02.11.2012 Views

Reduction and Elimination in Philosophy and the Sciences

Reduction and Elimination in Philosophy and the Sciences

Reduction and Elimination in Philosophy and the Sciences

SHOW MORE
SHOW LESS

Create successful ePaper yourself

Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.

sich die notwendige Rückkoppelung, die den e<strong>in</strong>zelnen<br />

jeweils <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Tun bestärkt oder nicht. So steht h<strong>in</strong>ter<br />

dem Soll die erforderliche strafende Macht und so ist<br />

gleichzeitig die Objektivität der ethischen Regeln <strong>in</strong>nerhalb<br />

der jeweiligen Sprachspielgeme<strong>in</strong>schaft sicher gestellt.<br />

Ist also der Drang zu werten zwar im Menschen<br />

angelegt, kann er sich über das Maß e<strong>in</strong>es bloß reaktiven<br />

Verhaltens h<strong>in</strong>aus erst entfalten, wenn der Mensch über<br />

e<strong>in</strong>e Sprache verfügt – es entsteht die Ethik. Wenn man<br />

von Ethik <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne spricht und damit also nicht bloß<br />

den immanenten Drang zur Wertung sondern etwas wie<br />

e<strong>in</strong>e ethische Theorie me<strong>in</strong>t, spricht man deshalb immer<br />

über e<strong>in</strong> Phänomen, das erst durch e<strong>in</strong>e Sprache möglich<br />

wird.<br />

Wittgenste<strong>in</strong>s Spätphilosophie stellt e<strong>in</strong> sehr gutes<br />

Konzept zur Erläuterung der Funktionsweise von Ethik dar,<br />

weil sie lediglich von der Faktizität bestimmter<br />

menschlicher Eigenschaften ausgeht (sie setzt<br />

beispielsweise bloß die Sprachfähigkeit voraus) und <strong>in</strong><br />

diesem Rahmen die Möglichkeit bietet, Ethik zu<br />

analysieren, ohne (hypostasierende) Annahmen wie etwa<br />

diejenige e<strong>in</strong>es eigenständigen ethischen Reichs oder die<br />

Existenz ethischer Tatsachen machen zu müssen. Da man<br />

zudem zeigen kann [Wachtendorf: 163 ff], dass<br />

Wittgenste<strong>in</strong>s frühe Vorstellung von Ethik auch noch <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er Spätphilosophie besteht und deshalb mit dieser<br />

kompatibel ist, bietet sich die Spätphilosophie für ethische<br />

Betrachtungen auch <strong>in</strong> Wittgenste<strong>in</strong>s S<strong>in</strong>ne geradezu an.<br />

3. Ethische Sätze<br />

Ethik f<strong>in</strong>det ihren Ausdruck <strong>in</strong> Sätzen, denen die Sprachspielgeme<strong>in</strong>schaft<br />

zustimmt oder die sie ablehnt. So entsteht<br />

e<strong>in</strong>e Klasse von ethischen Sätzen. Ethische Sätze<br />

s<strong>in</strong>d beispielsweise: “[...] ’Du sollst das tun!’ oder ’Das ist<br />

gut!’ aber nicht ’Diese Menschen sagen das sei gut’. E<strong>in</strong><br />

ethischer Satz ist aber e<strong>in</strong>e persönliche H<strong>and</strong>lung. Ke<strong>in</strong>e<br />

Konstatierung e<strong>in</strong>er Tatsache. Wie e<strong>in</strong> Ausruf der Bewunderung.<br />

Bedenke doch daß die Begründung des ’ethischen<br />

Satzes’ nur versucht den Satz auf <strong>and</strong>ere zurückzuführen<br />

die Dir e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck machen. Hast Du am Schluß ke<strong>in</strong>en<br />

Abscheu vor diesem ke<strong>in</strong>e Bewunderung für jenes so gibt<br />

es ke<strong>in</strong>e Begründung die diesen Namen verdiente.” [DB:<br />

43 f ] Hier ist sehr schön die Eigentümlichkeit von Ethik,<br />

die sich auch <strong>in</strong> den ethischen Sätzen niederschlägt, zusammengefasst:<br />

