Plenarprotokoll 16/91 - Deutscher Bundestag
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9306 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – <strong>16</strong>. Wahlperiode – <strong>91</strong>. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2007<br />
(A) Damit ist der deutsche Außenminister nach seiner Die Länder Zentralasiens gewinnen auch für die (C)<br />
Reise von Ende Oktober/Anfang November des letzten Energiesicherheit Deutschlands und der EU immer mehr<br />
Jahres innerhalb kurzer Zeit zum zweiten Male in dieser an Bedeutung. Im kaspischen Raum und in Zentralasien<br />
Region. Allein dies ist eine begrüßenswerte Akzentuie- sind etwa 4 Prozent aller Weltenergiereserven nachgerung<br />
der deutschen Außenpolitik.<br />
wiesen. Im Sinne einer notwendigen Diversifizierung<br />
unserer Energieversorgung erhalten diese Vorkommen<br />
eine wachsende strategische Bedeutung. Die EU will<br />
neue Energiequellen für sich erschließen, während die<br />
zentralasiatischen Staaten nach neuen Exportwegen außerhalb<br />
Russlands suchen.<br />
Zentralasien – das klingt für viele noch nach Seidenstraße,<br />
orientalischer Prachtentfaltung und gleichzeitig<br />
nach Rückständigkeit. Bei Zentralasien, bestehend aus<br />
Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan<br />
und Usbekistan, handelt es sich um ein Gebiet so groß<br />
wie Europa, in dem aber lediglich 60 Millionen Menschen<br />
leben.<br />
Das deutsche und das europäische Engagement in<br />
Zentralasien mögen für die Mehrheit der Deutschen<br />
nicht sofort einleuchtend sein. Denn Zentralasien liegt<br />
nicht im Blickpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit<br />
und produziert kaum aufregende Schlagzeilen. Dabei haben<br />
die Staaten Zentralasiens ab 2001 ihren Luftraum für<br />
die Einheiten der Antiterrorkoalition geöffnet, und Usbekistan<br />
und Kirgisistan ermöglichen die Nutzung ihres<br />
Luftwaffenraums im Kampf gegen den Talibanterror in<br />
Afghanistan.<br />
Dritens: Die Region ist wichtig, weil reich an Rohstoffen,<br />
vor allem reich an Energiequellen.<br />
Es geht also um eine geopolitische und um eine energiepolitische<br />
Bedeutung Zentralasiens. Sicherheit und<br />
Stabilität in Zentralasien sind sowohl für jedes der fünf<br />
Länder wichtig als auch für uns Europäer. Denn die Region<br />
grenzt an die Kaukasusregion und damit ans<br />
Schwarze Meer. Mit Rumänien, Bulgarien und Griechenland<br />
ist die EU über das Schwarze Meer und die<br />
Kaukasusregion quasi Nachbar Zentralasiens. Die Länder<br />
Zentralasiens werden leider als Transitstrecke für<br />
Drogen, organisierte Kriminalität und internationalen<br />
Terrorismus aus Afghanistan auf dem Weg nach Mitteleuropa<br />
genutzt. Ohne Stabilität in Zentralasien wird eine<br />
Befriedung Afghanistans, dessen nördlicher Teil Zentralasien<br />
zuzurechen ist, nicht gelingen.<br />
Um die Gas- und Ölvorkommen in Kasachstan, Turkmenistan<br />
und Usbekistan ist aber auch ein regelrechter<br />
Wettlauf von Russland, China, den USA und Großbritannien<br />
zu beobachten. Da kommt Deutschland spät,<br />
wenn nicht zu spät. Das mag daran liegen, dass wir in<br />
Deutschland kein namhaftes, weltweit operierendes<br />
Energieunternehmen haben, aber auch daran, dass diese<br />
