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Reduction and Elimination in Philosophy and the Sciences

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Ethik als irreduzibles Supervenienzphänomen<br />

Thomas Wachtendorf, Oldenburg, Deutschl<strong>and</strong><br />

1. Der Ursprung der Ethik<br />

Die Frage nach der Irreduzibilität der Ethik setzt allererst<br />

die Klärung der Frage voraus, <strong>in</strong> welchem S<strong>in</strong>ne hier von<br />

Ethik die Rede ist. Erst danach kann anh<strong>and</strong> e<strong>in</strong>er anzugebenden<br />

Def<strong>in</strong>ition von Supervenienz die eventuelle<br />

Nichtreduzierbarkeit von Ethik diskutiert werden.<br />

Wittgenste<strong>in</strong>, dessen E<strong>in</strong>lassungen zur Ethik recht<br />

marg<strong>in</strong>al s<strong>in</strong>d, bestimmt deren Ursprung dennoch: “[Ethik]<br />

ist e<strong>in</strong> Zeugnis e<strong>in</strong>es Drangs im menschlichen<br />

Bewußtse<strong>in</strong>” [VüE: 19]. Dieser Drang ersche<strong>in</strong>t als e<strong>in</strong><br />

Antrieb, der den Menschen werten lässt: “Ich habe die<br />

Welt zu beurteilen, die D<strong>in</strong>ge zu messen.” [Tb: 2.9.1916]<br />

Zwar bleibt, was dieses wertende Ich genau ausmacht,<br />

unklar: “Das Ich, das Ich ist das tief Geheimnisvolle.“ [Tb:<br />

5.8.16] Allerd<strong>in</strong>gs ist an dieser Stelle auch ke<strong>in</strong>e<br />

diesbezügliche Erörterung erforderlich. Genau so wenig<br />

wie e<strong>in</strong>e Erklärung des Ursprungs dieses Dranges möglich<br />

ist. Es bleibt lediglich zu konstatieren, dass dieser Drang<br />

im Menschen vorh<strong>and</strong>en ist. Somit bleibt als Ursprung der<br />

Ethik e<strong>in</strong> nicht weiter erklärbarer Drang im Menschen, die<br />

Welt zu beurteilen oder zu werten. So wertet der Mensch<br />

se<strong>in</strong>e Umwelt, zu der auch die H<strong>and</strong>lungen und das<br />

Verhalten der <strong>and</strong>eren gehören. Vorsprachlich wird sich<br />

dies Verhalten etwa <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ablehnenden oder<br />

zustimmenden Reaktion ausdrücken, sprachlich als<br />

Äußerung, was selber bereits e<strong>in</strong>e H<strong>and</strong>lung darstellt.<br />

Ethik ist folglich nichts, was eigenständig <strong>in</strong> der Welt<br />

existiert, e<strong>in</strong> Sachverhalt etwa (So <strong>in</strong> VüE: 13 f: “Das<br />

gleiche gilt für das absolut Gute; wäre es e<strong>in</strong><br />

beschreibbarer Sachverhalt, müßte ihn jeder – unabhängig<br />

von se<strong>in</strong>en eigenen Vorlieben und Neigungen – notwendig<br />

herbeiführen oder sich schuldig fühlen, weil er ihn nicht<br />

herbeiführt. E<strong>in</strong> solcher Sachverhalt, möchte ich<br />

behaupten, ist e<strong>in</strong> Hirngesp<strong>in</strong>st.”), sondern sie ist an<br />

wertende H<strong>and</strong>lungen gebunden (vgl.: “Die Bedeutung des<br />

Wortes »gut« ist an die H<strong>and</strong>lung, die es qualifiziert,<br />

gefesselt“ [V: 191]). Diese werden von Subjekten<br />

vollzogen und also gilt: “gut und böse [s<strong>in</strong>d] Prädikate des<br />

Subjekts, nicht Eigenschaften <strong>in</strong> der Welt.” [Tb: 2.8.16]<br />

Grundlage der Ethik s<strong>in</strong>d also die wertenden Tätigkeiten<br />

der Sprachspielenden.<br />

2. Ethik ist sprachvermittelt und entsteht<br />

erst durch Sprache<br />

Der im Menschen angelegte Drang zu werten hat verschiedene<br />

Möglichkeiten der Äußerung: nichtsprachlich als<br />

bloß tätliche Reaktion, sprachlich als Äußerung.<br />

Für die Ethik und die Verständigung gelten jedoch<br />

dieselben Muster, die Wittgenste<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Spätphilosophie<br />

aufzeigt. Zur Verständigung bedarf es für die Verwendung<br />

von Wörtern geme<strong>in</strong>samer Regeln, denen auch gefolgt<br />

wird. Diese Regeln entstehen <strong>in</strong> Sprachspielen, wie am<br />

Beg<strong>in</strong>n der Philosophischen Untersuchungen vorgeführt<br />

wird. Das besondere des Sprachspiels ist es, dass <strong>in</strong> ihm<br />

die Sprache und die “Tätigkeiten mit denen sie verwoben<br />

s<strong>in</strong>d” [PU: §7] als zusammengehörig aufgefasst werden.<br />

So kann aus nichtsprachlichem Verhalten durch regelhafte<br />

Korrelation mit Lauten (sprachliches) H<strong>and</strong>eln entstehen.<br />

Durch die Tätigkeiten der Menschen und die je spezifische<br />

Art, mit der sie diese durchführen, bekommen die Wörter<br />

durch ihren mit den Tätigkeiten verbundenen Gebrauch <strong>in</strong><br />

der Sprache ihre spezifische Bedeutung [PU: §43]. Wichtig<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> diesem Zusammenhang zwei Aspekte der<br />

