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Reduction and Elimination in Philosophy and the Sciences

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Zwischen Humes Gesetz und „Sollen impliziert Können“ – Möglichkeiten und Grenzen empirisch-normativer Zusammenarbeit <strong>in</strong> der Bioethik (Teil II) — Sebastian Schleidgen<br />

Sa wahr ist. Das ist wichtig, weil e<strong>in</strong>e generelle Akzeptanz<br />

von Ka → Sa für alle Instanzen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Normkonflikt<br />

münden würde: wären nämlich sowohl a als auch ¬a<br />

möglich, würde die Offenheit von Sa h<strong>in</strong>sichtlich se<strong>in</strong>es<br />

Wahrheitswertes dazu führen, dass sowohl a als auch ¬a<br />

gesollt wären. Die Erklärung für diese E<strong>in</strong>schränkung ist<br />

e<strong>in</strong>fach: Sofern ke<strong>in</strong> Sollen etabliert ist, also Sa den Wert<br />

„falsch“ hat, ist e<strong>in</strong>e Beschäftigung mit „Sollen impliziert<br />

Können“ oder – wie wir es nennen – „Können impliziert<br />

Sollen“ schlicht irrelevant. Es ist dann schließlich ke<strong>in</strong><br />

Sollen etabliert, demgegenüber e<strong>in</strong> Können steht.<br />

Nun muss man sich klarmachen, was e<strong>in</strong> solches<br />

formallogisches Verständnis bedeutet: Der Satz „Können<br />

impliziert Sollen“ ist wahr unabhängig vom Wahrheitswert<br />

der Teilaussage „Können“, d.h. ob etwas tatsächlich<br />

gekonnt wird, ist irrelevant dafür, ob es gesollt wird. Das<br />

kl<strong>in</strong>gt zunächst contra<strong>in</strong>tuitiv, ist aber deshalb plausibel,<br />

weil e<strong>in</strong> moralisches Sollen – wie wir hervorgehoben<br />

haben – ausschließlich durch Idealnormen etabliert wird,<br />

die ihre Geltung unabhängig von empirischen<br />

Erkenntnissen, mith<strong>in</strong> auch unabhängig von e<strong>in</strong>em<br />

faktischen Können – beanspruchen: Sollen ist schlichtweg<br />

unabhängig von Können. „Können impliziert Sollen“<br />

entspricht damit e<strong>in</strong>em wissenschafts<strong>the</strong>oretisch<br />

adäquaten Verhältnis von Idealnormen zur Praxis und<br />

verstößt nicht gegen Humes Gesetz.<br />

Es bleibt die Frage, welche Rolle das Können spielt,<br />

wenn es ke<strong>in</strong>erlei E<strong>in</strong>fluss auf das Sollen hat. Wie wir<br />

sagten, ist es Aufgabe normativer Theorie, Normen zu<br />

generieren, nach denen wir – qua unseres Menschse<strong>in</strong>s –<br />

h<strong>and</strong>eln können. Es genügt nicht, dass moralische<br />

Normen formallogische Kriterien erfüllen, um<br />

h<strong>and</strong>lungsleitend zu wirken. Diese Teilaufgabe normativer<br />

Theorie entspricht aber der von uns bereits<br />

wissenschafts<strong>the</strong>oretisch skizzierten Notwendigkeit e<strong>in</strong>er<br />

Übersetzung von Ideal- <strong>in</strong> Praxisnormen. Denn das<br />

empirisch zu erfassende Können entspricht den<br />

menschlichen H<strong>and</strong>lungsmöglichkeiten <strong>in</strong>nerhalb ihrer<br />

kognitiven, motivationalen sowie extern bed<strong>in</strong>gten<br />

Beschränkungen. Und das Ziel der Erfassung von<br />

Beschränkungen bzw. Können besteht ja dar<strong>in</strong>, die<br />

H<strong>and</strong>lungen <strong>in</strong> der Praxis soweit als möglich an den durch<br />

