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Plenarprotokoll 16/91 - Deutscher Bundestag

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9208 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – <strong>16</strong>. Wahlperiode – <strong>91</strong>. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2007<br />

Gert Winkelmeier<br />

(A) bungshaft als Mittel der Abschreckung in Europa zu Elend leben, oder bei den zig Millionen bereits auf der (C)<br />

stärken.<br />

Flucht befindlichen Menschen herumsprechen, dass, wer<br />

(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Hören Sie<br />

mal zu, Herr Wolff!)<br />

immer deutschen Boden erreicht, auch hier bleiben kann,<br />

würden wir einen – womöglich noch durch professionelle<br />

Schleuserbanden organisierten – Zustrom erzeu-<br />

In den Verhandlungen um die EU-Richtlinie für gemeingen, den wir niemals bewältigen könnten. Dies ist nun<br />

same Normen der Mitgliedstaaten bei Abschiebungen einmal das vielfach traurige und auch unter humanitären<br />

hatte sich gerade der deutsche Berichterstatter als Gesichtspunkten oftmals nur schwer zu bewältigende<br />

Scharfmacher hervorgetan. Er forderte, in der Richtlinie Spannungsfeld, in dem wir uns, ebenso wie die beiden<br />

eine Höchstdauer der Abschiebehaft von einem Jahr Anträge, um die es heute geht, bewegen.<br />

festzuschreiben.<br />

Gerade deswegen war es – wenn ich das an dieser<br />

Meine Damen und Herren, in Berlin traten im Stelle einmal sagen darf – uns Sozialdemokraten wich-<br />

Frühjahr 2003 mehr als 60 Abschiebungshäftlinge in den tig, im Rahmen des jetzt auf uns zukommenden Gesetz-<br />

Hungerstreik. Circa 40 Menschen verletzten sich selbst gebungsverfahrens zur Umsetzung der elf EU-Richtli-<br />

oder versuchten sogar, sich umzubringen. Ein paar Monien eine gesetzliche Bleiberechtsregelung für die<br />

nate später protestierten in Schleswig-Holstein 33 Insas- Menschen mit aufzunehmen, die bereits seit langer Zeit<br />

sen ebenfalls gegen ihre schlechten Haftbedingungen. in Deutschland leben und hier gut integriert sind. Ich<br />

Diese Liste könnte ich beliebig fortsetzen.<br />

füge allerdings hinzu: Weit genug geht diese Bleiberechtsregelung<br />

eigentlich nicht, wenn man dieses Problem<br />

auf Dauer lösen will.<br />

Abschiebehaft schafft Räume der Entrechtung und<br />

der Erniedrigung. Abschiebehaft ist ein derart massiver<br />

Eingriff in die Freiheit und Integrität von Flüchtlingen,<br />

dass sie ersatzlos abgeschafft werden muss.<br />

(Beifall bei der LINKEN)<br />

Rüdiger Veit (SPD):<br />

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!<br />

Wenn wir Menschen zwingen müssen, unser Land gegen<br />

ihren Willen zu verlassen, dann ist das fast immer mit<br />

menschlichen Tragödien verbunden. Das gilt umso<br />

mehr, wenn sie sich schon viele Jahre in Deutschland<br />

aufgehalten haben. Das wühlt viele von uns, die das sehen,<br />

vor allen Dingen dann auf, wenn es dabei um Familien<br />

mit Kindern geht, die in Deutschland aufgewachsen<br />

oder sogar hier geboren sind.<br />

Das beginnt im Übrigen nicht erst dann, wenn die Betreffenden<br />

unter Anwendung unmittelbaren Zwangs ins<br />

Flugzeug gesetzt oder in Abschiebegewahrsam genommen<br />

werden, sondern es beginnt schon mit den vorausgegangenen<br />

Verwaltungsentscheidungen und Gerichtsurteilen,<br />

mit denen ihnen mitgeteilt wird, sie müssten<br />

Deutschland verlassen, obwohl sie vielleicht glaubten,<br />

hier bei uns eine neue Heimat gefunden zu haben; denn<br />

nunmehr erwartet sie ein ungewisses Schicksal oder<br />

vielleicht Gefahr in ihren Herkunftsländern.<br />

Andererseits kann der Staat auf die notfalls zwangsweise<br />

Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung nicht<br />

verzichten. Denn würde sich unter den vielen Hundert<br />

Millionen Menschen in der Welt, die in Armut und<br />

(Beifall des Abg. Hartfrid Wolff [Rems-Murr]<br />

[FDP] und des Abg. Josef Philip Winkler<br />

[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])<br />

Bis dahin ist das Mindeste, was ein demokratischer<br />

Rechtsstaat leisten muss, bestimmte Mindeststandards<br />

einzuhalten und die Haft so kurz wie möglich zu halten.<br />

Es ist trotzdem eine wichtige Perspektive für die Menschen,<br />

deren Zahl ich jetzt gar nicht benennen will, die<br />

davon potenziell betroffen sind, vor allen Dingen die<br />

Kinder und Jugendlichen.<br />

Vielen Dank.<br />

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten<br />

(Beifall bei der LINKEN)<br />

der CDU/CSU)<br />

(B) (D)<br />

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:<br />

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:<br />

Jetzt spricht Rüdiger Veit für die SPD-Fraktion.<br />

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage der<br />

(Beifall des Abg. Sebastian Edathy [SPD])<br />

Kollegin Dağdelen zulassen?<br />

Rüdiger Veit (SPD):<br />

Ja, bitte.<br />

Sevim Dağdelen (DIE LINKE):<br />

Vielen Dank, Herr Kollege. – Sie haben zwar gesagt,<br />

dass Sie hier keine Zahlen nennen wollen; aber Sie haben<br />

doch besonders aufgrund Ihrer Verhandlungen auch<br />

mit Ihrem Koalitionspartner einen Einblick in die Sachlage<br />

gehabt und können sicher eine ungefähre Einschätzung<br />

geben, wie viele Menschen von dieser Regelung<br />

werden profitieren können.<br />

(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Das kann<br />

niemand sagen!)<br />

Rüdiger Veit (SPD):<br />

Der Kreis der potenziell Begünstigten mag, wenn<br />

man jetzt nur an die Fristen von sechs oder acht Jahren<br />

denkt, vielleicht sogar an die 100 000 gehen. Wenn Sie<br />

aber die sonstigen Kriterien, die Bestandteil der gesetzlichen<br />

Bleiberechtsregelungen sind, heranziehen, dann<br />

werden Sie im Ergebnis feststellen müssen, dass sich der<br />

Kreis der potenziell Begünstigten bei – so meine persönliche<br />

Einschätzung – maximal 60 000 bewegen wird,<br />

was im Klartext heißt, es werden weiterhin immer noch

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