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Reduction and Elimination in Philosophy and the Sciences

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Wittgenste<strong>in</strong> meets ÖGS: Wovon man nicht gebärden kann …<br />

Harald Edelbauer/Raphaela Edelbauer, H<strong>in</strong>terbrühl, Österreich<br />

0. Das Projekt<br />

Die rezente Studie Sprache Macht Wissen, kommt zu dem<br />

Ergebnis, „daß das Bildungswesen <strong>in</strong> Österreich für gehörlose/hörbeh<strong>in</strong>derte<br />

SchülerInnen und Studierende reformbedürftig<br />

ist, und chancengleiche Bildungsmöglichkeiten<br />

für diese Personengruppe nicht immer gegeben s<strong>in</strong>d.“<br />

(Krausnecker/Schalber 2007)<br />

Hier hakt unser Projekt Evaluierung von Wittgenste<strong>in</strong>s<br />

Sprachphilosophie(n) anh<strong>and</strong> der Gebärdensprache<br />

e<strong>in</strong>. Formal zielt es auf die Übertragung des Tractatus<br />

logico-philosophicus sowie der Philosophischen Untersuchungen<br />

<strong>in</strong> die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS)<br />

ab; im zweiten Schritt soll die Übersetzung dieser Werke <strong>in</strong><br />

die ‚alphabetische’ Gebärdenschrift, wie sie C. Papaspyrou<br />

entworfen hat, erprobt werden.<br />

Ziel des Projekts ist e<strong>in</strong>erseits e<strong>in</strong>e Hilfestellung für<br />

Gebärdendolmetscher, die h<strong>in</strong>ter dem Ka<strong>the</strong>der philosophische<br />

Inhalte an gehörlose Studierende vermitteln sollen;<br />

zum <strong>and</strong>ern die E<strong>in</strong>übung semantischer Kompetenz<br />

auf höherem Niveau für Mitglieder der Gebärden-<br />

Sprachgeme<strong>in</strong>schaft. Es soll überprüft werden, <strong>in</strong>wiefern<br />

auch <strong>in</strong> Wittgenste<strong>in</strong>s Konzepten noch implizite sonozentrische<br />

Annahmen stecken.<br />

„Deshalb ist der Vorgang der Übersetzung fast noch<br />

wichtiger als ihr Ergebnis“, erläutert der organisatorische<br />

Leiter des Projekts, Thomas Nagy.<br />

Jede Übersetzungse<strong>in</strong>heit, an der gehörlose Student(<strong>in</strong>n)en<br />

und hörende Dolmetscher(<strong>in</strong>nen) mitwirken,<br />

wird filmisch dokumentiert. Geplant ist darüber h<strong>in</strong>aus die<br />

anschließende Fixierung der – im Konsens vorläufig akzeptierten<br />

- Gebärden mittels e<strong>in</strong>er neuen Notation.<br />

(Papaspyrou 1990)<br />

1. Expedition <strong>in</strong> semantisches Neul<strong>and</strong><br />

Def<strong>in</strong>itionen s<strong>in</strong>d Regeln der Übersetzung von e<strong>in</strong>er<br />

Sprache <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e <strong>and</strong>ere. Jede richtige Zeichensprache<br />

muß sich <strong>in</strong> jede <strong>and</strong>ere nach solchen Regeln übersetzen<br />

lassen. Dies ist, was sie alle geme<strong>in</strong>sam haben.<br />

(Wittgenste<strong>in</strong> 1984)<br />

Dieser Satz des Tractatus - 3.343 – enthält quasi<br />

Wittgenste<strong>in</strong>s frühe Sprachkonzeption ‚<strong>in</strong> a nutshell’; er<br />

birgt sogar <strong>in</strong> nuce den Grundgedanken, daß die logischen<br />

Konstanten nicht vertreten.<br />

Auch wenn wir – wie ihr Autor selbst – die Feststellung<br />

3.343 nicht mehr unterschreiben würden, bleibt das<br />

Problem der Übersetzung für die philosophische Semantik<br />

grundlegend.<br />

Gerade die Übertragung der beiden ‚Zentralwerke’<br />

Wittgenste<strong>in</strong>s – des Tractatus (im folgenden ‚T’) sowie der<br />

