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Reduction and Elimination in Philosophy and the Sciences

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Die Nichtreduzierbarkeit der klassischen Physik auf quanten<strong>the</strong>oretische<br />

Grundbegriffe<br />

Helmut F<strong>in</strong>k, Erlangen, Deutschl<strong>and</strong><br />

1 Optimistische Meta-Induktion<br />

Die Geschichte der Physik ist e<strong>in</strong>e Geschichte fortschreitender<br />

Vere<strong>in</strong>heitlichung ihrer Grundbegriffe. Dies bedarf<br />

sogleich der Erläuterung: “Grundbegriffe” s<strong>in</strong>d hierbei nicht<br />

unbed<strong>in</strong>gt solche Begriffe, wie sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Aufbau der<br />

Physik nach Pr<strong>in</strong>zipien des methodischen Konstruktivismus<br />

am Anfang zu stehen haben, nämlich vorwissenschaftliche<br />

Beobachtungen, lebensweltliche H<strong>and</strong>lungen<br />

oder elementare Phänomene. Geme<strong>in</strong>t s<strong>in</strong>d vielmehr die<br />

Grundbegriffe “fertiger” Theorien, wie sie sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

nachträglichen rationalen Rekonstruktion zeigen. Idealisierung<br />

und Formalisierung haben zur Folge, dass diese<br />

Grundbegriffe ma<strong>the</strong>matische Begriffe mit physikalischer<br />

Interpretation s<strong>in</strong>d.<br />

Die Vere<strong>in</strong>heitlichung der Physik ist e<strong>in</strong>e<br />

<strong>the</strong>oretische Vere<strong>in</strong>heitlichung. Die Phänomene bleiben<br />

qualitativ verschieden, ihre Beschreibung offenbart jedoch<br />

geme<strong>in</strong>same Strukturen. Je größer der Anwendungsbereich<br />

e<strong>in</strong>er physikalischen Theorie, desto größer die<br />

Reichweite ihrer Grundbegriffe. Prom<strong>in</strong>ente Beispiele<br />

solcher Grundbegriffe s<strong>in</strong>d die Potentiale der<br />

(“phänomenologischen”) Thermodynamik, der Massenpunkt<br />

der klassischen Mechanik, die Felder des<br />

klassischen Elektromagnetismus.<br />

Umfassendere Theorien können speziellere<br />

Theorien etwa als Spezialfall oder Grenzfall enthalten<br />

(Scheibe 1997, 1999). Letztere s<strong>in</strong>d dann auf erstere<br />

“reduziert”, d.h. auf noch fundamentalere Grundbegriffe<br />

zurückgeführt. Dabei kann e<strong>in</strong> “semantischer Rest”<br />

bleiben, d.h. e<strong>in</strong> qualitativer Inhalt der spezielleren<br />

Begriffe, der aus den umfassenderen alle<strong>in</strong>e nicht<br />

ersichtlich wäre. Dieser Rest darf jedoch zur Rahmen<strong>the</strong>orie<br />

nicht <strong>in</strong> Widerspruch geraten. Beispiele für solche<br />

“schwachen” Theoriereduktionen s<strong>in</strong>d die Rückführung der<br />

Wärme auf die Molekularbewegung oder der Lichtausbreitung<br />

auf den Elektromagnetismus.<br />

Künftige Fortschritte können aus der gegenwärtigen<br />

Physik nicht <strong>in</strong>duktiv erschlossen werden. Die ungeheure<br />

Erfolgsgeschichte bisheriger begrifflicher Vere<strong>in</strong>heitlichungen<br />

nährt jedoch die Hoffnung auf e<strong>in</strong>en nächsten<br />

Schritt. Die Vere<strong>in</strong>heitlichung g<strong>in</strong>g bisher immer weiter. Es<br />

ist daher vernünftig anzunehmen, dass sie es auch <strong>in</strong><br />

Zukunft tun wird. Diese Maxime bezeichnen wir als Pr<strong>in</strong>zip<br />

(oder Hypo<strong>the</strong>se) der optimistischen Meta-Induktion. Sie<br />

ersche<strong>in</strong>t zum<strong>in</strong>dest dort gerechtfertigt, wo ke<strong>in</strong>e offensichtlichen<br />

ontologischen Schwierigkeiten lauern: im<br />

Bereich der Theorienreduktion <strong>in</strong>nerhalb der Physik.<br />

Da es nur um Theorien geht, sollte das Verhältnis<br />

zwischen den Gegenständen der Ma<strong>the</strong>matik und den<br />

Gegenständen der Empirie ke<strong>in</strong> H<strong>in</strong>dernis für e<strong>in</strong>zelne<br />

Reduktionen bieten, denn es betrifft alle Theorien gleichermaßen.<br />

Und da es nur um Physik geht, sollte die<br />

Erklärungslücke zwischen materieller Konfiguration und<br />

subjektivem Erleben ke<strong>in</strong> H<strong>in</strong>dernis se<strong>in</strong>, denn die Qualia<br />

aus der Philosophie des Geistes kommen <strong>in</strong> der Physik<br />

gar nicht vor.<br />

Die erfolgreichsten Rahmen<strong>the</strong>orien der modernen<br />

Physik s<strong>in</strong>d die klassische Physik (e<strong>in</strong>schließlich spezieller<br />

und allgeme<strong>in</strong>er Relativitäts<strong>the</strong>orie) und die Quanten-<br />

