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Reduction and Elimination in Philosophy and the Sciences

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Warum man auf transzendentalphilosophische Argumente nicht verzichten kann — Benedikt Schick<br />

Ursachen. Neuronale Prozesse etwa s<strong>in</strong>d offenbar durchgängig<br />

von Ursachen bestimmt. Ist daher die ant<strong>in</strong>aturalistische<br />

Schlussfolgerung zu ziehen, dass, wenn wir<br />

an der Möglichkeit festhalten wollen, dass Menschen ihr<br />

H<strong>and</strong>eln zum<strong>in</strong>dest pr<strong>in</strong>zipiell an Gründen ausrichten können,<br />

dass wir dann e<strong>in</strong>en ontologischen Physikalismus<br />

zurückweisen müssen?<br />

In se<strong>in</strong>em Beitrag Ursachen und Gründe: Zu Ihrer<br />

Unterscheidung <strong>in</strong> der Debatte um Physikalismus und<br />

Willensfreiheit bestreitet Michael Pauen genau das<br />

(Pauen2005, 7). Die Unterscheidung von Ursachen und<br />

Gründen kann se<strong>in</strong>er Ansicht nach auch dann aufrechterhalten<br />

werden, wenn der Physikalismus wahr wäre.<br />

Geme<strong>in</strong>t ist damit, dass selbst wenn menschliches Verhalten<br />

vollständig durch physische Prozesse bestimmt<br />

wäre, es dennoch unter dem E<strong>in</strong>fluss von Gründen stehen<br />

könnte. Wie argumentiert Pauen nun für diese Ansicht?<br />

Zunächst e<strong>in</strong>mal verzichtet er darauf „psycho-physische<br />

Identitätsbehauptungen“ (Ebd. 8) aufzustellen, ihn<br />

beschäftigt lediglich das Verhältnis der verschiedenen Beschreibungsebenen:<br />

der lebensweltlichen, <strong>in</strong> der Gründe<br />

vorkommen und der neurobiologischen, <strong>in</strong> der Ursachen<br />

vorkommen. Was dieses Verhältnis betrifft, so s<strong>in</strong>d<br />

„Reduktionsbehauptungen“ durchaus denkbar, so Pauen.<br />

Mit Reduktion ist dabei geme<strong>in</strong>t die „erklärende Zurückführung<br />

z.B. e<strong>in</strong>er aus dem Alltag bekannten Phänomenbeschreibung<br />

auf e<strong>in</strong>e wissenschaftliche Theorie, die es<br />

erlaubt, das Alltagsphänomen zu erklären“ (Ebd. 8).<br />

Entscheidend ist der Zusatz: „Selbstverständlich wird die<br />

Existenz des Alltagsphänomens damit nicht angetastet.“<br />

(Ebd. 8). Pauen sche<strong>in</strong>t hier e<strong>in</strong>en Mittelweg gehen zu<br />

wollen. Auf der e<strong>in</strong>en Seite wehrt er sich gegen e<strong>in</strong>e<br />

„abenteuerliche Identifikation von Gründen und Neuronen“<br />

(Ebd. 10), <strong>and</strong>ererseits hält er daran fest, dass Überlegungsprozesse,<br />

die sich auf Gründe stützen, neuronal<br />

realisiert s<strong>in</strong>d. Als Analogie dient ihm das Verhältnis von<br />

Computern zu ihren Programmen. Nur weil alles, was sich<br />

<strong>in</strong> Computern ereignet vollständig physikalisch beschreibbar<br />

ist, heißt das nicht, dass nicht Programme die Funktion<br />

des Computers bestimmen. Die Software existiert und ist<br />

wirksam, allerd<strong>in</strong>gs nicht als etwas Eigenständiges<br />

sondern als etwas materiell – <strong>in</strong> der Hardware – Realisiertes.<br />

3. E<strong>in</strong> Argumentationsschritt fehlt<br />

Michael Pauen möchte <strong>in</strong> dem genannten Beitrag nicht für<br />

die Wahrheit des Physikalismus argumentieren, er möchte<br />

vielmehr die grundsätzliche Vere<strong>in</strong>barkeit des Physikalismus<br />

mit der Möglichkeit, dass Gründe wirksam s<strong>in</strong>d, aufzeigen.<br />

Er bilanziert daher: „Es mag viele E<strong>in</strong>wände gegen<br />

den Physikalismus geben – die Präsumtion, dass unser<br />

H<strong>and</strong>eln von Gründen geleitet wird, gehört jedoch offenbar<br />

nicht dazu“ (Ebd. 11).<br />

Mit Blick auf diesen Ansatz Pauens ließe sich nun<br />

manches <strong>in</strong> Frage stellen. Man könnte etwa den<br />

vorausgesetzten Kompatibilismus kritisieren (vgl. dazu die<br />

Replik auf Pauen: Nida-Rümel<strong>in</strong> 2005), und man könnte<br />

zweitens bestreiten, dass e<strong>in</strong>e vollständige Reduktion der<br />

mentalen Ebene auf die neurobiologische Ebene gel<strong>in</strong>gen<br />

kann (Pauen selbst äußert diesen Zweifel deutlich. Pauen<br />

2005, 10). Stellen wir diese beiden E<strong>in</strong>wände aber e<strong>in</strong>mal<br />

zurück und nehmen um des Arguments willen an, das<br />

Verhältnis der Redeweise von Gründen zu neurobiologischen<br />

Beschreibungen sei treffend beschrieben. Es<br />

ergibt sich dann – so me<strong>in</strong>e ich – e<strong>in</strong> Problem mit Pauens<br />

