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Reduction and Elimination in Philosophy and the Sciences

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Zwischen Humes Gesetz und „Sollen impliziert Können“ – Möglichkeiten und Grenzen empirisch-normativer Zusammenarbeit <strong>in</strong> der Bioethik (Teil I) — Michael Jungert<br />

E<strong>in</strong>e fundamentale Rolle kommt dabei der<br />

Unterscheidung zwischen Fakten und Normen zu, die<br />

aktuell Gegenst<strong>and</strong> zahlreicher Debatten ist. Offenkundig<br />

hängt es wesentlich von der Position bezüglich dieser<br />

Kategorien ab, ob überhaupt s<strong>in</strong>nvoll über e<strong>in</strong>e<br />

Zusammenarbeit gesprochen werden kann. Die Rede<br />

davon macht offenbar nur dann S<strong>in</strong>n, wenn von zwei nichtidentischen<br />

Entitäten gesprochen werden kann, d.h wenn<br />

der Bereich des Normativen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gewissen S<strong>in</strong>n<br />

selbstständig und unabhängig vom Bereich der Fakten ist.<br />

Dies gibt uns Gelegenheit zur Klärung e<strong>in</strong>iger wichtiger<br />

Punkte: Unseren nachfolgenden Überlegungen liegt die<br />

Ablehnung jedweder objektivistischer Normativitätskonzeptionen<br />

zugrunde. Die Frage nach der Geltung von<br />

Normen kann nicht, wie im Fall von Fakten, durch die<br />

Untersuchung der Beschaffenheit der Welt geklärt werden.<br />

Normen werden nicht entdeckt oder aufgespürt, sondern<br />

im Kontext verschiedenster Maßstäbe def<strong>in</strong>iert. Die<br />

Anerkennung dieser „menschlich-kulturellen Leistung“<br />

(Birnbacher 2004: 6) führt weder zu <strong>in</strong>akzeptablen<br />

ontologischen Dualismen, noch steht sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Zusammenhang mit Letztbegründungsansprüchen. Wenn<br />

etwa Gerhard Engel als Vertreter naturalistischer Ethik<br />

schreibt, es gelte zunächst „die Realität als Normquelle<br />

anzuerkennen“, um daran anschließend die Frage zu<br />

stellen „Warum soll der Philosoph moralische Werte erst<br />

begründen müssen, wo sie doch <strong>in</strong> überreicher Anzahl<br />

vorzuf<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d?“ (Engel 2004: 52), so ist die Antwort<br />

darauf: Natürlich s<strong>in</strong>d moralische Werte <strong>in</strong> der (sozialen)<br />

Wirklichkeit vorzuf<strong>in</strong>den. Jedoch ist damit noch nichts über<br />

die Richtigkeit moralischer Normen gesagt. Hier zeigt sich<br />

e<strong>in</strong> kategorialer Unterschied, der bei der Frage nach<br />

Fakten und Normen häufig übersehen zu werden sche<strong>in</strong>t:<br />

der Unterschied zwischen Feststellungen und Begründungen.<br />

Während Faktenwissenschaften erstere untersuchen<br />

können, bedürfen letztere immer e<strong>in</strong>es nichtfaktischen<br />

Kontextes, aus dem Maßstäbe und Kriterien<br />

zuallererst generiert werden.<br />

Werfen wir zur weiteren Erhellung dieses<br />

Unterschiedes zunächst e<strong>in</strong>en Blick auf die wissenschafts<strong>the</strong>oretischen<br />

Grundlagen normativer Theoriebildung:<br />

Grundsätzliches Ziel von Moral<strong>the</strong>orien ist es, im<br />

H<strong>in</strong>blick auf e<strong>in</strong>en normativ konstruierten moralischen<br />

Idealzust<strong>and</strong> h<strong>and</strong>lungsleitende Normen bzw. Pr<strong>in</strong>zipien<br />

zu entwerfen. Die Rede vom moralischen Idealzust<strong>and</strong><br />

me<strong>in</strong>t dabei ke<strong>in</strong>e Letztbegründbarkeit moralischer<br />