92<br />

<strong>the</strong>orie (e<strong>in</strong>schließlich Quantenfeld<strong>the</strong>orien). Die klassische<br />

Physik ist sicher nicht universell, wie ihr Scheitern bei<br />

Quantenphänomenen zeigt. Ist die Quanten<strong>the</strong>orie<br />

universell?<br />

2 Hoffen und Bangen des Quanten-<br />

Universalismus<br />

Die elementaren Bauste<strong>in</strong>e der Materie werden <strong>in</strong> quanten<strong>the</strong>oretischen<br />

Begriffen beschrieben. Kernphysik, chemische<br />

B<strong>in</strong>dung, Festkörperphysik, Optik ruhen auf quanten<strong>the</strong>oretischen<br />

Erklärungen. Quantenphänomene können<br />

zunehmend auch auf mesoskopischer und makroskopischer<br />

Skala herbeigeführt werden. Information ersche<strong>in</strong>t<br />

<strong>in</strong> der Sprache der Quanten<strong>in</strong>formations<strong>the</strong>orie <strong>in</strong> neuem<br />

Licht. Empirisch wird die Quanten<strong>the</strong>orie überall bestätigt,<br />

Grenzen ihres Anwendungsbereichs s<strong>in</strong>d nicht <strong>in</strong> Sicht.<br />

Der Formalismus der Quanten<strong>the</strong>orie ist ma<strong>the</strong>matisch,<br />

also abstrakt. Der Bezug des Formalismus auf die<br />

(bzw. e<strong>in</strong>e mögliche) äußere Realität, d.h. die Interpretation<br />

der Quanten<strong>the</strong>orie, ist nicht so offensichtlich wie die<br />

Interpretation der klassischen Theorien. Historisch prägend<br />

war die Kopenhagener Interpretation. Sie betont die<br />

klassische Beschreibung der experimentellen Anordnung,<br />

bestehend aus Präparier- und Registrierapparat. Die<br />

Quanten<strong>the</strong>orie ist <strong>in</strong> dieser Interpretation konzeptionell<br />

nicht selbstständig. Sie sche<strong>in</strong>t nicht auf eigenen Be<strong>in</strong>en<br />

zu stehen, sondern auf klassischen Krücken.<br />

Es war e<strong>in</strong> naheliegendes Unternehmen, die Grenzen<br />

der Quanten<strong>the</strong>orie auszutesten.<br />

Was <strong>in</strong> immer neuen Anwendungsfeldern gelang,<br />

konnte die eigenen Grundlagen auf Dauer nicht aussparen:<br />

e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong> quanten<strong>the</strong>oretische Beschreibung. Die Kopenhagener<br />

Sonderstellung der Apparate erschien zunehmend<br />

willkürlich, als historisches Relikt, bestenfalls von<br />

pragmatischem Nutzen. Die Sonderrolle von “Messprozessen”<br />

erregt Misstrauen, ersche<strong>in</strong>t zunehmend angreifbar,<br />

als <strong>in</strong>terpretatorisches Kuriosum, schlimmstenfalls mit<br />

anthropozentrischer Botschaft.<br />

Die Theorie erlaubt die formale E<strong>in</strong>beziehung der<br />

Apparate, ihre H<strong>in</strong>zunahme als weiteres Quantensystem,<br />

ihre Ankopplung mit Verschränkungseffekt (“Prämessung”),<br />

die Def<strong>in</strong>ition geeigneter Zeigerobservablen und<br />

deren alle<strong>in</strong>ige Betrachtung nach Ende der Messwechselwirkung.<br />

Die Grundidee dieser Quanten<strong>the</strong>orie der Messung<br />

ist alt: Sie geht auf John von Neumann zurück, der<br />

sie als Konsistenztest der Theorie ansah. Zahlreiche formale<br />

und begriffliche Verallgeme<strong>in</strong>erungen wurden sei<strong>the</strong>r<br />

erarbeitet (Busch et al. ²1996), doch die Gesamtbilanz ist<br />

ernüchternd: Messungen haben ke<strong>in</strong>e Ergebnisse, wenn<br />

sie re<strong>in</strong> quanten<strong>the</strong>oretisch beschrieben werden!<br />

Quantenzustände liefern Wahrsche<strong>in</strong>lichkeiten für<br />

die möglichen Messwerte, und das beste, was man erzielen<br />

kann, ist dass der Quantenzust<strong>and</strong> des Messapparats<br />

für die jeweiligen Zeigerstellungen genau dieselben Wahrsche<strong>in</strong>lichkeiten<br />

liefert. Das würde den Schluss von der<br />

Zeigerstellung auf den gemessenen Wert am ursprünglichen<br />

System erlauben — wenn es e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutige Zeiger-

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