Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23047<br />
(A)<br />
(B)<br />
Nach dem Studium dieser Verordnungsentwürfe kann<br />
man sagen: Auch hier versucht die Kommission wieder,<br />
Kompetenzen an sich zu ziehen und Rat und Parlament<br />
gegeneinander auszuspielen. Und dabei geht es<br />
eben nicht um nicht-wesentliche Bestandteile des Pakets,<br />
sondern um entscheidende Fragen, wie zum Beispiel die<br />
regionalen Betriebszentren, die Ausgestaltung von Netzkodizes<br />
oder eine mögliche Aufteilung in Gebotszonen.<br />
Das sind für jeden Mitgliedstaat zentrale Fragen der<br />
Energiepolitik, und die wollen wir auch zukünftig selbst<br />
entscheiden. Das hat gar nichts zu tun mit Europafeindlichkeit,<br />
denn die Zuständigkeiten sind in den EU-Verträgen<br />
klar geregelt. In unseren Augen geht es nur darum,<br />
dass die Kommission hier versucht, sich unzulässigerweise<br />
Kompetenzen anzueignen.<br />
In diesem Zusammenhang möchte ich noch meine<br />
Sorge zum Ausdruck bringen, was künftige Entscheidungskompetenzen<br />
bei den angesprochenen Verordnungsentwürfen<br />
betrifft. Mag man es vielleicht noch<br />
hinnehmen, dass die EU einzelne zentrale Fragen der<br />
Energiepolitik im Sinne der Koordinierung und Vereinheitlichung<br />
regeln möchte, so halte ich es aber nicht für<br />
akzeptabel, dass sich die Entscheidungskompetenzen<br />
auch mit diesen Entwürfen immer weiter vom Parlament<br />
auch in der EU hin zur Exekutive verlagern sollen.<br />
„So sitt Hark in’t Steel“, sagt man in Ostfriesland,<br />
wenn man die Deutungshoheit über eine Sache behalten<br />
möchte. Und genau um diese Deutungshoheit muss es<br />
uns als Parlamentarier gehen.<br />
Aus diesen Gründen freue ich mich, dass wir hier heute<br />
als Parlament diese Subsidiaritätsrüge verabschieden<br />
und uns damit in guter Gesellschaft mit einigen anderen<br />
Mitgliedstaaten befinden. Damit stärken wir unserer<br />
Bundesregierung bei den weiteren Verhandlungen in<br />
Brüssel den Rücken, und selbstverständlich werden wir<br />
auch die weiteren Verordnungen mit Blick auf das Subsidiaritätsgebot<br />
prüfen.<br />
weislich des Vertrages von Lissabon Angelegenheit der<br />
Mitgliedstaaten sind.<br />
Die mit dem EU-Energiepakt zu klärenden Fragen<br />
werfen somit zugleich eine ganz grundsätzliche Frage<br />
auf: Wie gehen wir mit Kompetenzüberschneidungen zur<br />
Ausgestaltung des Binnenmarktes in EU-Zuständigkeit<br />
auf der einen Seite und Artikel 192 sowie 194 des Vertrages<br />
von Lissabon auf der anderen Seite um, wonach der<br />
Energiemix Angelegenheit der Mitgliedstaaten ist? Dies<br />
betrifft auch Maßnahmen, die die allgemeine Struktur<br />
der Energieversorgung eines Mitgliedstaates erheblich<br />
berühren.<br />
Am Beispiel Deutschlands lässt sich gut erkennen,<br />
wie sich dieses Spannungsverhältnis darstellt: Mit einem<br />
wachsenden Anteil erneuerbarer Energien, insbesondere<br />
Wind und Solar und damit sogenannten fluktuierenden<br />
Energien, steigt der Bedarf an Flexibilitäten, um eine<br />
Versorgung kontinuierlich aufrechtzuerhalten. Sinnvollerweise<br />
sind hierbei Synergien zu heben, sowohl in<br />
Form einer Verknüpfung der Sektoren Strom, Wärme<br />
und Mobilität als auch unter Einbindung von bereits vorhandener<br />
oder auszubauender Infrastruktur. Wenn etwa<br />
