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Reduction and Elimination in Philosophy and the Sciences

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294<br />

Warum man auf transzendentalphilosophische Argumente nicht verzichten kann — Benedikt Schick<br />

ontologisch ernst nehmen. Zu diesem Schluss kommt<br />

auch Rorty wenn er schreibt: „Der Fall der Dämonen<br />

macht jedoch klar, dass die Entdeckung e<strong>in</strong>er neuen<br />

Möglichkeit, Phänomene zu erklären, die früher durch<br />

Bezugnahme auf e<strong>in</strong>e bestimmte Sorte von Entitäten<br />

erklärt worden s<strong>in</strong>d […], e<strong>in</strong>en guten Grund für die<br />

Behauptung abgeben kann, dass es ke<strong>in</strong>e Entitäten dieser<br />

Sorte gibt.“<br />

Was ergibt sich nun aus diesen Überlegungen für<br />

das Problem der Unterscheidung von Ursachen und<br />

Gründen? Es soll hier nicht der E<strong>in</strong>druck erweckt werden,<br />

dass dieses Problem genauso zu h<strong>and</strong>haben ist, wie der<br />

Fall des Dämonenglaubens. 3 Das Problem besteht vielmehr<br />

dar<strong>in</strong>, dass es e<strong>in</strong>er Begründung für die Ungleichbeh<strong>and</strong>lung<br />

beider Fälle bedarf. Warum ersetzt e<strong>in</strong>e<br />

vollständige neurobiologische Beschreibung nicht das<br />

Gründe-Sprachspiel, sondern erklärt nur, wie Gründe<br />

realisiert s<strong>in</strong>d? Mit <strong>and</strong>eren Worten, warum haben wir es<br />

beim Gründe-Sprachspiel <strong>and</strong>ers als bei der Dämonen<strong>the</strong>orie<br />

mit e<strong>in</strong>em lebensweltlichen Phänomen zu tun, das<br />

resistent gegenüber wissenschaftlicher <strong>Elim<strong>in</strong>ation</strong> ist,<br />

obwohl es ebenfalls – zum<strong>in</strong>dest nach der von Pauen<br />

versuchsweise e<strong>in</strong>geführten Voraussetzung – vollständig<br />

reduzierbar auf e<strong>in</strong>e zugrunde liegende Ebene ist? Wenn<br />

jedes menschliche Verhalten, das wir gewöhnlich unter<br />

Berufung auf Gründe zu erklären versuchen, vollständig<br />

mithilfe neurobiologischer Ursachen erklärt werden kann,<br />

dann sche<strong>in</strong>t das „Pr<strong>in</strong>zip der wissenschaftlichen Eleganz“<br />

doch den Schluss zu erzw<strong>in</strong>gen: Die Erklärung durch<br />

Gründe erklärt nichts, was wir nicht auch durch neurophysiologische<br />

Ursachen erklären können, also s<strong>in</strong>d<br />

lebensweltliche Erklärungen, die sich auf Gründe berufen<br />

überflüssig (nicht notwendig) und daher ontologisch zu<br />

elim<strong>in</strong>ieren.<br />

5. Transzendentale Argumentation<br />

Mir sche<strong>in</strong>t es notwendig zu se<strong>in</strong>, auf irgende<strong>in</strong>e Art transzendentalphilosophischer<br />

Argumentation zurückzugreifen,<br />

um den Unterschied zwischen Phänomenen wie dem Geben<br />

und Nehmen von Gründen e<strong>in</strong>erseits und Phänomenen,<br />

die durch wissenschaftliche Erklärungen elim<strong>in</strong>iert<br />

werden können, <strong>and</strong>ererseits, begründen zu können. Zum<strong>in</strong>dest<br />

sehe ich nicht, wie diese Begründungsleistung<br />

sonst erbracht werden könnte. Auch könnte die Selbstverständlichkeit,<br />

mit der Pauen an e<strong>in</strong>er realistischen Deutung<br />

des Gründe-Sprachspiels festhält, dafür sprechen, dass<br />

ihm diese Realität <strong>in</strong>tuitiv unkritisierbar ersche<strong>in</strong>t.<br />

Die Bee<strong>in</strong>flussbarkeit unseres H<strong>and</strong>elns und<br />

