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Reduction and Elimination in Philosophy and the Sciences

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94<br />

Die Nichtreduzierbarkeit der klassischen Physik auf quanten<strong>the</strong>oretische Grundbegriffe — Helmut F<strong>in</strong>k<br />

In den l<strong>in</strong>earen Phasenraum-Darstellungen werden<br />

die verallgeme<strong>in</strong>erten Moyalklammern <strong>in</strong> diesem formalen<br />

klassischen Limes alle zur Poissonklammer und die Zust<strong>and</strong>smengen<br />

werden alle zur Menge der Wahrsche<strong>in</strong>lichkeitsdichten<br />

auf P, also der klassischen Zust<strong>and</strong>smenge.<br />

Es sche<strong>in</strong>t, dass sich die zugehörige Interpretation<br />

dabei kont<strong>in</strong>uierlich mitverändern müsste: von e<strong>in</strong>er Welt<br />

objektiver Quantenunbestimm<strong>the</strong>it über e<strong>in</strong>en Bereich<br />

immer kle<strong>in</strong>erer Unschärfen bis h<strong>in</strong> zur Welt der klassischen<br />

Objekte mit ihren durchgehenden Wertebelegungen<br />

aller Observablen (wie z.B. klassischen Bahnen). Der<br />

klassische Limes verspricht e<strong>in</strong>en sanften Übergang <strong>in</strong> die<br />

klassische Welt.<br />

Sieht man vom Rahmen der Präparier- und Registrierapparate<br />

ab und beg<strong>in</strong>nt die Betrachtung mit der re<strong>in</strong>en<br />

Struktur der Quanten<strong>the</strong>orie, dann wird der Gegenst<strong>and</strong>sbereich<br />

ihrer Voraussagen im Limes klassisch. Doch für<br />

den Messprozess selbst existiert diese Brücke nicht: Hier<br />

besitzt die Gesamtbeschreibung der physikalischen Situation<br />

e<strong>in</strong>e semantische Unstetigkeit, die schon <strong>in</strong> den<br />

Denkvoraussetzungen der Beschreibung steckt und durch<br />

Umskalierungen ihres Inhalts nicht beseitigt werden kann.<br />

Quanteneigenschaften s<strong>in</strong>d objektiv unbestimmt, Messergebnisse<br />

liegen aber als Fakten vor und s<strong>in</strong>d dann objektiv<br />

festgelegt. Quanten<strong>the</strong>oretische Möglichkeiten (etwa<br />

Strahlengänge von Photonen) kann man rekomb<strong>in</strong>ieren,<br />

klassische Daten stehen h<strong>in</strong>gegen fest (und bestehen als<br />

Dokumente über die Zeit fort). Das s<strong>in</strong>d qualitative Unterschiede,<br />

die nicht e<strong>in</strong>geebnet werden können.<br />

Die Quanten<strong>the</strong>orie begegnet der klassischen Theorie<br />

also zweimal: e<strong>in</strong>mal als Grenzfall, aber e<strong>in</strong> <strong>and</strong>ermal<br />

als begriffliche Voraussetzung der eigenen Interpretation.<br />

Im e<strong>in</strong>en Fall bildet der klassische Limes e<strong>in</strong>e Brücke, im<br />

zweiten ist er gar nicht s<strong>in</strong>nvoll. Die makroskopische Unterscheidbarkeit<br />

der Zeigerstellungen macht ja gerade das<br />

Spektrum der verschiedenen quanten<strong>the</strong>oretischen Möglichkeiten<br />

sichtbar. Das Faktum des Messergebnisses<br />

entsteht dabei unstetig, nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Limes. Das Faktum<br />

ist das abrupte Ende der quanten<strong>the</strong>oretischen Beschreibung.<br />

Das Faktum bleibt dem Quantum äußerlich. Der<br />

Übergang zur klassischen Beschreibung ist hier e<strong>in</strong>e<br />

Grenze der Quanten<strong>the</strong>orie, nicht ihr Grenzfall.<br />

5 In der Sprache der Quantenlogik<br />

Die Quantenlogik (Mittelstaedt et al. 2005, Kapitel 13) untersucht<br />

die Ordnungsstrukturen möglicher Aussagen über<br />

Quantensysteme. Alle strukturellen Kennzeichen der<br />

Quanten<strong>the</strong>orie spiegeln sich <strong>in</strong> ihren Begriffen wider. Der<br />

zentrale Strukturbegriff ist dabei der quanten<strong>the</strong>oretische<br />

Aussagenverb<strong>and</strong> L(H). Er ist nicht-Boolesch (nichtdistributiv)<br />

und entspricht dem Verb<strong>and</strong> der Teilräume des<br />

Hilbertraums H. Jeder solche Teilraum steht für e<strong>in</strong>e mögliche<br />

elementare Aussage (Zuschreibung e<strong>in</strong>er möglichen<br />

Eigenschaft). Das Superpositionspr<strong>in</strong>zip der Zust<strong>and</strong>svektoren<br />

und die Inkompatibilität von Quantenobservablen<br />

werden durch den nicht-Booleschen Charakter von L(H)<br />

ermöglicht.<br />

Welches Bild ergibt sich, wenn die klassische Theoriestruktur<br />

<strong>in</strong> diesem begrifflichen Rahmen betrachtet wird?<br />

Klassische Theorien s<strong>in</strong>d durch Boolesche Aussagenverbände<br />

gekennzeichnet. Die dar<strong>in</strong> zusammengefassten<br />

Aussagen können immer als objektiv wahr oder falsch,<br />

Werte von Observablen daher als objektiv vorliegend oder<br />

nicht vorliegend aufgefasst werden. Die klassische Logik<br />

ist die Struktur des Faktischen.<br />

Der Aussagenverb<strong>and</strong> L(H) e<strong>in</strong>es re<strong>in</strong>en Quantensystems<br />

