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Reduction and Elimination in Philosophy and the Sciences

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Warum man auf transzendentalphilosophische Argumente nicht<br />

verzichten kann<br />

Benedikt Schick, Berl<strong>in</strong>, Deutschl<strong>and</strong><br />

1. Lebenswelt, Reduktion, <strong>Elim<strong>in</strong>ation</strong><br />

Der Ausgangspunkt aller philosophischen Bemühungen<br />

wie auch wissenschaftlicher Forschung ist die Lebenswelt.<br />

Wir f<strong>in</strong>den uns „immer schon“ – wie manchmal gesagt wird<br />

– <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er natürlichen und sozialen Welt vor, haben „immer<br />

schon“ Me<strong>in</strong>ungen, Überzeugungen, Erwartungen, Deutungsmuster<br />

und Vorurteile von dieser Welt, von uns selbst<br />

und von unseren Mitmenschen. Dieses Me<strong>in</strong>ungs-Geflecht<br />

mit se<strong>in</strong>en vielen e<strong>in</strong>zelnen Komponenten und größeren<br />

und kle<strong>in</strong>eren Zusammenhängen sche<strong>in</strong>t uns nur teilweise<br />

und nur zeitweilig wirklich bewusst zu se<strong>in</strong>. Dass die Lebenswelt<br />

den notwendigen Ausgangspunkt aller menschlichen<br />

Tätigkeiten bietet, ist kaum zu bestreiten. Zu offensichtlich<br />

ist, dass die „immer schon“ akzeptierten lebensweltlichen<br />

Annahmen <strong>in</strong> ihrer je nachdem eher <strong>the</strong>oretischen<br />

oder praktischen Ausrichtung e<strong>in</strong>e notwendige Voraussetzung<br />

allen H<strong>and</strong>elns s<strong>in</strong>d. Das sche<strong>in</strong>t nicht nur für<br />

das alltägliche H<strong>and</strong>eln e<strong>in</strong>es bestimmten Individuums zu<br />

gelten, sondern auch für das Funktionieren aller möglichen<br />

kulturellen und sozialen Institutionen und Projekte, und<br />

selbstverständlich eben auch für den Wissenschaftsbetrieb.<br />

Die Lebenswelt ist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em bestimmten S<strong>in</strong>n primär,<br />

das me<strong>in</strong>t, sie ist Voraussetzung und Grundlage allen Forschens<br />

und Fragens.<br />

Dieser Zusammenhang mag e<strong>in</strong>leuchten, es drängt<br />

sich aber dann e<strong>in</strong>e Frage auf: Folgt aus der<br />

unbestrittenen Vorrangigkeit der Lebenswelt auch ihre<br />

Unkritisierbarkeit? Kann das Geflecht von <strong>the</strong>oretischen<br />

und praktischen Annahmen, das von jeder wissenschaftlichen<br />

oder philosophischen Kritik vorausgesetzt<br />

wird, überhaupt von eben dieser Kritik <strong>in</strong> Frage gestellt<br />

werden? Zw<strong>in</strong>gt uns die Tatsache, dass die Lebenswelt<br />

primär ist, dazu, auch alle ihre Elemente für sakrosankt zu<br />

halten?<br />

Wer hier mit ja antworten möchte – so sche<strong>in</strong>t es –,<br />

treibt die Transzendentalphilosophie entschieden zu weit.<br />

Lebensweltliche Annahmen s<strong>in</strong>d manchmal begründet,<br />

manchmal sogar gut begründet, häufig aber bloß mehr<br />

oder weniger gut bewährt. Die Lebenswelt steckt voller<br />

Vorurteile, Inkohärenzen, Widersprüche und Irrtümer. Das<br />

Gesamte lebensweltlicher Annahmen ist auch ke<strong>in</strong>eswegs<br />

stabil, sondern sowohl im H<strong>in</strong>blick auf e<strong>in</strong>en bestimmten<br />

Menschen als auch im H<strong>in</strong>blick auf die historische Entwicklung<br />

von Geme<strong>in</strong>schaften sehr dynamisch, unter<br />

Umständen geradezu revolutionär. De facto werden lebensweltliche<br />

Annahmen also häufig kritisiert und korrigiert.<br />

Außerdem, was ist denn die Lebenswelt? Unterscheidet<br />

sich nicht die Lebenswelt e<strong>in</strong>es Menschen zum<strong>in</strong>dest<br />

teilweise von der e<strong>in</strong>es <strong>and</strong>eren, die der e<strong>in</strong>en Kultur von<br />

der e<strong>in</strong>er <strong>and</strong>eren?<br />

Werfen wir e<strong>in</strong>en Blick <strong>in</strong> die Wissenschaftsgeschichte,<br />

so fehlt es nicht an Fällen, wo verme<strong>in</strong>tlich unaufgebbare<br />

lebensweltlich verwurzelte „Wahrheiten“ sich<br />

als Täuschung erwiesen haben. Als Beispiel mag der<br />

Verweis auf den Wechsel vom geo- zum heliozentrischen<br />

Weltbild, der heute gern als „erste Kränkung der Menschheit“<br />

gezählt wird, genügen.<br />

Es kann ke<strong>in</strong> Zweifel bestehen, dass viele lebensweltliche<br />

Annahmen kritisierbar und korrekturbedürftig<br />

292<br />

s<strong>in</strong>d, und dass hierbei den Wissenschaften e<strong>in</strong>e zentrale<br />

