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Reduction and Elimination in Philosophy and the Sciences

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Wittgenste<strong>in</strong> meets ÖGS: Wovon man nicht gebärden kann… — Harald Edelbauer / Raphaela Edelbauer<br />

Daß manche bedeutende Werke der<br />

philosophischen Literatur ihrer Ursprungs-Sprache<br />

unablösbar e<strong>in</strong>geschrieben bleiben, ist e<strong>in</strong> bekanntes und<br />

oft diskutiertes Faktum; für manche auch e<strong>in</strong> Ärgernis.<br />

Heideggers Ontologie läßt sich ebensowenig gänzlich vom<br />

Deutschen lösen, wie Sartres Ontologie vom<br />

Französischen. Man mag zu Qu<strong>in</strong>es Unterbestimm<strong>the</strong>it der<br />

Übersetzung stehen, wie man will; sie gilt zum<strong>in</strong>dest für<br />

den Großteil der philosophischen Klassiker. Wer sie<br />

sozusagen persönlich kennenlernen will – ohne<br />

kompromißbelastete Übertragung - muß die Sprache lesen<br />

können, <strong>in</strong> welcher sie verfaßt s<strong>in</strong>d.<br />

Innerhalb der Sprachphilosophie wird die feste<br />

B<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>es Systems an e<strong>in</strong> bestimmtes Idiom weit<br />

weniger tolerabel. Dort, wo es um das Verhältnis von<br />

Sprache schlechth<strong>in</strong> zur Wirklichkeit geht, muß e<strong>in</strong><br />

Gedankengebäude auch auf fremdem Grund fest stehen<br />

können. E<strong>in</strong>e Theorie der Bedeutung beispielsweise, die<br />

sich etwa nur <strong>in</strong> Whorfs SAE (‚St<strong>and</strong>ard Average<br />

European) - Sprachen vollständig und korrekt formulieren<br />

läßt, würde ‚Bedeutung’ zu e<strong>in</strong>er Eigentümlichkeit dieser<br />

Idiome degradieren. (Whorf 1970)<br />

Wir wollen diese M<strong>in</strong>imalforderung das<br />

Kopernikanische Pr<strong>in</strong>zip der philosophischen Semantik<br />

nennen: Jede Hypo<strong>the</strong>se (mit allgeme<strong>in</strong>verb<strong>in</strong>dlichem<br />

Anspruch) über die Natur sprachlicher Bedeutung<br />

schlechth<strong>in</strong> sollte sich <strong>in</strong> sämtliche Sprachen, die über<br />

reflexive Potenz verfügen, übersetzen lassen. Unter<br />

reflexiver Potenz verstehen wir hier die Möglichkeit,<br />

<strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es Verständigungssystems Bedeutungsanalyse<br />

zu betreiben, d.h. Phänomene wie Intention, S<strong>in</strong>n,<br />

Begriff zu untersuchen und zu klären.<br />

Cum grano salis ist die Eignung e<strong>in</strong>er Sprache als<br />

ihre eigene Metasprache geme<strong>in</strong>t.<br />

Bei den Gehörlosensprachen ÖGS und DGS<br />

h<strong>and</strong>elt es sich zweifellos um zwei (mite<strong>in</strong><strong>and</strong>er<br />

nahverw<strong>and</strong>te) Gebärdensprachen mit reflektiver Potenz,<br />

z.B. es kann rekursiv und ohne Begrenzung über<br />

verwendete Gebärden und ihre Bedeutung gebärdet<br />

werden.<br />

Der erste Ertrag unseres Projekts liegt <strong>in</strong> der quasi<br />

objektiven ‚Meßbarkeit’ der Berechtigung wittgenste<strong>in</strong>scher<br />

Sichtweisen: Was sich davon als pr<strong>in</strong>zipiell nicht <strong>in</strong> die<br />

ÖGS übersetzbar erweist, ist – entsprechend unserem<br />

‚Kopernikanischen Pr<strong>in</strong>zip’ - noch nicht allgeme<strong>in</strong> genug<br />

für e<strong>in</strong>e Universalsemantik.<br />

Freilich muß von Fall zu Fall rigoros untersucht<br />

werden, ob wirklich pr<strong>in</strong>zipielle Unübersetzbarkeit vorliegt<br />

– nicht etwa e<strong>in</strong> Nachholbedarf auf dem Gebiet der<br />

Gebärdensprache, Inkompetenz der Gebärdensprecher<br />

oder tiefliegende Mißverständnisse.<br />

Den zweiten Ertrag bilden sozusagen die<br />

Prolegomena zu e<strong>in</strong>er philosophischen Gebärdenfachsprache.<br />

Es ist nicht e<strong>in</strong>zusehen, warum sich<br />

gehörlose Menschen den Zugang zu tiefen und komplexen<br />

Fragestellungen stets nur über ihre Zweitsprache<br />

verschaffen können, ohne Möglichkeit, die Inhalte<br />

<strong>in</strong>nerhalb ihrer Sprachgeme<strong>in</strong>schaft an weniger Laut-<br />

Schriftkundige weiterzuvermitteln.<br />

3. Erste Erfahrungen: (un)gebärdige<br />

Metaphern<br />

Schon im Zuge der ersten Übersetzungsversuche waren<br />

formale Schwierigkeiten deutlich von den <strong>in</strong>haltlichen zu<br />

unterscheiden. Zu den Barrieren formaler Art zählen Eigentümlichkeiten<br />

der Gebärdensprache, wie daß z.B. Konjunktionen<br />

am Anfang e<strong>in</strong>es Nebensatzes (‚daß’/‚ob’) ke<strong>in</strong><br />

