Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017<br />
Bundesminister Sigmar Gabriel<br />
(A)<br />
der Rest nicht „business as usual“ machen und so tun, als<br />
sei nichts geschehen.<br />
die sozialen Bedingungen in Europa wieder für alle besser<br />
werden.<br />
(C)<br />
(B)<br />
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Hat sie aber<br />
gemacht!)<br />
Für uns ist nach wie vor klar: Die Europäische Union<br />
ist und bleibt das größte Zivilisationsprojekt des 20. Jahrhunderts,<br />
und auch im 21. Jahrhundert gibt es – bis heute<br />
– keine Region in der Welt, in der man so frei, so sicher<br />
und auch so demokratisch leben kann wie bei uns in der<br />
Europäischen Union.<br />
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem<br />
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)<br />
Frieden und Wohlstand für alle sind die Versprechen<br />
der Europäischen Union, und wir sehen gerade, wie<br />
brüchig der Frieden dort ist, wo die friedenstiftende Hand<br />
der Europäischen Union nicht wirksam ist auf unserem<br />
Kontinent. Natürlich ist es eine der wichtigsten Aufgaben<br />
der Europäischen Union, auch das Wohlfahrtsversprechen<br />
endlich wieder einzulösen. Nichts untergräbt die<br />
Legitimität der europäischen Einigung so sehr wie mehr<br />
als 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in vielen Ländern<br />
im Süden der Europäischen Union.<br />
Europa wird nur gelingen, wenn es auch für die nächste<br />
Generation in Europa ein Projekt der Hoffnung ist, und<br />
nicht ein Projekt der Hoffnungslosigkeit. Deshalb ist der<br />
Kampf um mehr Wachstum, mehr Arbeitsplätze, bessere<br />
Bezahlung und mehr soziale Sicherheit so ungeheuer<br />
wichtig.<br />
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: So ist es!)<br />
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie<br />
bei Abgeordneten der CDU/CSU und des<br />
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)<br />
Für mich ist das deshalb wichtig, weil uns heute in<br />
Europa nicht nur unser zukünftiges Verhältnis zu Großbritannien<br />
beschäftigen muss. Nicht nur der Brexit, auch<br />
die zahlreichen anderen Krisen der jüngeren Vergangenheit<br />
haben das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in<br />
die Europäische Union beschädigt. Das wirtschaftliche<br />
Abrutschen der Länder am Mittelmeer, der Umgang mit<br />
Flüchtlingen, Unsicherheit und Pessimismus: Die Staatengemeinschaft<br />
wirkt so zerbrechlich wie nie zuvor.<br />
Das europäische Einigungsprojekt wird wie selten zuvor<br />
von Populisten angefeindet, die einfache Lösungen<br />
vorgaukeln, die Europa zurückbauen oder sogar zerstören<br />
wollen. Deswegen war das Signal von Rom am Wochenende<br />
mehr als nur eine gute Nachricht. Denn darin<br />
ist endlich ein Bekenntnis zu einem stärkeren sozialen<br />
Europa enthalten.<br />
Damit ich nicht missverstanden werde: Ich bin nicht<br />
naiv. Ich glaube auch nicht, dass der Text allein sofort<br />
alles ändert. Aber er ist ein erstes Zeichen dafür, dass sich<br />
die anderen 27 Mitgliedstaaten auf einen Paradigmenwechsel<br />
einlassen und sich auf dem Binnenmarkt von<br />
einem reinen Wettbewerbseuropa hin zu einer sozialen<br />
Marktwirtschaft entwickeln wollen. Dafür ist noch viel<br />
zu tun. Aber der Wechsel in diese Richtung ist endlich<br />
eingeleitet.<br />
(Beifall bei der SPD)<br />
(D)<br />
Denn wie zuvor in Irland, in Frankreich und in den<br />
Niederlanden haben auch gerade die Arbeiterbezirke des<br />
Vereinigten Königreiches gegen Europa gestimmt. Auch<br />
in Großbritannien sind es Mittelschichten, Menschen mit<br />
nicht so hohen Einkommen, die jedenfalls in der Europäischen<br />
Union keine Hilfe für ihre Zukunft mehr gesehen<br />
haben. Sie haben gegen die Mitgliedschaft in der Europäischen<br />
Union gestimmt, nicht nur weil sie der dummen<br />
Propaganda von UKIP und anderen aufgesessen sind,<br />
sondern weil sie die Hoffnung verloren hatten, dass sich<br />
ihre Lebenssituation durch Europa verbessert.<br />
Dem Vereinigten Königreich attestiert die Bank of<br />
England für die vergangenen zehn Jahre die schwächste<br />
Reallohnentwicklung seit Mitte des 19. Jahrhunderts, seit<br />
Mitte des 19. Jahrhunderts! Diese eher schwache Entwicklung<br />
der Löhne geht zudem einher mit einer unterschiedlichen,<br />
vielfach außerordentlich ungerechten Verteilung<br />
der Reallohnentwicklung innerhalb des Landes.<br />
Konkret: In einer Zeit, in der der Reichtum zum Beispiel<br />
am Finanzplatz London bereits obszöne Größenordnungen<br />
erreicht hatte, wurden große Teile der britischen Gesellschaft<br />
vom Wohlfahrtsversprechen ausgeschlossen.<br />
Wer verhindern will, dass es in den Bevölkerungen<br />
der Mitgliedstaaten Europas weiter mehr Frustration als<br />
Hoffnung über ihre eigene Zukunft gibt, der muss vor<br />
allem dafür sorgen, dass das Leben, das Einkommen und<br />
Es gibt aber auch wirklich tolle Nachrichten aus Europa.<br />
Es ist erstaunlich: In fast jedem Land Europas – so<br />
zeigen es Umfragen – sind es derzeit eher die Älteren,<br />
die die EU schlecht finden. Das war bei der Gründung<br />
der Europäischen Union anders. Da waren es die Alten,<br />
die ihre Söhne und Töchter im Krieg verloren hatten, deren<br />
Kinder gestorben, ermordet oder verwundet waren,<br />
also die Elterngeneration, die nach dem Krieg wusste:<br />
Das wollen wir nicht noch einmal erleben. Wir wollen<br />
nicht, dass wieder Eltern heranwachsen, die ihre Kinder<br />
im Krieg verlieren. – Heute verteidigen die Jungen Europa.<br />
Sie treten immer entschiedener für einen europäischen<br />
Zusammenhalt ein. Sie wollen ein starkes Europa;<br />
denn sie wissen, dass sie selber und ihre eigenen Kinder<br />
in einer sich total verändernden Welt, in der Asien,<br />
Lateinamerika und Afrika größer werden, während wir<br />
schrumpfen, nur dann eine Stimme haben werden, wenn<br />
es eine gemeinsame europäische Stimme ist. Selbst das<br />
starke Deutschland wird in dieser Welt von morgen kein<br />
Gehör finden, es sei denn, unsere Stimme ist eine europäische<br />
Stimme.<br />
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem<br />
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)<br />
Diejenigen, die jetzt jeden Sonntag auf unseren Plätzen<br />
den kräftigen Pulse of Europe zeigen, sind stärker als all<br />
die plumpen Antieuropäer von links und rechts außen.