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Dokument_1.pdf (9487 KB) - OPUS Bayreuth - Universität Bayreuth

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390<br />

„Die Paterlmacher haben ja manchmal nur im Winter gearbeitet – dann haben<br />

sie auch gut Geld verdient. Aber sie haben nichts daraus gemacht. Den Sommer<br />

haben sie einfach von dem Geld gelebt, dass sie im Winter verdient hatten. Meist<br />

haben die dann auch noch das Geld, das sie im Winter beim Hüttenherren<br />

verdient hatten, wieder in dessen Gasthaus und Laden ausgegeben. Die hatten ja<br />

oft Läden, in denen ihre Arbeiter das Geld, das sie bei ihnen verdient hatten,<br />

wieder ausgegeben haben. Ich will nicht sagen, dass die faul waren, aber das hat<br />

von uns keiner verstanden, wieso die nicht investiert haben, wieso die nicht<br />

weiterkommen wollten. Die haben in dunklen schwarzen Hütten gearbeitet, die<br />

waren so, wie das keiner von uns mehr kannte.“ 495<br />

Die emische Perspektive der Paterlmacher selbst ist eine andere. Für die<br />

im Fichtelgebirge Geborenen ist die Arbeit in der Paterlhütte eine relativ<br />

angenehme im Vergleich zu anderen; vor allem aber ermöglicht sie ein<br />

deutlich höheres Einkommen als in der kärglichen Landwirtschaft. Die<br />

Vertriebenen aus dem Isergebirge legen die Maßstäbe ihrer böhmischen<br />

Heimat an. Diese beziehen sich auf eine hocheffiziente Industrie, die in den<br />

1930er Jahren zu den global führenden Industrien nach dem Muster eines<br />

industrial districts (dazu S. 500) gehört. Das absolute Lohnniveau im<br />

Isergebirge war bis 1938 deutlich höher als im Fichtelgebirge. Hinzu<br />

kommt, dass die Haushalte der Glasarbeiter aus dem Isergebirge im 20. Jh.<br />

einzig auf eine Wirtschaftsform ausgerichtet sind, nämlich auf die Glasindustrie.<br />

Die multiple Ausrichtung auf mehrere Wirtschaftsformen (Glasindustrie,<br />

Landwirtschaft, Tourismus etc.) ist den Isergebirglern seit Mitte des<br />

19. Jh. nicht mehr vertraut. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die<br />

Glasindustrie im Fichtelgebirge ein, in absoluten Zahlen, eher kärgliches<br />

Einkommen bietet. Bezogen auf die Gesamtsituation der Haushalte und ihre<br />

heterogene Einkommensstruktur, bieten die Einkommen in den Paterlhütten<br />

einen zentralen Baustein in einer, auf die lokalen Gegebenheiten und<br />

Bedürfnisse abgestimmten Wirtschafts- und Lebensweise der Menschen.<br />

Die beiden Erwerbsbereiche in der Paterlhütte und der bäuerlichen<br />

Landwirtschaft sind zusammen trotz der großen Risiken und beschwerlichen<br />

Bedingungen eine stabile ökonomische Grundlage der Haushalte. Insgesamt<br />

gilt im 19. Jh. auch für die Paterlmacher, was der Gerichtsarzt Dr. Schuster<br />

über die Lebenssituation der Bevölkerung des Landgerichtsbezirks Thiersheim<br />

im nördlichen Fichtelgebirge sagt:<br />

„Wohlstand ist nur bei Einzelnen zu finden; der größte Theil der Bewohner ist<br />

minderbemittelt und arm, nährt sich aber, da sie ein äußerst sparsames Leben<br />

[...] gewöhnt sind, ziemlich hinreichend, wenn es halbwegs Verdienst gibt und<br />

das Fabrikgeschäft, respective die verschiedenen Fabriken nicht stocken.“ 496<br />

495 Ernst Seidel, Interview Juni 2002.<br />

496 Zitiert nach Singer 1997: 137.

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