Es geht immer um Wertungen und darum,<br />

Abscheu oder Bewunderung zu erzeugen. Da das<br />

Äußern e<strong>in</strong>es ethischen Satzes e<strong>in</strong>e H<strong>and</strong>lung ist, ist die<br />

Ethik selbst e<strong>in</strong>e Praxis, bestehend aus Wertungen und<br />

dem Äußern von Werturteilen.<br />

Den ethischen Sätzen eignet e<strong>in</strong>e Besonderheit: sie<br />

gehören ähnlich wie die grammatischen Sätze zu den<br />

selbstverständlichen und unh<strong>in</strong>terfragten Grundlagen aller<br />

Tätigkeiten [Wachtendorf 2008: 184 ff]. Da man im<br />

Allgeme<strong>in</strong>en Regeln bl<strong>in</strong>d folgt, folgt man auch ethischen<br />

Sätzen bl<strong>in</strong>d. Das heißt, dass man auch solchen Regeln<br />

folgt, die <strong>in</strong> dem jeweiligen Sprachspiel <strong>in</strong> Kraft s<strong>in</strong>d,<br />

obwohl man ihnen nicht explizit, sondern nur durch<br />

Teilhabe zugestimmt hat. Das eigene Verhalten ist also<br />

immer auch von ethischen Regeln geleitet, die im<br />

jeweiligen Sprachspiel Geltung haben. Es ist aus<br />

sprachlogischen Gründen gar nicht möglich, auf alle<br />

basalen Regeln zu reflektieren. Demgegenüber ist dies<br />

jedoch oftmals e<strong>in</strong> Kriterium von ethischem Verhalten: “Nur<br />

solches Verhalten unterliegt e<strong>in</strong>er moralischen Billigung<br />

oder Missbilligung, das der jeweilige Akteur hätte<br />

vermeiden können und das er deshalb verantworten<br />

muss.” [Birnbacher 22007: 15] E<strong>in</strong> Kriterium für das<br />

372<br />

Ethik als irreduzibles Supervenienzphänomen — Thomas Wachtendorf<br />

Vermeiden-Können ist laut Birnbacher “größere Vorsicht”<br />

[Birnbacher 22007: 15]. Kann man aber überhaupt<br />

vorsichtig genug se<strong>in</strong>? Zweifelsohne gilt das für dezidiert<br />

ethische Fragen, die man <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er konkreten Situation<br />

bewusst zu lösen versucht. Hier kann man etwas <strong>and</strong>ers<br />

machen, weil man die <strong>and</strong>eren Möglichkeiten kennt. Die<br />

bereits unbewusst <strong>in</strong> die ethische Überlegung<br />

e<strong>in</strong>gehenden, grundlegenden Regeln s<strong>in</strong>d jedoch<br />

ihrerseits e<strong>in</strong>er Reflexion entzogen (oder nur sehr schwer<br />

zugänglich). So verst<strong>and</strong>en bekommt die Klasse der<br />

ethischen Sätze e<strong>in</strong>e die Tätigkeiten der e<strong>in</strong>zelnen<br />

unbewusst bee<strong>in</strong>flussende Funktion, wobei sie gleichzeitig<br />

dem aktiven direkten Zugriff e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>zelnen entzogen ist.<br />

4. Supervenienz und Reduzierbarkeit<br />

Es ist nun unschwer zu erkennen, dass die Klasse der<br />

ethischen Sätze (fortan E), wie sie bis hierh<strong>in</strong> dargestellt<br />

worden ist, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Supervenienzverhältis zu den<br />

Sprachspielenden steht. Klassisch wird Supervenienz<br />

def<strong>in</strong>iert als: e<strong>in</strong>e Eigenschaftsfamilie A superveniert über<br />

e<strong>in</strong>er Eigenschaftsfamilie B, genau dann wenn man A<br />

nicht verändern kann, ohne B zu verändern. Es ist offensichtlich,<br />

dass diese Def<strong>in</strong>ition hier erfüllt ist, weil E ke<strong>in</strong>er<br />