Normen, sondern lediglich jenen Zust<strong>and</strong>, <strong>in</strong> dem die<br />

spezifische Zielvorgabe e<strong>in</strong>er Moral<strong>the</strong>orie vollständig<br />

erreicht ist: Der utilitaristische Idealzust<strong>and</strong> bestünde<br />

beispielsweise dar<strong>in</strong>, stets die Nutzensumme aller von<br />

e<strong>in</strong>er H<strong>and</strong>lung Betroffenen zu maximieren. Das bedeutet<br />

jedoch nicht, dass ausschließlich konsequentialistische<br />

Theorien e<strong>in</strong>en moralischen Idealzust<strong>and</strong> anstreben. So<br />

def<strong>in</strong>iert z.B. Kant den Idealzust<strong>and</strong> als e<strong>in</strong>en Zust<strong>and</strong>, <strong>in</strong><br />

dem ausschließlich im S<strong>in</strong>ne der re<strong>in</strong>en praktischen<br />

Vernunft geh<strong>and</strong>elt wird.<br />

H<strong>and</strong>lungsleitende Normen im H<strong>in</strong>blick auf e<strong>in</strong>en<br />

moralischen Idealzust<strong>and</strong> zu entwerfen, bedeutet nun<br />

zunächst, „Idealnormen“ (Birnbacher 1988: 16) zu<br />

entwickeln, die auf idealtypische Akteure ausgerichtet<br />

werden. Die Umsetzung der Idealnormen würde folglich <strong>in</strong><br />

den avisierten moralischen Idealzust<strong>and</strong> münden. Jedoch<br />

h<strong>and</strong>elt es sich bei den Akteuren der Alltagspraxis nicht<br />

um ideale Akteure, weil sie „<strong>in</strong> ihrem Denken und H<strong>and</strong>eln<br />

kognitiven und motivationalen Beschränkungen<br />

unterworfen s<strong>in</strong>d“ (Birnbacher 1988: 16). Deshalb müssen<br />

Moral<strong>the</strong>orien <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em zweiten Schritt die zuvor<br />

entwickelten Idealnormen <strong>in</strong> Praxisnormen übersetzen, um<br />

den Grenzen menschlichen Denkens und H<strong>and</strong>elns<br />

160<br />

gerecht zu werden. In diesem Übersetzungsprozess s<strong>in</strong>d<br />

sie auf empirische Methoden angewiesen, welche die<br />

jeweils relevanten Grenzen menschlichen Denkens und<br />

H<strong>and</strong>elns erfassen können. Zentral ist hier, dass<br />

Praxisnormen immer auf Idealnormen basieren müssen.<br />

Denn e<strong>in</strong> moralisches Sollen kann ausschließlich durch<br />

Idealnormen etabliert werden, Praxisnormen h<strong>in</strong>gegen<br />

dienen dazu, die menschliche Praxis so weit wie möglich<br />

an dieses Sollen anzupassen und können selbst ke<strong>in</strong><br />

moralisches Sollen etablieren. Dies liegt <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie<br />

daran, dass e<strong>in</strong>e Entwicklung von Praxisnormen ohne<br />

zugrunde liegende Idealnormen beliebige Beschränkungen<br />

menschlichen Denkens und H<strong>and</strong>elns anführen,<br />

mith<strong>in</strong> beliebige Normen für die Alltagspraxis „begründen“<br />

könnte. Liegen h<strong>in</strong>gegen Idealnormen zugrunde, lassen<br />

sich im Zuge der Übersetzung <strong>in</strong> Praxisnormen nur solche<br />

Beschränkungen anführen, die e<strong>in</strong>e Umsetzung dieser<br />

spezifischen Idealnormen faktisch verh<strong>in</strong>dern würden.<br />

Man könnte hier e<strong>in</strong>wenden, das Moment der<br />

Beliebigkeit werde dadurch lediglich <strong>in</strong> den Bereich der<br />

Idealnormen verlagert. Dies ist <strong>in</strong>sofern richtig, als wir<br />

Idealnormen ke<strong>in</strong>erlei objektivistische Annahmen zugrunde<br />

legen, die den Beliebigkeitsverdacht ausräumen<br />

würden. Dennoch ermöglicht bzw. erleichtert die<br />

Verschiebung von Begründungen <strong>in</strong> den Bereich der<br />

Idealnormen e<strong>in</strong>ige zentrale moral<strong>the</strong>oretische Leistungen:<br />

