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Reduction and Elimination in Philosophy and the Sciences

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Zwischen Humes Gesetz und „Sollen impliziert Können“ –<br />

Möglichkeiten und Grenzen empirisch-normativer Zusammenarbeit<br />

<strong>in</strong> der Bioethik (Teil II)*<br />

Sebastian Schleidgen, Tüb<strong>in</strong>gen, Deutschl<strong>and</strong><br />

1. Formallogische Grundlagen empirischnormativer<br />

Zusammenarbeit II: Sollen<br />

impliziert Können<br />

Während die im ersten Teil der Arbeit explizierte Annahme<br />

des Humeschen Gesetzes die Grenzen empirischnormativer<br />

Zusammenarbeit logisch untermauert, verdeutlicht<br />

unsere zweite Grundannahme – die so genannte „Sollen<br />

impliziert Können“-Annahme – deren spezifische Möglichkeiten.<br />

Ihre erste philosophiehistorisch relevante Formulierung<br />

f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> I. Kants Kritik der re<strong>in</strong>en Vernunft.<br />

Dort schreibt Kant: „Nun muss die H<strong>and</strong>lung allerd<strong>in</strong>gs<br />

unter Naturbed<strong>in</strong>gungen möglich se<strong>in</strong>, wenn auf sie das<br />

Sollen gerichtet ist“ (Kant 1965: 534). Die Def<strong>in</strong>ition und<br />

detaillierte Analyse der „Sollen impliziert Können“-<br />

Annahme <strong>in</strong> ihrem noch heute gängigen Verständnis ist<br />

jedoch H. Albert zuzurechnen. Er schreibt <strong>in</strong> Konstruktion<br />

und Kritik: „Wenn wir nun auf unser Problem zurückkommen,<br />

ob die Sozialwissenschaft etwas zur Beantwortung<br />

der zweiten Kantischen Frage beitragen kann, so ergibt<br />

sich e<strong>in</strong>e sehr e<strong>in</strong>fache Antwort, nämlich: tatsächlich kann<br />

sie, und zwar auch unter Beibehaltung des Weberschen<br />

Wertfreiheitspr<strong>in</strong>zips, außerordentlich viel dazu beitragen.<br />

Sie kann nämlich im Rahmen unseres Wissens die Frage<br />

beantworten: Was können wir tun? Und diese Frage hat<br />

e<strong>in</strong>e fundamentale Beziehung zu der Frage: Was sollen<br />

wir tun? Die meisten Menschen werden nämlich vermutlich<br />

e<strong>in</strong>er Behauptung zustimmen, die, auf ihre kürzeste Form<br />

gebracht, lautet: Sollen impliziert Können.“ (Albert 1972:<br />

58)<br />

Albert können wir an dieser Stelle ke<strong>in</strong>er<br />

detaillierten Analyse unterziehen. Es ist jedoch schon<br />

<strong>in</strong>tuitiv e<strong>in</strong>leuchtend, dass die Befolgung e<strong>in</strong>er moralischen<br />

Norm davon abhängig ist, <strong>in</strong>wieweit die Akteure diese<br />

Norm zu befolgen imst<strong>and</strong>e s<strong>in</strong>d. Diese Intuition lässt sich<br />

im H<strong>in</strong>blick auf die Aufgaben normativer Theorie<br />

plausibilisieren: Sie soll schließlich Normen generieren,<br />

nach denen wir – qua unseres Menschse<strong>in</strong>s – überhaupt<br />

h<strong>and</strong>eln können. Es reicht nicht, dass moralische Normen<br />

logisch mögliche H<strong>and</strong>lungen von den Akteuren fordern,<br />

<strong>in</strong>sbesondere dann nicht, wenn uns e<strong>in</strong>e Erfüllung<br />

überfordern würde.<br />

Aus der Akzeptanz der „Sollen impliziert Können“-<br />

Annahme ergibt sich jedoch e<strong>in</strong> weiteres Problem: So<br />

kann man fragen, wie Humes Gesetz und „Sollen impliziert<br />

Können“ – als Grundannahmen e<strong>in</strong>er empirischnormativen<br />

Zusammenarbeit – <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en konsistenten<br />

Zusammenhang gebracht werden können. Der Intuition<br />

zufolge sche<strong>in</strong>t „Sollen impliziert Können“ doch zu<br />

bedeuten, dass sich e<strong>in</strong> – empirisch zu messendes –<br />

Können auf e<strong>in</strong> Sollen niederschlägt, mith<strong>in</strong> von e<strong>in</strong>em<br />

Se<strong>in</strong> auf e<strong>in</strong> Sollen geschlossen wird: Aus den deskriptiv<br />

zu erfassenden Möglichkeiten menschlicher Akteure<br />

ergeben sich ihre moralischen Verpflichtungen. Das aber<br />

würde e<strong>in</strong>en Verstoß gegen Humes Gesetz bedeuten. Nun<br />

ergibt sich dieses Problem aber nur <strong>in</strong> der <strong>in</strong>tuitiven Lesart<br />

* Der erste Teil dieses Aufsatzes f<strong>in</strong>det sich weiter oben; siehe den Beitrag von<br />