Philosophischen Untersuchungen (im folgenden ‚PU’) –<br />

offenbart e<strong>in</strong>e fasz<strong>in</strong>ierende Selbstreferenz: eben jene<br />

philosophisch-semantischen Probleme, von denen der zu<br />

übersetzende Text h<strong>and</strong>elt, tauchen <strong>in</strong> unerwarteter Brisanz<br />

als Probleme der Übersetzung wieder auf.<br />

Und dieses ‚<strong>the</strong>matische Feedback’ nimmt enorm<br />

zu, wenn die Zielsprache aus Gebärden anstatt aus Lauten<br />

besteht; denn, wie schon Wilhelm Wundt am Anfang<br />

des 20. Jahrhunderts erkannte, tun sich hier kategoriale<br />

Abgründe auf:<br />

Wie sehr man dabei meist noch geneigt blieb, e<strong>in</strong>fach<br />

die der Lautsprache entnommenen Kategorien<br />

auf die Gebärden zu übertragen, dafür bildet freilich<br />

die noch heute vollständigste Sammlung von Zeichen<br />

dieser Art e<strong>in</strong>en Beleg. Sie unterscheidet die<br />

Gebärden lediglich <strong>in</strong> Symbole für Hauptwörter, Eigenschaftswörter<br />

und Zeitwörter, ohne darauf<br />

Rücksicht zu nehmen, daß diese grammatischen<br />

Kategorien <strong>in</strong> der Form, <strong>in</strong> der sie die Lautsprache<br />

besitzt, für die Gebärde überhaupt nicht existieren.<br />

(Wundt 1911)<br />

Diese kategoriale Inkompatibilität – der Wittgenste<strong>in</strong>s<br />

Hypo<strong>the</strong>se (‚Def<strong>in</strong>itionen als Regeln der Übersetzung’)<br />

nicht st<strong>and</strong>hält – verdankt sich vor allem den völlig dist<strong>in</strong>kten<br />

Kommunikationskanälen. Chrissostomos Papaspyrou,<br />

e<strong>in</strong> selbst gehörloser L<strong>in</strong>guist, unterscheidet hier zwei<br />

Sprachfamilien verschiedener Substanz:<br />

Jede natürliche Sprache weist bekanntlich sowohl<br />

e<strong>in</strong>e Form, als auch e<strong>in</strong>e Substanz auf, die als materieller<br />

Träger der Form dient. … Die Substanz hat<br />

unmittelbare Beziehung zu der Aktualisierungsmodalität,<br />

bei der sich e<strong>in</strong>e natürliche Sprache auf physiologische<br />

Art und Weise manifestiert. … Jedoch,<br />

wie e<strong>in</strong> Blick <strong>in</strong> die relevante Literatur zeigt, ist die<br />

Substanz als Vergleichsfaktor nicht berücksichtigt<br />

worden. Die Annahme, daß alle menschlichen natürlichen<br />

Sprachen Lautsprachen s<strong>in</strong>d, und somit<br />

e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Substanz besitzen, klammerte<br />

diese Möglichkeit von vornhere<strong>in</strong> aus. … Doch es<br />

gibt die Gebärdensprachen, die die Gültigkeit der<br />

oben erwähnten Annahme offensichtlich aufheben.<br />

Als visuell-manuelle Zeichensysteme bieten die Gebärdensprachen,<br />

<strong>and</strong>ers als die unterschiedlichen<br />

Lautsprachen, e<strong>in</strong>e noch tiefer ausgeprägte Kontrastierung:<br />

die Kontrastierung der Aktualitätsmodalitäten<br />

zue<strong>in</strong><strong>and</strong>er. (Papaspyrou 1990)<br />

Um zu prüfen, ob und wieweit Wittgenste<strong>in</strong>s Sprachkonzepte<br />

den Übergang von e<strong>in</strong>er ‚Substanz’ zur <strong>and</strong>eren heil<br />

überstehen, haben wir den empirischen Weg gewählt, den<br />

Versuch e<strong>in</strong>er Übersetzung von T und PU <strong>in</strong> die – <strong>in</strong> Österreich<br />

unter Gehörlosen gebräuchliche – Gebärdensprache:<br />

Wittgenste<strong>in</strong> meets ÖGS.<br />

2. Wittgenste<strong>in</strong> – der Maßstab auf dem<br />

Prüfst<strong>and</strong><br />

Warum Wittgenste<strong>in</strong>? Weil er für uns noch immer die<br />

maßgebliche Instanz der Philosophie der idealen und der<br />

normalen Sprache bleibt. Seit er, im T, Bedeutung als Bild<br />

und später, <strong>in</strong> den PU, Bedeutung als Gebrauch charakterisiert<br />

hat, ist bis jetzt nichts Neues an vergleichbarer Kraft<br />

und Tiefe h<strong>in</strong>zugekommen.<br />

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