die Idealnormen avisierten moralischen Idealzust<strong>and</strong><br />

anzupassen. Dabei aber verlieren – wie wir hervorhoben –<br />

die Idealnormen, als Sollens-Aussagen, ke<strong>in</strong>eswegs ihre<br />

Gültigkeit. Wir haben es also gewissermaßen mit zwei<br />

Sollensarten zu tun: dem durch die Idealnormen<br />

generierten „moralischen Sollen“ steht e<strong>in</strong> „praktisches<br />

Sollen“ gegenüber, das durch die Praxisnormen<br />

ausgedrückt wird und welches das moralische Sollen an<br />

die menschlichen H<strong>and</strong>lungsmöglichkeiten anpasst. Daher<br />

ist der Satz „Können impliziert Sollen“ e<strong>in</strong>erseits wahr<br />

unabhängig von der Wahrheit des Gliedes „Können“ –<br />

nämlich, wenn er sich auf das moralische Sollen bezieht –,<br />

gleichzeitig aber ist e<strong>in</strong>e empirische Erfassung des<br />

Könnens mit H<strong>in</strong>blick auf die moralische Praxis zw<strong>in</strong>gend<br />

notwendig – wenn es um das praktische Sollen geht:<br />

Können spielt also nur für das Sollen <strong>in</strong> der Praxis e<strong>in</strong>e<br />

Rolle, die durch kognitive, motivationale und extern<br />

bed<strong>in</strong>gte Beschränkungen der Akteure vorstrukturiert ist.<br />

E<strong>in</strong>e angemessene Formulierung des traditionellen<br />

Ausdrucks „Sollen impliziert Können“, die e<strong>in</strong> h<strong>in</strong>sichtlich<br />

des Sollens wirksames Können be<strong>in</strong>haltet, ist daher<br />

„praktisches Sollen setzt Können voraus“.<br />

An dieser Stelle sei festgehalten, dass “Sollen<br />

impliziert Können” ke<strong>in</strong> Brückenpr<strong>in</strong>zip im oben skizzierten<br />

S<strong>in</strong>ne von Anwendungsbed<strong>in</strong>gungen moralischer Normen<br />

ist. Schließlich formulieren Brückenpr<strong>in</strong>zipien nach dem<br />

Schema „E<strong>in</strong>e H<strong>and</strong>lung H ist moralisch geboten gemäß<br />

der Norm N genau dann wenn das empirisch zu<br />

überprüfende Kriterium K gegeben ist“ e<strong>in</strong> bikonditionales<br />

Verhältnis zwischen K und N: N hat <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er vorliegenden<br />

Situation dann und nur dann Geltung, wenn K gegeben ist.<br />

Wie wir gezeigt haben, liegt dem adäquaten Verständnis<br />

von „Sollen impliziert Können“ h<strong>in</strong>gegen e<strong>in</strong><br />

Implikationsverhältnis zugrunde: Die gesollte Idealnorm N<br />

ist gültig unabhängig von e<strong>in</strong>em empirischen Nachweis<br />

darüber, ob sie faktisch e<strong>in</strong>gehalten werden kann oder<br />

nicht. Dieser Unterschied zwischen Brückenpr<strong>in</strong>zipien im<br />

S<strong>in</strong>ne von Anwendungsbed<strong>in</strong>gungen und „Sollen impliziert<br />

Können“ ergibt sich aus ihrem unterschiedlichen Status<br />

<strong>in</strong>nerhalb normativer Theoriebildung: Brückenpr<strong>in</strong>zipien im<br />