Michael Jungert.<br />

298<br />

von „Sollen impliziert Können. Nach dieser Lesart wird<br />

„Sollen impliziert Können“ – formallogisch gesprochen –<br />

durch e<strong>in</strong> Bikonditional repräsentiert, d.h. Können (Ka) und<br />

Sollen (Sa) stehen im formallogischen Verhältnis Ka≡Sa.<br />

Etwas wäre demnach gesollt dann und nur dann, wenn es<br />

gekonnt wird. Das würde tatsächlich bedeuten, dass sich<br />

die moralische Richtigkeit bzw. Falschheit e<strong>in</strong>er H<strong>and</strong>lung<br />

direkt aus den H<strong>and</strong>lungsmöglichkeiten e<strong>in</strong>es Akteurs<br />

herleiten ließe. Sieht man sich die oben zitierten<br />

Textstellen aus der Kritik der re<strong>in</strong>en Vernunft bzw.<br />

Konstruktion und Kritik jedoch genauer an, zeigt sich, dass<br />

weder Kant noch Albert e<strong>in</strong> solch <strong>in</strong>tuitives Verständnis<br />

von „Sollen impliziert Können“ im S<strong>in</strong>n gehabt haben<br />

können. So schreibt Kant weiter: „Es mögen noch so viele<br />

Naturgründe se<strong>in</strong>, die mich zum Wollen antreiben, noch so<br />

viele s<strong>in</strong>nliche Anreize, so können sie nicht das Sollen<br />

hervorbr<strong>in</strong>gen, sondern nur e<strong>in</strong> noch lange nicht<br />

notwendiges, sondern jederzeit bed<strong>in</strong>gtes Wollen, dem<br />

dagegen das Sollen, das die Vernunft ausspricht, Maß und<br />

Ziel, ja Verbot und Ansehen entgegen setzt.“ (Kant 1965:<br />

534) Albert h<strong>in</strong>gegen bekräftigt zwar, dass<br />

sozialwissenschaftliche Empirie zur Frage „Was sollen wir<br />

tun?“ durch ihre Erkenntnismöglichkeiten h<strong>in</strong>sichtlich der<br />

Frage „Was können wir tun?“ etwas beitragen kann,<br />

postuliert aber gleichzeitig, dass dies „unter Beibehaltung<br />

des Weberschen Wertfreiheitspr<strong>in</strong>zips“ zu geschehen<br />

habe. Damit schließen beide Autoren direkte Schlüsse<br />

vom deskriptiven Können auf normative Sollens-Aussagen<br />

und damit e<strong>in</strong> Verständnis von „Sollen impliziert Können“<br />

als Bikonditional aus.<br />

Das klassische Verständnis von „Sollen impliziert<br />

Können“ wird h<strong>in</strong>gegen durch e<strong>in</strong>e Implikation zwischen<br />

Sollen und Können, also Sa → Ka, zum Ausdruck<br />

gebracht. Auch dieses Verständnis ist unserer Me<strong>in</strong>ung<br />

nach nicht adäquat: So wird Sa → Ka ja dann und nur<br />

dann falsch, wenn Sa „wahr“, Ka aber „falsch“ ist. Das<br />

würde bedeuten, das „Sollen impliziert Können“ im<br />

vorliegenden Fall verletzt ist. Nun kann man dies entweder<br />

als deskriptive Aussage verstehen oder aber versuchen,<br />

„Sollen impliziert Können“ dem vorliegenden Fall<br />

anzupassen, mith<strong>in</strong> bei ¬Ka auch ¬Sa e<strong>in</strong>zufügen, um Sa<br />

→ Ka wieder zu erfüllen. Das entspricht jedoch e<strong>in</strong>em<br />

Schluss über Modus Tollens von ¬K auf ¬S bzw. von<br />

e<strong>in</strong>em (Nicht-)Können auf e<strong>in</strong> (Nicht-)Sollen, was<br />

wiederum e<strong>in</strong>en Verstoß gegen Humes Gesetz bedeutet.<br />

Möchte man das klassische Verständnis von „Sollen<br />

impliziert Können“ retten, müsste man dessen Gültigkeit<br />

auf Fälle beschränken, <strong>in</strong> denen Ka den Wahrheitswert<br />

„wahr“ besitzt. Dies würde das Pr<strong>in</strong>zip jedoch ad absurdum<br />

führen, da es dann nur noch <strong>in</strong> Fällen gilt, <strong>in</strong> denen das<br />

Gesollte auch gekonnt wird.<br />

Wie aber ist „Sollen impliziert Können“ dann zu<br />

verstehen? Unserer Me<strong>in</strong>ung nach erweist sich nur e<strong>in</strong><br />

schwaches Verständnis im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es Implikationsverhältnisses<br />

von Können und Sollen als plausibel.<br />

Formallogisch gesprochen bedeutet dies „Können<br />

impliziert Sollen“ (Ka → Sa), weshalb wir den traditionellen<br />

Ausdruck „Sollen impliziert Können“ für unglücklich<br />

gewählt halten. Dabei schränken wir die Gültigkeit von<br />

„Können impliziert Sollen“ auf solche Instanzen e<strong>in</strong>, für die

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