Änderung unterliegt, sofern nicht e<strong>in</strong>e Änderung im H<strong>and</strong>eln<br />

der Sprachspielenden e<strong>in</strong>tritt.<br />

Somit ist die Ethik (selbstverständlich) abhängig von<br />

den Sprachspielenden; aber nicht von jedem e<strong>in</strong>zelnen,<br />

sondern von allen <strong>in</strong> ihrer Gesam<strong>the</strong>it. Sie ist das Ergebnis<br />

der Interaktion der Sprachspielenden untere<strong>in</strong><strong>and</strong>er und<br />

der Interdependenz zwischen diesen und den Sätzen aus<br />

E. Die e<strong>in</strong>zelnen Sätze aus E haben unterschiedliche<br />

Wirkung auf die verschiedenen Sprachspielenden. Die<br />

Wechselwirkung ist hyperkomplex, das heißt, es gibt ke<strong>in</strong>e<br />

e<strong>in</strong>deutige reversible Relation zwischen Sätzen und<br />

H<strong>and</strong>lungen, sondern die Interdependenzen der e<strong>in</strong>zelnen<br />

Sätze untere<strong>in</strong><strong>and</strong>er und ihre jeweilige Wirkung auf die<br />

Sprachspielenden s<strong>in</strong>d derart komplex, dass überhaupt<br />

ke<strong>in</strong>e Zuordnung möglich ist. Denn jede H<strong>and</strong>lung kann<br />

auf unterschiedliche Weise beschrieben werden und für<br />

jeden ethischen Satz gibt es verschiedene Möglichkeiten<br />

der Befolgung. Letzteres hängt <strong>in</strong>sbesondere auch von<br />

den Sitten und Gebräuchen der jeweiligen<br />

Sprachspielgeme<strong>in</strong>schaft oder von den besonderen<br />

Eigenschaften des E<strong>in</strong>zelnen ab. Außerdem kann e<strong>in</strong><br />

ethischer Satz Konsequenzen für <strong>and</strong>ere haben, die sich<br />

beispielsweise erst <strong>in</strong> der konkreten Praxis se<strong>in</strong>er<br />

Anwendung zeigen, wodurch er e<strong>in</strong>e praktische Wirkung<br />

entfaltet, die wiederum sofort Konsequenzen für die Sätze<br />

der Klasse E hat. Wittgenste<strong>in</strong> deutet dieses Verhältnis <strong>in</strong><br />

folgenden Bemerkungen an: “Was man e<strong>in</strong>e Änderung <strong>in</strong><br />

den Begriffen nennt, ist natürlich nicht nur e<strong>in</strong>e Änderung<br />

im Reden, sondern auch e<strong>in</strong>e im Tun.” [BPP: I-910] Und<br />

“Ich will sagen: e<strong>in</strong>e ganz <strong>and</strong>ere Erziehung, als die<br />

unsere, könnte auch die Grundlage ganz <strong>and</strong>erer Begriffe<br />

se<strong>in</strong>.” [BPP: II-707] Klarer kann man die enge<br />

Verwobenheit von H<strong>and</strong>lungen und Sprache nicht<br />

machen. In dieser Konstruktion kommt die Präreflexivität<br />

grammatischer und damit auch ethischer Sätze als<br />

Mythologie [vgl.: VüE: 38] deutlich zum Ausdruck. Erst auf<br />

der Basis e<strong>in</strong>er zum<strong>in</strong>dest rudimentären Klasse E kann<br />

anschließend auf e<strong>in</strong>zelne ethische Sätze aus E reflektiert<br />

werden.<br />

Gemäß dieser Darstellung ist zugleich klar, dass die<br />

Sprachspielenden nicht als kollektiver Akteur im<br />

herkömmlichen S<strong>in</strong>ne aufgefasst werden sollten. Die<br />

Frage ist hier nicht, ob die Geme<strong>in</strong>schaft der Sprachspielenden<br />

e<strong>in</strong>e eigenständige Entität ist, deren Vollzüge –<br />

sofern sie tatsächlich welche hat – zusätzlich und

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!