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Plenarprotokoll 16/91 - Deutscher Bundestag

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<strong>91</strong>54 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – <strong>16</strong>. Wahlperiode – <strong>91</strong>. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2007<br />

Peter Weiß (Emmendingen)<br />

(A) werden und die in ihrer Patientenverfügung eine Beendi- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP und (C)<br />

gung lebenserhaltender Maßnahmen angeordnet haben.<br />

des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)<br />

Ich glaube, dass für diesen Fall besonders strenge Voraussetzungen<br />

definiert werden müssen, um einer Patientenverfügung<br />

Geltung zu verschaffen. Dazu gehört,<br />

dass der Betroffene selber lebenserhaltende Maßnahmen<br />

für diesen konkreten Fall in einer Patientenverfügung<br />

wirksam ausgeschlossen hat, dass er ohne Bewusstsein<br />

ist und nach ärztlicher Erkenntnis mit an Sicherheit grenzender<br />

Wahrscheinlichkeit trotz Ausschöpfung aller medizinischer<br />

Möglichkeiten das Bewusstsein niemals wiedererlangen<br />

wird und dass das Vormundschaftsgericht<br />

dies überprüft und genehmigt hat. Keinesfalls darf eine<br />

Basisversorgung unterbleiben, und keinesfalls darf ein<br />

nur mutmaßlicher Wille ausschlaggebend sein.<br />

Ich glaube, dass mit diesen hohen Anforderungen der<br />

Pflicht, einen verhältnismäßigen Ausgleich herbeizuführen<br />

zwischen den verfassungsrechtlichen Geboten der<br />

Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen<br />

und der staatlichen Schutzpflicht für das Leben, Genüge<br />

getan werden kann.<br />

Dr. Marlies Volkmer (SPD):<br />

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!<br />

Wenn wir uns mit dem Thema Patientenverfügung befassen,<br />

dann sprechen wir gleichzeitig über unsere innersten<br />

Überzeugungen, über den Umgang mit Leben<br />

und Sterben. Das sieht bei jedem Menschen anders aus.<br />

Jeder Mensch hat ganz eigene Vorstellungen davon, was<br />

für ihn eine unzumutbare Belastung ist oder was er als<br />

würdelos empfindet. Das haben wir zu akzeptieren.<br />

Patienten schreiben Verfügungen, um ihrem Willen<br />

dann Geltung zu verschaffen, wenn sie sich nicht mehr<br />

selbst äußern können. Aber mit der Begründung der notwendigen<br />

Fürsorge werden immer wieder Patientenverfügungen<br />

missachtet, und zwar deswegen, weil die Meinungen<br />

darüber, welche Rechtsqualität und Bindung<br />

eine Patientenverfügung für Ärzte hat, weit auseinandergehen.<br />

Wir brauchen eine gesetzliche Regelung, damit<br />

Rechtssicherheit herrscht.<br />

Wir brauchen in diesem Bereich eine gesetzliche Regelung,<br />

auch wenn es gleichzeitig notwendig ist, die Palliativmedizin<br />

und das Hospizwesen zu stärken und die<br />

Organisationsstrukturen im Krankenhaus und im Pflegeheim<br />

zu ändern.<br />

Die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung kann<br />

nicht davon abhängen, dass das Leiden einen irreversibel<br />

tödlichen Verlauf genommen oder der Patient einen endgültigen<br />

Bewusstseinsverlust erlitten hat. Abgesehen davon,<br />

dass eine solche Einschränkung medizinisch unsinnig<br />

ist, ist sie auch ethisch nicht tragbar. Sie widerspricht<br />

der Selbstbestimmung der Menschen und würde in der<br />

Konsequenz zu Zwangsbehandlungen führen.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP und<br />

des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)<br />

Nun wird in dieser Debatte – und erst recht von au-<br />

Die Zulässigkeit einer Behandlung muss in jedem<br />

Fall – unabhängig vom Krankheitsstadium – vom tatsächlichen<br />

oder mutmaßlichen Willen des Patienten abhängen.<br />

(B)<br />

ßerhalb des Parlaments – geraten, gesetzlich eher nichts<br />

zu regeln. Ich bin aber der Auffassung: Wenn wir für die<br />

Menschen, die uns fragen, was ihre Patientenverfügung<br />

wert ist und was sie wirklich bedeutet, und für diejenigen,<br />

die als Ärzte, Bevollmächtigte, Betreuer oder Pfleger<br />

mit einer Patientenverfügung umgehen, mit einem<br />

Gesetz mehr Klarheit schaffen können, dann sollten wir<br />

vor dieser Aufgabe nicht kneifen, sondern eine entsprechende<br />

gesetzliche Regelung treffen.<br />

Es ist zweifellos richtig, dass eine Patientenverfügung<br />

für eine im Voraus nur schwer vorhersehbare Situation<br />

getroffen wird. Deshalb ist es meiner Meinung nach<br />

wichtig, die verbindliche Patientenverfügung, die Arzt<br />

und Vorsorgebevollmächtigten bzw. Betreuer bindet<br />

– diese müssen die Verfügung ja umsetzen –, an bestimmte<br />

Voraussetzungen zu knüpfen, nämlich die dokumentierte<br />

ärztliche Beratung und die Aktualisierung. (D)<br />

Vielen Dank.<br />

Ich möchte das kurz begründen. Es ist notwendig, den<br />

Dialog über die Behandlung, der ja mit dem äußerungs-<br />

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und<br />

der SPD)<br />

unfähigen Patienten nicht mehr geführt werden kann,<br />

vor Abfassung der Patientenverfügung mit dem Arzt des<br />

Vertrauens zu führen. Es geht darum, möglichst genau zu<br />

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:<br />

beschreiben, welche Maßnahmen in welcher Situation<br />

durchgeführt oder unterlassen werden sollen. Das kann<br />

Nun hat die Kollegin Dr. Marlies Volkmer von der ein Patient in der Regel nicht allein. Er braucht hierzu<br />

SPD-Fraktion das Wort.<br />

eine professionelle Beratung. Eine Patientenverfügung<br />

ist ein Dokument, bei dem es letztlich um Leben und<br />

Tod geht. Auch darüber muss sich der Patient im Klaren<br />

sein.<br />

Eine Aktualisierung der Patientenverfügung – zum<br />

Beispiel alle fünf Jahre – ist erforderlich, weil sich die<br />

Medizin schnell weiterentwickelt und schon nach fünf<br />

Jahren im Lichte neuer Behandlungsmethoden oder Erkenntnisse<br />

möglicherweise durch den Patienten eine andere<br />

Entscheidung getroffen wird.<br />

Patientenverfügungen, die diese Voraussetzungen nicht<br />

erfüllen, sind unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung<br />

als starkes Indiz für den Patientenwillen zu beachten<br />

und natürlich zu befolgen. Aber hier erfolgt die<br />

Umsetzung eben nicht unmittelbar durch den Vorsorgebevollmächtigten<br />

oder den Betreuer. Hier muss dann der gesetzliche<br />

Vertreter – natürlich immer in enger Beratung<br />

mit dem Behandlungsteam – über das weitere Vorgehen<br />

nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten entscheiden.

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