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Plenarprotokoll 16/91 - Deutscher Bundestag

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<strong>91</strong>40 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – <strong>16</strong>. Wahlperiode – <strong>91</strong>. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2007<br />

Jerzy Montag<br />

(A) ohne Zwang verfasst wurde, nicht irrtümlich oder unter dergestalt, dass die Patientenverfügung, der geäu- (C)<br />

Täuschung entstanden ist und nichts Gesetzwidriges verßerte Patientenwille, absoluten Vorrang hat. Denn<br />

langt.<br />

nur der Patient ist es, der über sein Leben, aber auch<br />

über die Art und Weise seines Todes – seines Weggehens<br />

aus diesem Leben – zu entscheiden hat. Niemand<br />

sonst hat darüber zu entscheiden, denn es ist<br />

das Leben des Patienten. Der Patient hat zwar ein<br />

Lebensrecht, aber er hat keine Lebenspflicht.<br />

Weitere Begrenzungen darüber hinaus – insbesondere<br />

in der Reichweite – halte ich nicht für richtig. Denn<br />

wer verlangt, dass sie nur in Kenntnis der möglichen medizinischen<br />

Behandlungen und zukünftiger medizinischer<br />

Entwicklungen wirksam sein soll, der macht praktisch<br />

alle Patientenverfügungen wertlos.<br />

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN<br />

sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP<br />

und der LINKEN)<br />

Auch ihre Begrenzung auf Leiden, die einen unumkehrbar<br />

tödlichen Verlauf genommen haben, und auf Bewusstlose,<br />

die ihr Bewusstsein mit Sicherheit niemals<br />

wiedererlangen werden, verbietet den Menschen, gerade<br />

das zu regeln, was sie für ihr Lebensende verbindlich regeln<br />

wollen. Dahinter stehen verständliche Ängste und<br />

Befürchtungen. Sie werden aber mit diesen Begrenzungen<br />

auf falsche Weise gelöst und bringen letztlich nicht<br />

weniger, sondern mehr Leid und mehr Fremdbestimmung.<br />

Darf der Staat lebenserhaltend gegen das Selbstbestimmungsrecht<br />

angehen und es in fremdbestimmte Schranken<br />

weisen? – Ich meine, nein.<br />

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/<br />

DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)<br />

Ich will mit einem Zitat der Vorsitzenden Richterin<br />

des XII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, Frau<br />

Dr. Hahne, enden. Sie hat die grundlegende Entscheidung<br />

getroffen, nach der Patientenverfügungen überhaupt<br />

Verbindlichkeit genießen. Ich zitiere:<br />

Wünschenswert wäre eine gesetzgeberische Stärkung<br />

des Selbstbestimmungsrechts des Patienten<br />

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-<br />

SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD –<br />

Joachim Stünker [SPD]: Sehr gut!)<br />

Ich wünsche mir, meine Damen und Herren, dass wir<br />

diese Worte beherzigen und danach ein bestmögliches<br />

Gesetz zustande bringen.<br />

Danke.<br />

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,<br />

bei der SPD, der FDP und der LINKEN)<br />

Präsident Dr. Norbert Lammert:<br />

Das Wort erhält nun der Kollege René Röspel von der<br />

SPD-Fraktion.<br />

(B)<br />

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN<br />

sowie bei Abgeordneten der SPD)<br />

Zwei Grundsatzfragen müssen wir beantworten.<br />

Erstens. Kann und darf man seinen Willen für die Zukunft<br />

binden? Darf der geäußerte und eindeutige Wille<br />

des Patienten von Ärzten, Betreuern oder Gerichten in<br />

Zweifel gezogen werden? Ich meine, nein. Es kann nicht<br />

darum gehen, zu beweisen, dass der geäußerte Wille<br />

weiter gilt – das ist nie möglich –; vielmehr tragen diejenigen,<br />

die ihn anzweifeln, die Beweislast, dass er sich<br />

wirklich geändert hat.<br />

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN<br />

sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-<br />

KEN)<br />

René Röspel (SPD):<br />

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und<br />

Herren! Als ich mich vor vier Jahren zum ersten Mal mit<br />

dem Thema Patientenverfügung befasste, war mir ziemlich<br />

schnell klar, welche Meinung ich dazu habe: Na<br />

klar, ich will selbst entscheiden, wie ich einmal sterben<br />

werde. Wer sonst soll denn das Recht dazu haben, über<br />

mich und meinen Tod zu entscheiden?<br />

Ich habe mich intensiver mit diesem Thema befasst,<br />

Gespräche darüber geführt und irgendwann Menschen<br />

kennengelernt, die froh waren, dass ihre Patientenverfügung<br />

nicht umgesetzt worden ist. Der Motorradfahrer,<br />

der als 18-Jähriger ein Leben im Rollstuhl für unerträglich<br />

gehalten hat und nun nach einem Unfall im Koma<br />

(D)<br />

Zweitens stellt sich die Frage nach unserem Selbstbestimmungsrecht,<br />

also unserem Recht, selbst zu bestimmen,<br />

wie wir leben wollen oder es nicht mehr wollen.<br />

Dabei hat der Staat die Pflicht, Leben zu schützen und zu<br />

erhalten. Steht in Fragen, die Menschen in einer Patientenverfügung<br />

verbindlich regeln wollten, die Pflicht des<br />

Staates gegen das Recht der Menschen?<br />

(Joachim Stünker [SPD]: Nein!)<br />

lag – wir wissen nicht, was er selbst entschieden hätte.<br />

Hätte er den Tod herbeigesehnt oder nach dem Leben geschrien?<br />

Dritte haben für ihn entschieden. Die Ärzte haben<br />

sich entschieden, weiterzumachen. Heute lebt er im<br />

Rollstuhl. Er führt ein anderes Leben, als er es sich als<br />

18-Jähriger vorgestellt hat, aber er hat eine Perspektive.<br />

Und er freut sich, wenn ihn seine Kinder besuchen. Es<br />

gibt übrigens genug andere gute Gegenbeispiele, das ist<br />

keine Frage.<br />

Aber alle diese Erfahrungen haben in mir Zweifel<br />

wachsen lassen: Können wir wirklich die Entscheidung<br />

eines Gesunden, der sich nicht in einer Krankheitssituation<br />

befindet, mit der Entscheidung gleichsetzen, die er<br />

in einer Situation als Kranker treffen würde? Folgenlos<br />

bleibt übrigens ein Irrtum in einer solchen Entscheidung<br />

immer nur dann, wenn es sich um eine tödlich verlaufende<br />

Krankheit handelt. Deswegen, glaube ich, ist eine<br />

Reichweitenbegrenzung möglich und auch notwendig.<br />

Warum wird in letzter Zeit so viel über Patientenverfügungen<br />

gesprochen? Viele Menschen haben Angst davor,<br />

einen einsamen Tod zu sterben. Viele Menschen haben<br />

Angst davor, einen schmerzhaften Tod zu sterben.

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