Rolle zukommt. Das Verhältnis, <strong>in</strong> dem Ergebnisse<br />

e<strong>in</strong>zelwissenschaftlicher Forschung zu lebensweltlichen<br />

Annahmen stehen, muss allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> unterschiedlichen<br />

Fällen auch unterschiedlich beurteilt werden. Nicht <strong>in</strong><br />

jedem Fall ist e<strong>in</strong>e <strong>Elim<strong>in</strong>ation</strong> der lebensweltlichen<br />

Deutung nötig. Vielleicht können <strong>in</strong> manchen Fällen e<strong>in</strong>e<br />

wissenschaftliche Beschreibung und e<strong>in</strong>e lebensweltliche<br />

Beschreibung desselben Phänomens ohne Widerspruch<br />

nebene<strong>in</strong><strong>and</strong>er stehen. In <strong>and</strong>eren Fällen kann es se<strong>in</strong>,<br />

dass die Wissenschaft e<strong>in</strong>e Erklärung „von unten“ für e<strong>in</strong>e<br />

lebensweltliche Gegebenheit liefert und so e<strong>in</strong>e lebensweltliche<br />

Beschreibung auf e<strong>in</strong>e wissenschaftliche reduziert.<br />

<strong>Elim<strong>in</strong>ation</strong> und reduktive Erklärung müssen unterschieden<br />

werden. Im Gegensatz zur <strong>Elim<strong>in</strong>ation</strong> führt die reduktive<br />

Erklärung e<strong>in</strong> Phänomen nur auf e<strong>in</strong>e zugrunde liegende<br />

Ebene zurück. Das Phänomen wird dabei erklärt, aber<br />

nicht wegerklärt.<br />

Aufgrund der Vorrangigkeit der Lebenswelt sche<strong>in</strong>t<br />

es jedenfalls nicht möglich zu se<strong>in</strong>, die Lebenswelt als<br />

Ganze <strong>in</strong> Frage zu stellen, noch die für unser Welt- und<br />

Selbstverständnis grundlegenden Voraussetzungen revisionär<br />

zu elim<strong>in</strong>ieren. In e<strong>in</strong>e ähnliche Richtung geht Julian<br />

Nida-Rümel<strong>in</strong>, wenn er schreibt: „In unserer Lebenswelt<br />

s<strong>in</strong>d abrupte Veränderungen […] nicht zu erwarten. Sie<br />

[die Lebenswelt] sperrt sich gegenüber rationalistischen<br />

Konstruktionen, da sie zu tief mit den je <strong>in</strong>dividuellen und<br />

gesellschaftlichen Lebensformen verbunden ist, um <strong>in</strong> toto<br />

zur Disposition gestellt zu werden.“ (Nida-Rümel<strong>in</strong> 2005,<br />

40). Wenn die Lebenswelt als Ganze nicht revisionär zu<br />

überholen ist, dann könnte es auch konstitutive Elemente<br />

der Lebenswelt geben, die sich e<strong>in</strong>er <strong>Elim<strong>in</strong>ation</strong> oder<br />

auch e<strong>in</strong>er reduktiven Erklärung entziehen. 1<br />

Vor diesem H<strong>in</strong>tergrund stellt sich die Frage nach<br />

den Kriterien. Wie kann man denn entscheiden, welcher<br />

Fall jeweils vorliegt. Wann gebietet es sich von <strong>Elim<strong>in</strong>ation</strong><br />

zu sprechen, wann eher von reduktiver Erklärung? Anh<strong>and</strong><br />

e<strong>in</strong>es Beispiels soll im Folgenden geprüft werden, ob<br />

hierbei nicht e<strong>in</strong>e Art transzendentaler Test weiterhelfen<br />

kann – ja ob e<strong>in</strong> solcher Test nicht vielleicht sogar<br />

unverzichtbar ist.<br />

2. Ursachen und Gründe<br />

In unserer Lebenswelt ist die Praxis des Begründens fest<br />

etabliert und bewährt. Gründe spielen nicht nur im Bereich<br />

des H<strong>and</strong>elns e<strong>in</strong>e Rolle sondern ebenso im Bereich des<br />

Wissens, und selbstverständlich <strong>in</strong> der Wissenschaft. Das<br />

Gründe-Sprachspiel sche<strong>in</strong>t zu denjenigen lebensweltlichen<br />

Phänomenen zu gehören, die e<strong>in</strong>e nicht elim<strong>in</strong>ierbare<br />

Voraussetzung e<strong>in</strong>es jeden möglichen Welt- und<br />

Selbstverständnisses bilden. Auf der <strong>and</strong>eren Seite f<strong>in</strong>det<br />

empirische Forschung bei ihrem Bemühen, kognitive Prozesse<br />

und menschliches Verhalten zu erklären, immer nur<br />

1 Auch e<strong>in</strong>e reduktive wissenschaftliche Erklärung kann <strong>in</strong> manchen Fällen<br />

unmöglich se<strong>in</strong>. Der des Anti-naturalismus unverdächtige Ansgar Beckermann<br />

rechnet beispielsweise mit der Möglichkeit, dass phänomenales Erleben echt<br />

emergent gegenüber körperlichen Prozessen ist, und wir es daher hier mit<br />

e<strong>in</strong>em unlösbaren „Welträtsel“ zu tun haben. (Beckermann 1999, 34).

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