Denkens durch Gründe ist e<strong>in</strong>e nicht aufgebbare Voraussetzung<br />

für unsere lebensweltliche Praxis <strong>in</strong>sgesamt, auch<br />

für Wissenschaft und Philosophie. Die Praxis des<br />

Begründens ist so grundlegend mit unserem<br />

Welt- und Selbstverständnis verflochten, dass es als e<strong>in</strong><br />

3 Genau das ist die These, die Rorty mit Hilfe des Dämonen-Beispiels verteidigen<br />

will: „Gerade so, wie wir jetzt die Existenz von Dämonen leugnen wollen,<br />

könnte die zukünftige Wissenschaft die Existenz von Empf<strong>in</strong>dungen leugnen<br />

wollen.“ (Rorty 21993, 98).<br />

zelnes Phänomen gar nicht aus diesem Gesamtzusammenhang<br />

herausgelöst und zum Gegenst<strong>and</strong> e<strong>in</strong>er<br />

kritischen Überprüfung gemacht werden kann. Hier<strong>in</strong> ist<br />

der wesentliche Unterschied zu sehen im Vergleich zu<br />

Annahmen, wie der Dämonen<strong>the</strong>orie oder auch des schon<br />

erwähnten Wechsels vom geo- zum heliozentrischen<br />

Weltbild.<br />

E<strong>in</strong>e transzendentalphilosophische Prüfung der<br />

Rolle, die das Gründe-Sprachspiel <strong>in</strong> unserer Lebenswelt<br />

spielt, zeigt, dass es sich bei diesem Sprachspiel um e<strong>in</strong><br />

konstitutives Element h<strong>and</strong>elt, dass so wie die Lebenswelt<br />

als Ganze nicht als Täuschung entlarvt werden kann. Erst<br />

mit dieser transzendentalphilosophischen H<strong>in</strong>tergrundannahme<br />

wird die Argumentation Michael Pauens<br />

schlüssig. Sie erklärt, warum selbst unter der Voraussetzung<br />

des Physikalismus die mentale Beschreibungsebene<br />

– und mit ihr die Rede von Gründen – nicht obsolet<br />

wird.<br />

Will man hier noch mir Pauen von Physikalismus<br />

sprechen, so sche<strong>in</strong>t mir diese Bezeichnung allerd<strong>in</strong>gs<br />

irreführend zu se<strong>in</strong>. Physikalismus heißt <strong>in</strong> diesem<br />

Zusammenhang ja nur, dass e<strong>in</strong>e vollständige reduktive<br />

neurophysiologische Erklärung mentaler Phänomene<br />

möglich ist. Das Explan<strong>and</strong>um wird hierbei aber nicht etwa<br />

wegerklärt, sondern es bleibt Ausgangs- und bleibender<br />

Bezugspunkt für die wissenschaftliche Erklärung. Die<br />

Erklärung setzt das zu Erklärende voraus, nicht umgekehrt.<br />

Die transzendentalphilosophisch abgesicherte Lebenswelt<br />

erweist sich damit als die eigentliche ontologische<br />

Basis.<br />

Literatur<br />

Beckermann, Ansgar1999 „Bewusstse<strong>in</strong> – neurobiologisch erklärbar?“,<br />

Forschung an der Universität Bielefeld 20, 29-34.<br />

Nida-Rümel<strong>in</strong>, Julian 2005 Über menschliche Freiheit, Stuttgart:<br />

Reclam.<br />

Nida-Rümel<strong>in</strong>, Julian 2006 „Ursachen und Gründe: Replik auf:<br />

Michael Pauen, Ursachen und Gründe“, Information Philosophie<br />

1/2006, 32-36.<br />

Pauen, Michael 2005 „Ursachen und Gründe: Zu ihrer Unterscheidung<br />

<strong>in</strong> der Debatte um Physikalismus und Willensfreiheit“, Information<br />

Philosophie 5/2005, 7-16.<br />

Rorty, Richard 2 1993 „Leib-Seele-Identität, Priva<strong>the</strong>it und Kategorien“,<br />

<strong>in</strong>: Bieri, Peter (ed.) Analytische Philosophie des Geistes,<br />

Bodenheim: A<strong>the</strong>näum Ha<strong>in</strong> Hanste<strong>in</strong>, 93-120. (Orig<strong>in</strong>al erschienen<br />

1965 „M<strong>in</strong>d-Body Identity, Privacy, <strong>and</strong> Categories“, Review<br />

of Metaphysics 19, 24-54.)<br />

Schmidt-Salomon, Michael 2007 „Von der illusorischen zur realen<br />

Freiheit: Autonome Humanität jenseits von Schuld und Sühne“, <strong>in</strong>:<br />

Liessmann, Konrad Paul (ed.) Die Freiheit des Denkens, Wien:<br />

Paul Zsolnay, 179-218.

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