Gebärdenzeichen entspricht, oder daß der Konjunktiv<br />

durch die Körperhaltung ausgedrückt wird. Das macht es<br />

e<strong>in</strong>igermaßen anstrengend, e<strong>in</strong>e Feststellung wie T 2.0211<br />

Hätte die Welt ke<strong>in</strong>e Substanz, so würde, ob e<strong>in</strong><br />

Satz S<strong>in</strong>n hat, davon abhängen, ob e<strong>in</strong> <strong>and</strong>erer<br />

Satz wahr ist. (Wittgenste<strong>in</strong> 1984)<br />

zu gebärden.<br />

Diese Art von Hürden s<strong>in</strong>d aber bei e<strong>in</strong>iger Sorgfalt<br />

durch Zerlegung und Umformulierung zu umgehen.<br />

Ernstere H<strong>in</strong>dernisse ergaben sich angesichts der<br />

von Metaphorik und Analogienbildung dicht durchzogenen<br />

Sprache Wittgenste<strong>in</strong>s. Unsere erste ‚Gewährsfrau’, e<strong>in</strong>e<br />

gehörlose Übersetzer<strong>in</strong> mit ÖGS als Erstsprache, konnte<br />

mit der Zentralmetapher des Tractatus – Gedanken bzw.<br />

Sätze als Bilder von Tatsachen - nichts anfangen.<br />

Das widersprach diametral unseren Erwartungen,<br />

da rund 40 Prozent der Gebärden der ÖGS ikonischer<br />

Natur s<strong>in</strong>d, weiters unsere Gesprächspartner<strong>in</strong> Kunstgeschichte<br />

studiert und auch als Maler<strong>in</strong> mit Theorie und<br />

Praxis der Abbildung <strong>in</strong>nig vertraut ist.<br />

Vor der geme<strong>in</strong>samen Besprechung e<strong>in</strong>iger Grundideen<br />

der PU legten wir ihr e<strong>in</strong> Dutzend gebräuchlicher<br />

Metaphern der deutschen Alltagssprache vor. Obwohl sie<br />

die meisten kannte, empf<strong>and</strong> sie sie fast durchwegs als<br />

verschroben und unnatürlich. Das Problem liegt dar<strong>in</strong>, daß<br />

man nicht e<strong>in</strong>fach ‚analoge’ metaphorische Gebärdenkomplexe<br />

heranziehen kann; es geht ja gerade darum,<br />

was <strong>in</strong> jedem konkreten E<strong>in</strong>zelfall als ‚entsprechend’ zu<br />

werten ist.<br />

C. Papaspyrou, der unser Projekt mit Interesse begleitet,<br />

erklärte <strong>in</strong> H<strong>in</strong>sicht auf unsere Schwierigkeiten: „Die<br />

– auf Deutsch formulierten – metaphorischen Beziehungen<br />

<strong>in</strong> Wittgenste<strong>in</strong>s Sprachphilosophie müssen deshalb zuerst<br />

auf entsprechende Ausdrücke der Gebärdensprache<br />

‚umgedichtet’ werden, bevor man den sprachphilosophischen<br />

Inhalt sachlich <strong>in</strong>terpretiert.“<br />

4. Innensemantik & Bildersprache<br />

Um die metaphorische Barriere zwischen Laut- und Gebärdensprechenden<br />

zu umgehen: wäre es nicht besser,<br />

zunächst den philosophischen Text zu ‚entmetaphorisieren’?<br />

Alles allzu Bildhafte durch ‚Klartext’, brute facts zu<br />

ersetzen? Wir halten dies bei Sätzen, die vom Wesen<br />

sprachlicher Bedeutung h<strong>and</strong>eln, für ausgeschlossen:<br />

Solche Sätze s<strong>in</strong>d entweder verkappte syntaktische – oder<br />

sie enthalten unreduzierbare Metaphern.<br />

Für e<strong>in</strong>e ausführliche Begründung dieser apodiktischen<br />

Absage fehlt hier der Platz. Die Unmöglichkeit, auf<br />

bildhafte Umschreibung zu verzichten, wurzelt dar<strong>in</strong>, daß<br />

‚Sprache’ <strong>in</strong> zwei komplementäre Bereiche zerfällt, e<strong>in</strong>en<br />

transparenten und e<strong>in</strong>e opaken, entsprechend nicht<strong>the</strong>tischem<br />

und <strong>the</strong>tischem Sprechbewußtse<strong>in</strong>.<br />

Zur Präzisierung dieser Hypo<strong>the</strong>se fehlt noch der<br />

Fachjargon. Wir stehen gleichsam mit e<strong>in</strong>em Fuß auf phänomenologischem<br />

und mit dem <strong>and</strong>eren auf sprachanalytischem<br />

Territorium. Doch wird daraus ke<strong>in</strong> Spagat. Denn<br />

wir bef<strong>in</strong>den uns <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gebiet, wo sich die Wege von<br />

Sartre und Wittgenste<strong>in</strong> überkreuzen: Im Problemfeld von<br />

Bewußtse<strong>in</strong>-H<strong>and</strong>lung-Leiblichkeit.

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