Sprachspielkonzeption: Die Sprachspielenden br<strong>in</strong>gen sich<br />

erstens gegenseitig durch Bestätigung oder Sanktion<br />

e<strong>in</strong>zelner Tätigkeiten die geltenden Regeln bei (sie richten<br />

sich darauf ab [Z: Nr. 419]). Das entzieht ihnen jedoch<br />

zweitens zugleich den alle<strong>in</strong>igen Zugriff auf die geltenden<br />

Regeln. Es entsteht e<strong>in</strong> Wechselverhältnis zwischen dem<br />

Unterworfense<strong>in</strong> des e<strong>in</strong>zelnen Sprachspielenden unter<br />

die Regeln auf der e<strong>in</strong>en und <strong>and</strong>ererseits se<strong>in</strong>er<br />

Möglichkeit zu deren Veränderung und Bee<strong>in</strong>flussung auf<br />

der <strong>and</strong>eren Seite.<br />

An dieser Stelle ist die strukturelle Ähnlichkeit des<br />

Funktionierens von Sprache mit dem Funktionieren von<br />

Ethik nicht zu übersehen. Genau wie bei jeder <strong>and</strong>eren<br />

sprachlichen Regel betont Wittgenste<strong>in</strong>, dass es immer<br />

e<strong>in</strong>e Sprachspielgeme<strong>in</strong>schaft geben müsse, damit – <strong>in</strong><br />

diesem Falle ethische – Regeln ihre b<strong>in</strong>dende Kraft<br />

erhalten: “E<strong>in</strong> Soll hat also nur S<strong>in</strong>n, wenn h<strong>in</strong>ter dem Soll<br />

etwas steht, das ihm Nachdruck gibt – e<strong>in</strong>e Macht, die<br />

straft und belohnt. E<strong>in</strong> Soll an sich ist uns<strong>in</strong>nig” [WWK:<br />

118]. Diese Macht ist zweigestalt: e<strong>in</strong>erseits besteht sie<br />

zweifelsohne aus den Mitgliedern der Sprachspielgeme<strong>in</strong>schaft,<br />

die die E<strong>in</strong>haltung der (sprachlichen)<br />

Regeln überwachen. Andererseits ist damit aber auch das<br />

eigene Gewissen geme<strong>in</strong>t: “Wenn me<strong>in</strong> Gewissen mich<br />

aus dem Gleichgewicht br<strong>in</strong>gt, so b<strong>in</strong> ich nicht <strong>in</strong><br />

Übere<strong>in</strong>stimmung mit Etwas. Aber was ist dies? Ist es die<br />

Welt? [...] Zum Beispiel: es macht mich unglücklich zu<br />

denken, daß ich den und den beleidigt habe. Ist das me<strong>in</strong><br />

Gewissen?“ [Tb: 8.7.1916] Die Motivation, sich gemäß<br />

bestimmter ethischer Regeln zu verhalten, hat so e<strong>in</strong>mal<br />

e<strong>in</strong>en äußeren, e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>neren Grund. In beiden<br />

Fällen ist gleichwohl schon vorausgesetzt, dass es bereits<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Sprachspielgeme<strong>in</strong>schaft entst<strong>and</strong>ene Regeln<br />

geben muss, deren Nichtbefolgung überhaupt als ethisch<br />

schlecht – und damit sanktionsfähig – empfunden werden<br />

kann.<br />

Es bleibt, dass sich Ethik nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>schaft<br />

von Sprachspielenden entfalten kann, wo und <strong>in</strong>dem sie<br />

durch ihre sprachliche Form den Sprachspielenden erst<br />

bewusst werden kann. Denn analog zum<br />

Privatsprachenargument kann es ke<strong>in</strong>e privaten, sondern<br />

bloß öffentliche ethische Begriffe geben. Folglich gibt es<br />

nur e<strong>in</strong>e öffentliche Ethik. Dies folgt außerdem aus den<br />

Überlegungen zum privaten Regelfolgen, wonach e<strong>in</strong>er<br />

alle<strong>in</strong> die Richtigkeit se<strong>in</strong>er eigenen Regelbefolgung nicht<br />

garantieren kann. Jeder hat ja bloß se<strong>in</strong>e Er<strong>in</strong>nerung an<br />

e<strong>in</strong> vormaliges Regelfolgen, die er nun als Vorbild für e<strong>in</strong><br />

erneutes Folgen verwendet. E<strong>in</strong>e Er<strong>in</strong>nerung ist jedoch<br />

immer für Täuschungen anfällig [vgl.: PU: § 265,<br />

Wachtendorf 2008: 220 f].<br />

Genau wie die übrigen Regeln des Sprachspiels<br />

s<strong>in</strong>d auch die ethischen Regeln als e<strong>in</strong> Produkt der<br />

Sprachspielgeme<strong>in</strong>schaft durch den Prozess des<br />

geme<strong>in</strong>samen Sprechens und Tätigse<strong>in</strong>s – also beim<br />

geme<strong>in</strong>samen Lebensvollzug – entst<strong>and</strong>en. Genau wie auf<br />

die übrigen Regeln richten sich die Sprecher gegenseitig<br />

auf die ethischen Regeln ab. Jem<strong>and</strong> h<strong>and</strong>elt und aus der<br />

billigenden oder ablehnenden Reaktion der <strong>and</strong>eren ergibt<br />

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