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Dokument_1.pdf (9487 KB) - OPUS Bayreuth - Universität Bayreuth

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durch eine gemeinsame Identität als Gablonzer verbunden. Diese Identität<br />

wird gestützt durch die mehr oder weniger isolierte Lage, sprachlichkulturell<br />

nach Südosten und naturräumlich nach Norden. Durch die Insellage<br />

ist bereits so etwas wie eine Grundstruktur, eine Hülle vorgegeben, in die<br />

hinein, ausgehend von Gestaltungsimpulsen der Händler, eine ganz eigene<br />

Kultur entsteht. Die Zahl der Betriebe, die zu dieser Einheit Gablonzer<br />

Industrie zu zählen ist, erreicht mit mehreren hundert Produktionsbetrieben<br />

und über hundert Exportbetrieben bereits im 19. Jh. ein Volumen, das eine<br />

enorme Bandbreite an produzierten Gütern und damit Flexibilität ermöglicht.<br />

„Dar hout ötz ou fr siech ogefangn“ (Zenkner 1992: 125) – wer konnte,<br />

versuchte den Schritt in die Selbständigkeit. Die selbständige Arbeit ist<br />

wohl eines der wichtigsten Ideale der Gablonzer Industrie, so dass es<br />

schließlich zwischen 1918 und 1938 allein im Bezirk Gablonz weit mehr als<br />

2.000 kleingewerbliche Glaswarenerzeuger gibt. 654<br />

Neben den Impulsen der Händler spielt die innovative Kraft der Produzentenseite<br />

eine ganz entscheidende Rolle für das Aufblühen der Gablonzer<br />

Industrie. Mit der von den Exporteuren nach Gablonz geleiteten globalen<br />

Nachfrage findet die Produktion insgesamt gute Wachstumsbedingungen.<br />

Doch ist die Binnenkonkurrenz enorm. Nach außen treten die unterschiedlichen<br />

Akteursgruppen – bis heute 655 – geeint auf, nach innen kämpft jeder<br />

für sich. Die kleinen Familienbetriebe achten akribisch darauf, dass<br />

wichtiges Wissen nicht nach außen dringt. Die Gablonzer sagen: „Der<br />

Gablonzer stiehlt mit den Augen“, weshalb oft selbst die Nachbarn keinen<br />

Zutritt zur Werksatt erhalten. Jeder Betrieb entwickelt seine eigenen<br />

Techniken. Diesem durchaus partikularistischen Charakterzug der Gablonzer<br />

Industrie steht aber ein sehr starkes gemeinschaftliches Element zur<br />

Seite, das sich unter anderem in den verschiedenen Verbänden äußert, in<br />

denen sich Unternehmer wie auch Arbeiter zusammenschließen. Sie finden<br />

ihren Ausdruck z.B. im so genannten Sprengeraufstand Ende des 19. Jh., bei<br />

dem organisierte Arbeiter als Maschinenstürmer auftreten und sich gegen<br />

die Rationalisierung auflehnen und mehr noch in der raschen Beilegung<br />

dieses und ähnlicher Konflikte. Bemerkenswert sind nicht so sehr die<br />

Konflikte, die wohl unvermeidbar sind in derart dynamischen Umbruchprozessen,<br />

sondern die immer wieder erzielte Gemeinsamkeit über die sozialen<br />

Grenzen hinweg. Sucht man nach den verbindenden Elementen, so stößt<br />

654 Zenkner 1992: 124ff.<br />

655 Als ich 1999 einer Bekannten, die bei der Messe in Frankfurt arbeitet, erzählte, dass ich über<br />

„die Gablonzer“ arbeite, war ihre spontane Reaktion ein Seufzen: „Die Gablonzer, die sind<br />

schwierig, die wollen nur gemeinsam auftreten. Das gibt es sonst bei keiner anderen Gruppe,<br />

dass sie sagen, entweder wir stehen zusammen oder wir kommen gar nicht. Obwohl es<br />

eigentlich von der Struktur her gar nicht möglich ist – sie haben es geschafft.“

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