02.11.2012 Views

Reduction and Elimination in Philosophy and the Sciences

Reduction and Elimination in Philosophy and the Sciences

Reduction and Elimination in Philosophy and the Sciences

SHOW MORE
SHOW LESS

You also want an ePaper? Increase the reach of your titles

YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.

Zwischen Humes Gesetz und „Sollen impliziert Können“ – Möglichkeiten und Grenzen empirisch-normativer Zusammenarbeit <strong>in</strong> der Bioethik (Teil I) — Michael Jungert<br />

Es stellt sich dann die Frage, welche Rolle<br />

empirische Sozialwissenschaften <strong>in</strong> diesem Zusammenhang<br />

spielen können. Erstens lassen sich mit ihren Mitteln<br />

<strong>in</strong>terne kognitive und motivationale Potentiale und<br />

Grenzen menschlicher Akteure bestimmen. Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus ist e<strong>in</strong>e Erfassung extern bed<strong>in</strong>gter H<strong>and</strong>lungsmöglichkeiten<br />

und -beschränkungen möglich, d.h. Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

e<strong>in</strong>er spezifischen H<strong>and</strong>lungssituation, die<br />

den H<strong>and</strong>lungsspielraum zwar mit strukturieren, auf die<br />

der Akteur aber ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss nehmen kann.<br />

Zweitens s<strong>in</strong>d empirische Sozialwissenschaften <strong>in</strong><br />

der Lage, kollektive Prozesse und Veränderungen zu<br />

erfassen, beschreiben und erklären, d.h. soziale Prozesse<br />

gesamt-, teilgesellschaftlicher oder h<strong>and</strong>lungsraumspezifischer<br />

Natur. Das bedeutet beispielsweise, die Auswirkungen<br />

bestimmter Normen und Regeln auf das<br />

tatsächliche Verhalten der Akteure zu messen oder<br />

Fragen nachzugehen, wie <strong>in</strong> bestimmten Situationen<br />

faktisch geh<strong>and</strong>elt wird, welche moralischen Vorstellungen<br />

der Akteure dabei zum Tragen kommen oder welche<br />

„neuen“ moralischen Problemstellungen sich – z.B.<br />

aufgrund neuer technologischer Entwicklungen – <strong>in</strong>nerhalb<br />

e<strong>in</strong>er Gesellschaft ergeben.<br />

Aus den Zielsetzungen und methodologischen<br />

Möglichkeiten ergeben sich jedoch auch die immanenten<br />

Erkenntnisgrenzen empirischer Sozialwissenschaften <strong>in</strong><br />

der ethischen Ause<strong>in</strong><strong>and</strong>ersetzung: An der normativen<br />

Genese moralischer Normen können empirische Sozialwissenschaften<br />

per def<strong>in</strong>itionem nicht beteiligt se<strong>in</strong>.<br />

Aufgrund ihres Erkenntnis<strong>in</strong>teresses und Methodenspektrums<br />

s<strong>in</strong>d empirische Sozialwissenschaften <strong>in</strong> der<br />

Ause<strong>in</strong><strong>and</strong>ersetzung mit ethischen Problemen auf die<br />

Erfassung, Beschreibung und Erklärung der sozialen<br />

Wirklichkeit festgelegt. Aus diesem Grund ist der normativ<br />

<strong>in</strong>teressierte Sozialwissenschaftler (so er denn nicht <strong>in</strong><br />

Personalunion beides vere<strong>in</strong>t) immer auf e<strong>in</strong>e Zusammenarbeit<br />

mit normativen Theoretikern und ihren methodologischen<br />

Möglichkeiten angewiesen.<br />

4. Formallogische Grundlagen<br />

empirisch-normativer Zusammenarbeit I:<br />

Humes Gesetz<br />

Die bislang auf wissenschafts<strong>the</strong>oretischem Wege dargelegten<br />

