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Deutscher Bundestag

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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 22899<br />

(A)<br />

(B)<br />

Alexander Ulrich (DIE LINKE):<br />

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!<br />

Herr Özdemir, gestatten Sie mir folgenden Einwurf –<br />

schließlich hatten Sie uns ja auch angesprochen –: Man<br />

muss in Europa schon mit festverschlossenen Augen unterwegs<br />

sein, um nicht die riesengroßen sozialen Verwerfungen<br />

zu erkennen. Wenn wir diese thematisieren, dann<br />

wird das hier auch noch als Linkspopulismus dargestellt.<br />

Wir haben in Europa riesengroße soziale Probleme,<br />

(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-<br />

NEN]: Wo streiten wir das ab?)<br />

nicht nur in Großbritannien, sondern auch in vielen anderen<br />

Ländern. Das ist der Grund, warum sich die Menschen<br />

von Europa abwenden. In der Analyse war das,<br />

was der Bundesaußenminister heute gesagt hat, dann<br />

auch schon Linkspopulismus; denn er hat diese Themen<br />

sehr deutlich angesprochen. Dafür sind wir dankbar, Herr<br />

Gabriel.<br />

(Beifall bei der LINKEN)<br />

Wer die europäische Politik versteht, dem ist klar:<br />

Oftmals ist es die Politik der nationalen Regierungen,<br />

die eine sehr große Rolle dabei spielt, wohin sich europäische<br />

Politik entwickelt. Es war zum Beispiel das<br />

Schröder/Blair-Papier, das zu einem europaweiten Sozialabbau<br />

geführt hat;<br />

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Gestützt<br />

von Fischer!)<br />

dieses wurde übrigens von den Grünen und Joschka<br />

Fischer unterstützt. Natürlich war das dann auf einmal<br />

Grundlage europäischer Politik, diese Angriffe auf Gewerkschaften<br />

und Arbeitnehmer. Deshalb: Es waren immer<br />

nationale Regierungen, die auf europäischer Ebene<br />

für solche Entwicklungen gesorgt haben. Der Ball muss<br />

also an beide Seiten gespielt werden, an die jeweiligen<br />

Regierungen und nach Europa zu den Staats- und Regierungschefs.<br />

(Beifall bei der LINKEN)<br />

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei den Verhandlungen<br />

mit Großbritannien wird die erste entscheidende<br />

Aufgabe sein, dass verbindliche Lösungen für die vielen<br />

Menschen gefunden werden, die aus der EU kommen<br />

und in Großbritannien leben, aber auch für die Briten,<br />

die in der EU leben. Hier brauchen wir klare Ansagen,<br />

dass diese Menschen dort leben bleiben können, wo sie<br />

bisher leben, dass sie dort arbeiten können und dass gute<br />

Lösungen bei der Problematik ihrer Sozialversicherung<br />

gefunden werden.<br />

(Beifall bei der LINKEN)<br />

Wir brauchen darüber hinaus relativ schnell, bevor es<br />

zu neuen Unruhen kommt, Sicherheit hinsichtlich der<br />

Grenzfrage zwischen Irland und Nordirland; das wurde<br />

schon angesprochen. Die Verhandler müssen frühzeitig<br />

dafür sorgen, dass hier keine neue Hard Border entsteht<br />

mit all den Problemen, die in diesem Zusammenhang<br />

entstehen könnten.<br />

Neben dem Austrittsabkommen, Herr Gabriel, wird<br />

es aber auch ein umfassendes Handelsabkommen geben<br />

müssen; starke und berechtigte Interessen an guten, gegenseitigen<br />

Marktzugangsbedingungen gibt es schließlich<br />

auf beiden Seiten des Ärmelkanals. Es wäre daher<br />

witzlos und falsch, aus Trotz und Angst vor Nachahmern<br />

die Briten abstrafen zu wollen.<br />

(Beifall bei der LINKEN)<br />

Ein schlechter Deal für Großbritannien wäre auch ein<br />

schlechter Deal für uns in Europa, gerade für uns in<br />

Deutschland. Wenn wir uns die Bedeutung Großbritanniens<br />

für die deutsche Wirtschaft ansehen, dann stellen wir<br />

fest, dass sich die deutschen Exporte nach Großbritannien<br />

auf jährlich fast 90 Milliarden Euro belaufen. Damit<br />

ist Großbritannien unser drittwichtigster Absatzmarkt.<br />

Gerade im Automobilsektor, aber auch in der Chemieindustrie<br />

und im Maschinenbau hängen sehr viele Arbeitsplätze<br />

vom Marktzugang auf der Insel ab. Bekennen wir<br />

uns also zum Wunsch nach einer starken Kooperation in<br />

Europa und beginnen konstruktive Gespräche über unsere<br />

gemeinsame Zukunft mit Großbritannien.<br />

(Beifall bei der LINKEN)<br />

Was die Zukunft der EU angeht – ich habe es angesprochen<br />

–, müssen sich auch die restlichen 27 EU-Länder<br />

die Frage stellen, warum es zum Brexit gekommen<br />

ist. Der Brexit ist unseres Erachtens der letzten Warnschuss,<br />

um Europa noch zu retten. Wer das nicht erkennt,<br />

wer den Brexit nur auf die Insel bezieht, auf Großbritannien,<br />

der wird Europa in eine noch tiefere Krise führen,<br />

als sie eh schon ist. Die entscheidenden Stimmen kamen<br />

von den Arbeitern in den gebeutelten Industriemetropolen,<br />

von Menschen, die mit der EU vor allem noch mehr<br />

Wettbewerb zwischen den Arbeitern und den Standorten,<br />

Lohndrückerei, europarechtliche Angriffe gegen ihre<br />

Rechte und Bürokratie verbinden. Der Brexit war auch<br />

Protest gegen die britische Cameron-Regierung, für die<br />

Europa nicht mehr war als eine Freihandelszone mit Parlament.<br />

Auch die Europavision der Bundesregierung reicht<br />

leider nicht viel weiter. Sie haben die bürgerferne, technokratische<br />

und unsoziale EU von heute maßgeblich mit<br />

aufgebaut. Deswegen tragen Sie eine Mitverantwortung<br />

für den Brexit und eine große Mitverantwortung für den<br />

desolaten Zustand der Europäischen Union.<br />

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Hat der<br />

Gabriel auch gesagt!)<br />

Das Gerede von Frau Merkel vom Europa mehrerer Geschwindigkeiten<br />

ist nicht gerade hilfreich, wenn es darum<br />

geht, den Laden zusammenzuhalten. Das Problem<br />

ist nicht die Geschwindigkeit, sondern die politische<br />

Richtung, in die diese EU sich bewegt.<br />

(Zuruf von der SPD: Alles dummes Zeug!)<br />

Die EU braucht jetzt eine politische 180-Grad-Wende,<br />

Deutschland müsste dabei eine Vorreiterrolle übernehmen.<br />

Daran glaubt jedoch kaum noch jemand.<br />

Ginge es nach dem Bundesfinanzminister, würden<br />

wir erst einmal Griechenland aus der Euro-Zone schmeißen<br />

und sie dann um all die Länder verkleinern, in denen<br />

nicht genügend gekürzt, liberalisiert und privatisiert<br />

wird. Dann würden wir einen europäischen Währungs-<br />

(C)<br />

(D)

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