Region jahrelang im Wahrnehmungsschatten einer stark<br />
russland- und chinaorientierten deutschen Außenpolitik<br />
lag.<br />
Aber schon die Meldungen über den Umsturz in Kirgisistan<br />
im März 2005, über die Revolte in Andischan in<br />
Usbekistan im Mai 2005 oder der überraschende Tod des<br />
turkmenischen Diktators Saparmurat Nijasow am<br />
21. Dezember letzten Jahres fanden kaum öffentliche<br />
Aufmerksamkeit.<br />
Wie dem auch sei – Russland benötigt seinerseits zentralasiatisches<br />
Gas für seine Lieferverpflichtungen und<br />
den immensen Eigenverbrauch; China hat die ersten<br />
langfristigen Abkommen und Zukäufe getätigt. Und:<br />
Russland und China stehen außerdem jederzeit für eine<br />
Vertiefung der nachbarschaftlichen Beziehungen bereit,<br />
ohne dazu aus Sicht der jeweiligen Staatsführungen lästige<br />
Forderungen nach Einhaltung der Menschenrechte<br />
und mehr Demokratie zu stellen.<br />
(B)<br />
Und doch hat die Europäische Union Deutschland beauftragt,<br />
eine Strategie für Zentralasien auszuarbeiten.<br />
Angela Merkel sagte nach dem EU-Gipfel vom Dezem-<br />
Was muss eine EU-Zentralasienstrategie neben dem<br />
Aspekt der Energieversorgung beinhalten?<br />
(D)<br />
ber 2006, es liege im Interesse der Union, sich um diese Übergeordnetes Ziel ist die Förderung von Sicherheit<br />
Weltgegend zu kümmern und sie nicht Russland oder und Stabilität in der Region. Dies kann nur schrittweise<br />
China zu überlassen.<br />
über Rechtsstaatlichkeit, Förderung demokratischer und<br />
Es gibt mindestens drei gute Gründe dafür:<br />
pluraler Strukturen sowie die Gewährleistung der Menschenrechte<br />
erreicht werden. Weiterhin werden europäi-<br />
Erstens: Zentralasien befindet sich nördlich des aus<br />
Pakistan, Afghanistan und dem Iran bestehenden Krisengebietes,<br />
unternimmt aber Anstrengungen, nicht in die<br />
Konflikte und Krisen hineingezogen zu werden.<br />
sches Wissen und Investitionen für die wirtschaftliche<br />
Entwicklung und die Armutsbekämpfung benötigt sowie<br />
für Jugend und Bildung, Energie und Umwelt. Bei Ausbildung<br />
und Studium wäre es wünschenswert, könnten<br />
europäische Hochschulen und Universitäten stärker für<br />
Zweitens: Die Region muss sich vor Fundamentalis- Studenten aus Zentralasien geöffnet werden. Mit Sorge<br />
ten schützen.<br />
ist zu beobachten, dass islamische Länder Studenten aus<br />
Zentralasien auch mittels Stipendien einladen und dann<br />
eine fundamentalistische Ausbildung offerieren.<br />
Es ist sehr zu begrüßen, dass die EU bis 2013 etwa<br />
750 Millionen Euro an Projektmitteln zur Verfügung<br />
stellen will. Schwerpunkte der neuen Konzepte sind Armutsbekämpfung,<br />
Straßenbau – auch Ansätze einer<br />
neuen Seidenstraße –, neue Öl- und Gasleitungen, die<br />
Ausbildung von Sicherheitskräften sowie die Eindämmung<br />
des Drogentransits nach Europa. Wichtig sind<br />
auch die Verbesserung der Umweltsituation und die Bekämpfung<br />
der Wasserknappheit.<br />
Der heute zur Debatte stehende Antrag von<br />
Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Die EU-Zentralasienstrategie<br />
mit Leben füllen“ nimmt sehr ausführlich<br />
auf die Problemlage Bezug und erwartet, dass die<br />
EU in den vorgenannten Politikfeldern tätig wird. Dies