Grenzen und Möglichkeiten empirisch-normativer<br />

Zusammenarbeit können durch logische Überlegungen<br />

weiter untermauert werden. E<strong>in</strong>e zentrale Grenze empirisch-normativer<br />

Zusammenarbeit ergibt sich aus Humes<br />

Gesetz. Hume schreibt <strong>in</strong> A Treatise of Human Nature: „In<br />

every system of morality, which I have hi<strong>the</strong>rto met with, I<br />

have always remark'd, that <strong>the</strong> author proceeds for some<br />

time <strong>in</strong> <strong>the</strong> ord<strong>in</strong>ary ways of reason<strong>in</strong>g, <strong>and</strong> establishes <strong>the</strong><br />

be<strong>in</strong>g of a God, or makes observations concern<strong>in</strong>g human<br />

affairs; when of a sudden I am surpriz'd to f<strong>in</strong>d, that <strong>in</strong>stead<br />

of <strong>the</strong> usual copulations of propositions, is, <strong>and</strong> is<br />

not, I meet with no proposition that is not connected with<br />

an ought, or an ought not. This change is imperceptible;<br />

but is however, of <strong>the</strong> last consequence. For as this ought,<br />

or ought not, expresses some new relation or affirmation,<br />

'tis necessary that it shou'd be observ'd <strong>and</strong> expla<strong>in</strong>'d; <strong>and</strong><br />

at <strong>the</strong> same time that a reason should be given; for what<br />

seems altoge<strong>the</strong>r <strong>in</strong>conceivable, how this new relation can<br />

be a deduction from o<strong>the</strong>rs, which are entirely different<br />

from it.” (Hume 1992: 469)<br />

Ohne Humes Argument an dieser Stelle e<strong>in</strong>er<br />

detaillierten metaethischen Analyse unterziehen zu<br />

können, bleibt festzuhalten, dass er e<strong>in</strong>e logische<br />

Unmöglichkeit konstatiert, direkt von Fakten auf normative<br />

Aussagen zu schließen. Seit G.E. Moores Erläuterungen<br />

zum naturalistischen Fehlschluss (Moore 1993) versteht<br />

man diese These im Wesentlichen auf Basis der<br />

Unterschiede im logischen Status von Se<strong>in</strong>s- und Sollens-<br />

Aussagen: Während sich deskriptiven Prädikaten Wahrheitswerte<br />

zuordnen lassen, ist dies für normative<br />

Prädikate nicht möglich (Engels 2008: 134). Daher s<strong>in</strong>d<br />

direkte logische Umformungen von Se<strong>in</strong>s- auf Sollens-<br />

Sätze unmöglich. Wer also aus empirischen Daten – ohne<br />

weitere Prämissen –normative Konklusionen zieht, begeht<br />

e<strong>in</strong>en logischen Fehlschluss. Allerd<strong>in</strong>gs s<strong>in</strong>d explizit<br />

genannte und begründete Se<strong>in</strong>-Sollens-Schlüsse<br />

pr<strong>in</strong>zipiell zulässig: Hume ist der Me<strong>in</strong>ung, dass e<strong>in</strong> Se<strong>in</strong>-<br />

Sollens-Schluss plausibilisiert werden kann, wenn er<br />

h<strong>in</strong>reichend begründet und erklärt wird (vgl. Hume 1992:<br />

469). Demzufolge müssten zwischen e<strong>in</strong>er deskriptiven<br />

Prämisse und e<strong>in</strong>er normativen Konklusion weitere<br />

begründete und logisch gültige Schlüsse stehen. In der<br />

von Moore geprägten Lesart des Humeschen Gesetzes<br />

bleibt aber festzuhalten, dass Schlüsse von re<strong>in</strong>deskriptiven<br />