S<strong>in</strong>ne von Anwendungsbed<strong>in</strong>gungen s<strong>in</strong>d Erweiterungen<br />

moralischer Idealnormen und somit Ergebnis normativer<br />

Theoriebildung. „Sollen impliziert Können“ h<strong>in</strong>gegen hat –<br />

als Grundlage der Entwicklung von Praxisnormen –<br />

lediglich e<strong>in</strong>e pragmatische Funktion.<br />

Bislang haben wir auf wissenschafts<strong>the</strong>oretischem<br />

Wege Erkenntnis<strong>in</strong>teresse, -möglichkeiten und -grenzen<br />

normativer Theorie und empirischer Sozialwissenschaften<br />

sowie die sich daraus ergebenden Notwendigkeiten und<br />

Grenzen e<strong>in</strong>er Zusammenarbeit im Rahmen normativethischer<br />

Fragestellungen betrachtet. Diese wissenschafts<strong>the</strong>oretischen<br />

Überlegungen haben wir<br />

anschließend durch formallogische Überlegungen<br />

untermauert. Auf dieser Basis können wir nun e<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>schätzung der von Weaver und Trev<strong>in</strong>o e<strong>in</strong>geführten<br />

Ansätze vornehmen: Sowohl parallele als auch <strong>in</strong>tegrative<br />

Ansätze s<strong>in</strong>d abzulehnen, da normative und empirische<br />

Wissenschaften – <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> der Bioethik – weder<br />

vollständig vone<strong>in</strong><strong>and</strong>er getrennt noch mite<strong>in</strong><strong>and</strong>er<br />

verschmolzen werden können. Schließlich s<strong>in</strong>d sie<br />

e<strong>in</strong>erseits aufe<strong>in</strong><strong>and</strong>er angewiesen, <strong>and</strong>ererseits unterliegt<br />

ihre Zusammenarbeit aber bestimmten wissenschafts<strong>the</strong>oretischen<br />

und logischen Grenzen.<br />

Demgegenüber zeichnet sich der symbiotische<br />

Ansatz gerade dadurch aus, dass die <strong>the</strong>oretischen und<br />

methodologischen Kerne empirischer und normativer<br />

Wissenschaften strikt getrennt bleiben und beide<br />

Diszipl<strong>in</strong>en deshalb auf e<strong>in</strong>e Zusammenarbeit nach oben<br />

dargestelltem Muster angewiesen s<strong>in</strong>d (vgl. Molewijk et al.<br />

2004: 58). Nach wissenschafts<strong>the</strong>oretischen und logischen<br />

Kriterien kann also ausschließlich e<strong>in</strong> symbiotisches<br />

Vorgehen als adäquat bezeichnet werden.<br />

Abschließend möchten wir nun drei Varianten e<strong>in</strong>er<br />

zulässigen und konstruktiven Zusammenarbeit zwischen<br />

sozialwissenschaftlicher Empirie und normativer Theorie<br />

vorstellen und durch Beispiele verdeutlichen.<br />

2. Konsequenzen für e<strong>in</strong>e konkrete<br />

Zusammenarbeit<br />

Wie wir gezeigt haben, gibt es e<strong>in</strong>erseits offenkundige<br />

Notwendigkeiten, <strong>and</strong>ererseits klare Grenzen e<strong>in</strong>er Zusammenarbeit<br />

zwischen normativer Theorie und empirischer<br />

(Sozial-)Wissenschaft. Daraus ergeben sich drei<br />

konkrete Modi normativ-empirischer Kooperation, die wir<br />

abschließend darstellen möchten.<br />

Die erste Möglichkeit adäquater empirischnormativer<br />

Zusammenarbeit betrifft die Übersetzung<br />

normativ entwickelter Idealnormen <strong>in</strong> faktisch umsetzbare<br />

Praxisnormen. Wie wir gezeigt haben, muss e<strong>in</strong>e adäquate<br />

Moral<strong>the</strong>orie notwendig auf Idealnormen basieren, die<br />

aufgrund kognitiver und motivationaler Beschränkungen<br />

menschlicher Akteure jedoch <strong>in</strong> Praxisnormen übersetzt<br />

werden müssen. Damit wird e<strong>in</strong>erseits dem Kriterium<br />

„Sollen impliziert Können“ entsprochen, <strong>and</strong>ererseits aber<br />

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