Zum e<strong>in</strong>en eröffnet sie e<strong>in</strong>en Reflexionsraum, der im<br />

Gegensatz zur Diskussion e<strong>in</strong>zelner Praxisnormen<br />

fundamentale systematische Analysen unter Berücksichtigung<br />

von Kriterien wie Kohärenz, Reichweite etc.<br />

ermöglicht. Der letztlich unvermeidbare Begründungsabbruch<br />

f<strong>in</strong>det dadurch im Idealfall auf e<strong>in</strong>em vergleichsweise<br />

hohen Reflexionsniveau statt. Zum <strong>and</strong>eren<br />

erleichtert der Rekurs auf den empiriefreien Bereich der<br />

Idealnormen e<strong>in</strong>e Fokussierung auf die jeweiligen<br />

Kernprobleme, die durch die empirische Komplexität im<br />

Bereich der Praxisnormen nahezu unmöglich ist.<br />

Bei der Betrachtung von Idealnormen ist allerd<strong>in</strong>gs<br />

zu berücksichtigen, dass diese oftmals um sogenannte<br />

Brückenpr<strong>in</strong>zipien erweitert werden. Brückenpr<strong>in</strong>zipien<br />

s<strong>in</strong>d Sätze nach dem Schema „E<strong>in</strong>e H<strong>and</strong>lung H ist<br />

moralisch geboten gemäß der Norm N genau dann wenn<br />

das empirisch zu überprüfende Kriterium K gegeben ist“.<br />

Sie b<strong>in</strong>den demnach die Geltung e<strong>in</strong>er Norm an e<strong>in</strong><br />

situationsspezifisch empirisch zu überprüfendes Kriterium<br />

K (vgl. Ruß 2002: 119). Dabei ist es gleichgültig, welche<br />

moralischen Vorschriften N formuliert. Wesentlich ist, dass<br />

das mit ihr verknüpfte Brückenpr<strong>in</strong>zip e<strong>in</strong>e nur empirisch<br />

zu leistende Überprüfung von K verlangt, um festzustellen,<br />

ob N <strong>in</strong> der vorliegenden Situation Geltung hat.<br />

Mit H<strong>in</strong>blick auf unsere Fragestellung ergibt sich,<br />

dass ausschließlich normative Ethik <strong>in</strong> der Lage ist,<br />

Idealnormen zu entwickeln, die Grundlage jeder angemessenen<br />

Moral<strong>the</strong>orie s<strong>in</strong>d. Schließlich s<strong>in</strong>d es normative<br />

Theoretiker, die qua ihres Methodenrepertoires „mit<br />

moralischen Begriffen, Argumenten, Normen und<br />

Wertsystemen umzugehen“ verstehen (Birnbacher 2003:<br />

61). Auf der <strong>and</strong>eren Seite ist aber e<strong>in</strong>e Umsetzung<br />

moralischer Normen <strong>in</strong> der Praxis nur auf Basis<br />

empirischer Daten möglich: E<strong>in</strong>erseits im Zuge der<br />

Anpassung von Idealnormen an die e<strong>in</strong>schlägigen<br />

Beschränkungen menschlichen Denkens und H<strong>and</strong>elns.<br />

Und <strong>and</strong>ererseits im Zuge der Klärung von Anwendungsbed<strong>in</strong>gungen<br />

e<strong>in</strong>er Norm, sofern ihre Geltung an empirisch<br />

zu überprüfende Kriterien gebunden ist. Empirische<br />

Analysen s<strong>in</strong>d jedoch nicht im Methodenrepertoire<br />

normativer Forschung enthalten, weshalb sie genau an<br />

diesen Stellen notwendig auf e<strong>in</strong>e Zusammenarbeit mit<br />

empirischen Wissenschaften angewiesen ist.

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