auf re<strong>in</strong>-normative Aussagen pr<strong>in</strong>zipiell<br />

unzulässig s<strong>in</strong>d (vgl. Engels 2008: 134). Darauf ist auch<br />

und <strong>in</strong>sbesondere im Rahmen normativ-bioethischer<br />

Explikationen zu achten, die aufgrund ihres immanenten<br />

Anwendungsbezugs <strong>in</strong> besonderem Maße der Gefahr<br />

ausgesetzt s<strong>in</strong>d, gegen Humes Gesetz zu verstoßen (vgl.<br />

Engels 2008: 125).<br />

Daraus folgt allerd<strong>in</strong>gs nicht, dass e<strong>in</strong>e<br />

Zusammenarbeit zwischen (sozial-)wissenschaftlicher<br />

Empirie und normativer Theorie pr<strong>in</strong>zipiell unmöglich ist.<br />

Es folgt lediglich, dass von (sozial-)wissenschaftlich<br />

gewonnenen Fakten nicht direkt auf normative Aussagen<br />

geschlossen werden kann. Zu diesem Ergebnis waren wir<br />

bereits während unserer Ause<strong>in</strong><strong>and</strong>ersetzung mit Erkenntnismöglichkeiten<br />

und -grenzen normativer Theorien<br />

und sozialwissenschaftlicher Empirie gekommen. Nun<br />

können wir dieses Ergebnis um e<strong>in</strong>e logische Komponente<br />

erweitern: Normative Theorien und sozialwissenschaftliche<br />

Empirie kommen aufgrund der ihnen jeweils immanenten<br />

Methoden zu wissenschaftlichen Aussagen, deren<br />

logischer Status sich wesentlich unterscheidet.<br />

An dieser Stelle könnte man e<strong>in</strong>wenden, dass<br />

solche logischen Fehlschlüsse zwar <strong>in</strong> abstracto zu<br />

befürchten s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> der Praxis jedoch nur selten<br />

vorkommen und daher häufig gegen imag<strong>in</strong>äre Gegner<br />

gekämpft wird. Darauf lässt sich Folgendes entgegnen:<br />

Tatsächlich werden naturalistische Fehlschlüsse deutlich<br />

seltener begangen als behauptet. Diese Feststellung sollte<br />

e<strong>in</strong>e genauere Analyse der jeweils verwendeten<br />

Prämissen und Konklusionen zur Folge haben, um zu<br />

verh<strong>in</strong>dern, dass der Vorwurf e<strong>in</strong>es naturalistischen<br />

Fehlschlusses <strong>in</strong>haltliche Diskussionen pr<strong>in</strong>zipiell<br />

unmöglich macht. Das ist deshalb wichtig, weil<br />

„verdächtige“ Argumente häufig Brückenpr<strong>in</strong>zipien be<strong>in</strong>halten,<br />

die – e<strong>in</strong>mal expliziert – den Vorwurf des naturalistischen<br />

Fehlschlusses entkräften und das jeweilige<br />

Argument e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>haltlichen Diskussion zugänglich<br />

machen können. Allerd<strong>in</strong>gs spielt diese Feststellung nicht,<br />

wie man zunächst me<strong>in</strong>en könnte, denjenigen <strong>in</strong> die<br />

Karten, die für den E<strong>in</strong>fluss empirischer Fakten auf<br />

normative Theoriebildung plädieren. Vielmehr zeigen<br />

solche Fälle e<strong>in</strong>mal mehr, dass Deskription und Normation<br />

<strong>in</strong> entscheidender H<strong>in</strong>sicht getrennt s<strong>in</strong>d: Hat man<br />

beispielsweise den Verdacht e<strong>in</strong>es naturalistischen<br />

Fehlschluss der Form „x ist moralisch gut, weil x e<strong>in</strong>e<br />

natürliche Eigenschaft darstellt“ dadurch ausgeräumt, dass<br />

man die normative Prämisse „natürliche Eigenschaften<br />

s<strong>in</strong>d im moralischen S<strong>in</strong>ne gut“ <strong>in</strong> den Syllogismus e<strong>in</strong>fügt,<br />

hat man genau diese Trennung vorbildlich aufgezeigt.<br />

161

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!