die Einbeziehung von Speichern sowohl mit Blick auf<br />
kontinuierliche Verfügbarkeit von Energie als auch für<br />
die Mobilität gelingt, ist dies ökonomisch sinnvoll und<br />
lässt uns schneller sektorübergreifend den klimapolitisch<br />
und ressourcenverknappungsbedingt notwendigen Umstieg<br />
auf erneuerbare Energien gelingen. Dies ist auch<br />
aus Gründen der Gerechtigkeit wichtig: Nicht erst, wenn<br />
der Klimawandel um sich greift und verknappte Energieressourcen<br />
zum Spekulationsobjekt werden, sollten<br />
wir die Energiewende vollzogen haben. Die skizzierte<br />
Entwicklung bedeutet aber auch, dass sich Fragen des<br />
Energiemixes, des Einsatzes von Energie und Fragen der<br />
Energievermarktung sowie Energieverbringung immer<br />
enger miteinander verflechten. Damit wird ein Auseinanderhalten<br />
der unterschiedlichen Kompetenzen immer<br />
schwerer.<br />
(C)<br />
(D)<br />
Auf jeden Fall bildet die heutige Debatte nur den Auftakt<br />
zu einem längeren Diskussionsprozess; denn bis zur<br />
endgültigen Verabschiedung des Clean-Energy-Pakets<br />
wird es noch eine ganze Zeit dauern.<br />
Ich freue mich auf diese Debatte.<br />
Dr. Nina Scheer (SPD): In Form des vorliegenden<br />
Antrags befasst sich das Parlament mit der Frage, inwiefern<br />
Maßnahmen aus dem sogenannten EU-Winterpaket<br />
bzw. „Saubere Energien für alle Europäer“ die Grundsätze<br />
der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit tangieren<br />
bzw. gegen diese verstoßen.<br />
Im Lichte der Subsidiarität und der geschilderten<br />
Zusammenhänge erwarte ich, dass die Kommission ein<br />
stärkeres Augenmerk darauf richtet, welcher Bereich der<br />
Energiewirtschaft sinnvollerweise als Angelegenheit der<br />
Mitgliedstaaten in deren Regelungshoheit verbleibt. Der<br />
europäische Energiemarkt darf sich nicht überfordern. Er<br />
sollte nicht stärker zusammenwachsen, als dies der Umgang<br />
mit dem jeweiligen Energiemix der Mitgliedstaaten<br />
mit Blick auf alle Sektoren sinnvollerweise erlaubt.<br />
Im Sinne der Subsidiarität sollten Staaten Netzmanagementaufgaben<br />
insoweit regelungstechnisch vorbehalten<br />
bleiben, wie dies mit Blick auf ihren jeweiligen<br />
Energiemix sinnvollerweise ihrerseits zu regulieren ist.<br />
Auch wenn der Antrag nur zwei Bereiche benennt –<br />
die Elektrizitätsbinnenmarktverordnung sowie die<br />
ACER-Verordnung –, möchte ich unterstreichen, dass<br />
sich der <strong>Bundestag</strong> hiermit ausdrücklich vorbehält, auch<br />
zu weiteren Aspekten des Vorschlagspakets Stellung zu<br />
beziehen; denn das betreffende und noch im Einzelnen<br />
zu beratende Paket erzielt solch grundlegende Neustrukturierungen<br />
zum Umgang mit Energie, dass hierbei<br />
zwangsläufig auch Bereiche angesprochen sind, die aus-<br />
So ist etwa die Änderung des ACER-Abstimmungsverfahrens<br />
kritisch zu sehen. Die Gestaltung des Energiemarktes<br />
sollte wegen dessen Verquickung mit dem<br />
nationalen Energiemix nicht den nationalen Gestaltungsmöglichkeiten<br />
entzogen werden. Andernfalls droht<br />
insbesondere in solchen Staaten die Energiewende ins<br />
Stocken zu geraten, in denen ein vergleichsweise hoher<br />
Flexibilitätsbedarf besteht, somit in Staaten mit einem<br />
wachsenden bzw. hohen Anteil erneuerbarer Energien.