enthält unendlich viele Boolesche Unterverbände<br />

B(H). Die Auswahl e<strong>in</strong>es solchen B(H) kann als abstrakter<br />

Ausdruck e<strong>in</strong>er Observablenwahl betrachtet werden. In H<br />

entspricht dieser Wahl die E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>er Superauswahlregel,<br />

d.h. die Auszeichnung e<strong>in</strong>es Systems paarweise<br />

orthogonaler Teilräume, zwischen deren Elementen ke<strong>in</strong>e<br />

Superpositionen erlaubt s<strong>in</strong>d.<br />

Die Struktur der Quantenlogik ersche<strong>in</strong>t somit allgeme<strong>in</strong>er<br />

als die Struktur der klassischen Logik: Letztere<br />

kann <strong>in</strong> erstere e<strong>in</strong>gebettet werden und entsteht aus ihr<br />

durch Spezialisierung bzw. zusätzliche Forderungen. Solche<br />

Untersuchungen s<strong>in</strong>d auch auf die Struktur der Sprache<br />

von klassischer und Quantenphysik, jeweils auch auf<br />

relativistischer Raumzeit, ausgedehnt worden (Mittelstaedt<br />

1986). Die Hoffnung des Quanten-Universalismus zeigt<br />

sich dabei <strong>in</strong> der Erwartung e<strong>in</strong>er eigenständigen und fundamentalen<br />

Quanten-Ontologie, während die klassische<br />

Ontologie als für die physikalische Realität eher untypischer<br />

Sonderfall gesehen wird.<br />

Doch die Enttäuschung folgt auf dem Fuß: Auch<br />

durch diese strukturelle E<strong>in</strong>bettung kann die klassische<br />

Physik nicht auf die Quanten<strong>the</strong>orie reduziert werden.<br />

Denn das Problem der Faktenentstehung bleibt ungelöst.<br />

Der quantenlogische Zugang illustriert im Gegenteil die<br />

Notwendigkeit e<strong>in</strong>er klassischen Begriffsbasis auf besonders<br />

luzide Weise.<br />

6 Von der Not zur Tugend<br />

Ohne klassischen Beschreibungsrahmen (im S<strong>in</strong>ne der<br />

klassischen Logik für Eigenschaftszuschreibungen für<br />

Apparate) hängt die Semantik der Quanten<strong>the</strong>orie <strong>in</strong> der<br />

Luft. Aussagen über quanten<strong>the</strong>oretische Möglichkeiten<br />

beziehen ihre Bedeutung aus den klassischen Fakten, die<br />

zu Beg<strong>in</strong>n schon vorlagen (Präparation) oder am Ende<br />

e<strong>in</strong>treten (Messung). Quantenzustände liefern Wahrsche<strong>in</strong>lichkeiten,<br />

deren Bedeutung ohne Bezug auf die<br />

relativen Häufigkeiten der dann tatsächlich gefundenen<br />

Messwerte gänzlich unklar bliebe. Quantenobservablen<br />

beziehen ihre Bedeutungen und Bezeichnungen aus<br />

Transformationseigenschaften, die durch ihre klassischen<br />

Entsprechungen def<strong>in</strong>iert s<strong>in</strong>d und sich <strong>in</strong> Symmetrieeigenschaften<br />

der Menge ihrer möglichen Messwerte zeigen.<br />

Der unstetige Übergang zwischen Quanten und<br />

Fakten (etwa beim Auftreffen e<strong>in</strong>es Photons auf den<br />

Schirm) entspricht dem strukturellen Sprung zwischen L(H)<br />

und B(H). Nicht historische Relikte klassischer physikalischer<br />

Beschreibungen gilt es daher zu bewahren, sondern<br />

nur die methodische Grundlage für die Rede von Fakten.<br />

Die Quanten<strong>the</strong>orie liefert sie nicht, sondern setzt sie voraus.<br />

Aus diesem Grund müssen klassische Begriffe <strong>in</strong><br />

Vor<strong>the</strong>orien (Ludwig ²1990, 2006) zur Quanten<strong>the</strong>orie<br />

verankert bleiben.<br />

Der Quanten-Universalismus ist selbstzerstörerisch:<br />

Er will die Reduktion aller Theorien auf die Quanten<strong>the</strong>orie<br />

und entzieht eben dadurch der Quanten<strong>the</strong>orie die Grundlage<br />

ihrer Interpretation. Denn Interpretation heißt gedanklicher<br />

Bezug auf e<strong>in</strong>e mögliche Außenwelt. Und dieser<br />

Bezug ist ohne Faktenbegriff nicht zu haben.<br />

Die Reduktion der klassischen Physik auf re<strong>in</strong> quanten<strong>the</strong>oretische<br />

Grundbegriffe scheitert also. Doch das ist<br />

ke<strong>in</strong> Ärgernis, sondern e<strong>in</strong>e methodologische Notwendigkeit.<br />

Bohr hat das bereits klar gesehen. Wir müssen es<br />

wieder sehen lernen.

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