollmachen können.<br />
(Michael Brand [CDU/CSU]: Eine Schande<br />
ist das!)<br />
Ich möchte zum Schluss kommen. – Ich glaube, eines<br />
muss man auch sehen: Auch wir sind gefragt, die Weltgemeinschaft<br />
ist gefragt. Manchmal habe ich das Gefühl,<br />
dass sich die Weltgemeinschaft an die Katastrophen gewöhnt<br />
hat. Es ist selbstverständlich geworden, dass man<br />
darüber redet. Die Welt ist aber nicht mehr aufgeschreckt.<br />
Ich glaube, wir dürfen nicht mehr wegschauen.<br />
1,6 Milliarden US-Dollar sind notwendig, um das<br />
Überleben der Menschen im Südsudan zu sichern. Davon<br />
fehlen immer noch 1,4 Milliarden US-Dollar. Das darf<br />
einfach nicht sein und ist eine Schande für uns Christen.<br />
Ich glaube, alle sind hier gefordert.<br />
Vielen Dank.<br />
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)<br />
(C)<br />
(D)