realistischer, nicht-elim<strong>in</strong>ativer Deutung von Gründen.<br />

Warum geht Pauen so selbstverständlich davon aus, dass<br />

selbst wenn die lebensweltliche Beschreibungsebene auf<br />

die neurobiologische reduziert werden kann, die<br />

lebensweltliche Beschreibung dennoch nicht ihren<br />

ontologisch verb<strong>in</strong>dlichen Charakter verliert? Dazu noch<br />

e<strong>in</strong>mal Pauen: „Selbstverständlich wird die Existenz des<br />

Alltagsphänomens damit [durch die reduktive Erklärung]<br />

nicht angetastet“ (Ebd. 8).<br />

E<strong>in</strong> Beispiel und e<strong>in</strong>e <strong>the</strong>oretische Überlegung dazu<br />

sollen im Folgenden zeigen, dass das alles <strong>and</strong>ere als<br />

selbstverständlich, vielmehr begründungsbedürftig ist.<br />

4. Die Dämonen-Theorie als Beispiel<br />

Das folgende Beispiel hat <strong>in</strong> ähnlicher Form Richard<br />

Rorty im Rahmen se<strong>in</strong>er Argumentation für den<br />

Elim<strong>in</strong>ativen Materialismus verwendet (Rorty 2 1993, 96-<br />

99).<br />

Denken wir uns e<strong>in</strong>e Gesellschaft, <strong>in</strong> der<br />

Krankheiten dadurch erklärt werden, dass man sagt, die<br />

Kranken seien von Dämonen oder bösen Geistern<br />

besessen. Es gibt <strong>in</strong> dieser Gesellschaft bestimmte Arten<br />

der Beh<strong>and</strong>lung, die <strong>in</strong> der Regel auch wirken, und die<br />

Wirkweise wird natürlich ebenfalls mithilfe des Dämonensprachspiels<br />

erklärt. Diese Gesellschaft kommt irgendwann<br />

<strong>in</strong> Kontakt mit der westlichen Welt, lernt die moderne<br />

Mediz<strong>in</strong> kennen und ersetzt nach und nach die alte<br />

Beschreibung von Krankheiten durch e<strong>in</strong>e Erklärung<br />

mithilfe von Viren und Bakterien. Ist das alte Sprachspiel<br />

damit nicht völlig obsolet geworden, und erzw<strong>in</strong>gt nicht die<br />

erfolgreiche Reduktion damit auch das Zugeständnis, dass<br />

es Dämonen nicht gibt? Niem<strong>and</strong> würde doch die Behauptung<br />

stehen lassen wollen: Dämonen s<strong>in</strong>d bakteriell<br />

realisiert. Die Redeweise von Viren und Bakterien erklärt<br />

nicht, wie Dämonen Krankheiten bewirken, sie ersetzt vielmehr<br />

das Dämonensprachspiel. Es gebietet sich hier von<br />

<strong>Elim<strong>in</strong>ation</strong>, nicht von reduktiver Erklärung zu sprechen.<br />

Offensichtlich haben wir es beim Dämonenglauben mit<br />

dem Fall e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bestimmten Gesellschaft etablierten<br />

lebensweltlichen Annahme zu tun, die aber<br />

wissenschaftlich kritisiert und elim<strong>in</strong>iert werden kann.<br />

Der entscheidende Grund dafür, dass e<strong>in</strong>e<br />

realistische Deutung des Dämonensprachspiels nicht<br />

s<strong>in</strong>nvoll ist, sche<strong>in</strong>t dar<strong>in</strong> zu liegen, dass im Fall e<strong>in</strong>er<br />

wirklich vollständigen Reduktion e<strong>in</strong>es lebensweltlichen<br />

Sprachspiels auf e<strong>in</strong>e zugrunde liegende wissenschaftlich<br />

beschreibbare Ebene dieses Sprachspiel <strong>the</strong>oretisch überflüssig<br />

wird, und daher auch jede ontologische Verb<strong>in</strong>dlichkeit<br />

e<strong>in</strong>büßt. Die Möglichkeit, dass das überholte<br />

Sprachspiel aus pragmatischen Gründen beibehalten wird,<br />

ist damit natürlich nicht ausgeschlossen. E<strong>in</strong>e solche<br />

pragmatische Beibehaltung verpflichtet aber nicht<br />

ontologisch.<br />

Man könnte das hier Geme<strong>in</strong>te auch deutlich<br />

machen, <strong>in</strong>dem man sich auf das „Pr<strong>in</strong>zip der<br />

wissenschaftlichen Eleganz“ (Schmidt-Salomon 2007,<br />

183) 2 beruft. Es besagt, dass man zur Erklärung e<strong>in</strong>es<br />

Phänomens nicht mehr Annahmen <strong>in</strong>vestieren soll, als<br />

unbed<strong>in</strong>gt nötig s<strong>in</strong>d. Oder man greift zu Ockhams<br />

Rasiermesser und verlangt, dass man die Menge der<br />

Entitäten nicht ohne Not vermehren soll. Die Redeweise<br />

von Dämonen ist nach der erfolgreichen Etablierung<br />

wissenschaftlicher Mediz<strong>in</strong> nicht notwendig für die<br />

Erklärung irgende<strong>in</strong>es Phänomens. Daher sollte man<br />

diese Redeweise aufgeben bzw. zum<strong>in</strong>dest nicht mehr<br />

2 Michael Schmidt-Salomon wendet dieses Pr<strong>in</strong>zip <strong>in</strong> der Frage nach Willensfreiheit<br />

an – allerd<strong>in</strong>gs wohl auf problematische Weise.<br />

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