Plenarprotokoll 16/91 - Deutscher Bundestag
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<strong>91</strong>46 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – <strong>16</strong>. Wahlperiode – <strong>91</strong>. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2007<br />
Dr. Herta Däubler-Gmelin<br />
(A) Jetzt stellt sich aber die Frage, liebe Kolleginnen und Ich bin der Auffassung: Wenn ein Gesetz, dann ist seine (C)<br />
Kollegen: Brauchen wir eigentlich eine neue gesetzliche Idee eines Gesetzes richtiger; es vermeidet große Fehler.<br />
Regelung? Ich bin der Auffassung: Wir brauchen sie eigentlich<br />
nicht. Wir brauchen sie zwar – da hat Herr<br />
Zöller Recht –, weil die technische Veränderung hin-<br />
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der<br />
CDU/CSU)<br />
sichtlich der gerichtlichen Zuständigkeit erforderlich ist. Ich will Ihnen als Letztes sagen, welche Sorge ich<br />
Aber ich neige sehr stark dazu, dem zu folgen, was die habe, wenn wir ein Gesetz machen, das falsche Gleich-<br />
Ärzte dazu sagen oder was ich als Schirmherrin der Hossetzungen automatisiert. Sorge Nummer eins ist, dass die<br />
pizbewegung höre, weil die neuen gesetzlichen Regelun- praktischen Probleme nicht gelöst werden und die Mengen<br />
die Probleme, die es heute in der Praxis aufgrund der schen Steine statt Brot haben. Davor sollten wir uns hü-<br />
Unsicherheit gibt, möglicherweise gar nicht lösen könten, gerade im Hinblick auf Informationskampagnen und<br />
nen und weil wir durch eine gesetzliche Regelung mögli- Handreichungen in der Öffentlichkeit. Die zweite Sorge<br />
cherweise nur die Illusion verstärken würden, die prakti- angesichts eines Automatismus bei einer falschen<br />
schen Probleme würden gelöst.<br />
Gleichsetzung bezieht sich nicht auf aktuellen Miss-<br />
(Beifall der Abg. Monika Knoche [DIE<br />
LINKE])<br />
brauch oder gar auf den bösen Willen des einen oder anderen<br />
Kollegen hier bzw. der Ärzteschaft oder der Pfleger,<br />
sondern darauf, dass die Auswirkung eines solchen<br />
Vor dieser Illusion sollten wir uns hüten. Deswegen Gesetzes sein kann, dass in Zweifelsfällen eben nicht für<br />
lassen Sie mich sozusagen – wir Juristen sagen immer: – das Leben entschieden wird, sondern in der Richtung,<br />
höchst vorsorglich Folgendes fragen: Was müssen wir dass Alte, Schwerstkranke, Leidende oder Sterbende<br />
denn eigentlich bedenken, wenn wir ein Gesetz machen? nicht optimal betreut und versorgt werden.<br />
Wenn wir ein Gesetz machen, müssen wir bedenken,<br />
dass eine schriftliche Patientenverfügung im eintretenden<br />
Fall durchaus von dem aktuellen Willen abweichen<br />
kann, der immer vorgehen muss; denn die Patientenverfügung<br />
rechtfertigt sich nur dadurch, dass sie den Willen<br />
Das ist meine Sorge. Deshalb ist die Tatsache, dass<br />
wir uns, wenn wir denn ein Gesetz machen, mit einer<br />
Gesetzesformulierung unglaublich viel Mühe geben, gerechtfertigt.<br />
des Betroffenen zum Zeitpunkt der Entscheidung deut- Herzlichen Dank.<br />
lich machen soll.<br />
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/<br />
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)<br />
CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜND-<br />
Das bedeutet – das hätte ich jetzt gern dem Kollegen<br />
NISSES 90/DIE GRÜNEN)<br />
(B)<br />
Scholz gesagt, wenn er noch da wäre –, dass es keine gesetzgeberische<br />
Arroganz ist, wenn wir feststellen, dass<br />
wir diese Unterschiede berücksichtigen müssen. Es ist<br />
eine Lehre aus der Erfahrung von Ärzten oder, wie wir<br />
gerade vom Kollegen Winkler gehört haben, von Sterbe-<br />
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:<br />
Nächster Redner ist der Kollege Thomas Rachel,<br />
CDU/CSU-Fraktion.<br />
(D)<br />
begleitern – das begegnet auch mir ständig –, dass wir Thomas Rachel (CDU/CSU):<br />
prüfen müssen, und zwar in jedem Fall, ob eine Kongru- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Alten<br />
enz, eine Übereinstimmung, besteht.<br />
Testament, der hebräischen Bibel, dem gemeinsamen<br />
Diese Prüfung und Bewertung in jedem Fall – das<br />
bitte ich zu bedenken, lieber Kollege Stünker – liegt im-<br />
Buch von Juden und Christen, steht beim Prediger<br />
Salomo, bei Kohelet:<br />
mer in der Hand eines Dritten: der Angehörigen, der Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine<br />
Ärzte, der Betreuer. Deswegen ist Kommunikation not- Zeit.<br />
wendig, und deswegen darf man nicht die Illusion verbreiten,<br />
die Patientenverfügung könne dieses Problem<br />
lösen; denn das kann sie nicht.<br />
Für uns Christen liegen Leben und Sterben in Gottes<br />
Hand. Wir wissen und spüren, dass im Versuch einer gesetzlichen<br />
Regelung immer auch ein Stück Hilflosigkeit<br />
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ liegt. Denn ein Mensch ist letztlich immer hilflos, wenn<br />
CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- es um seinen Tod geht. In der letzten Lebensphase haben<br />
NEN)<br />
unsere Wünsche ein besonderes Gewicht. In diesem Mo-<br />
Jetzt stellt sich die Frage: Wie wirkt ein Gesetz, das das<br />
nicht berücksichtigt? Deswegen bitte ich, noch einmal zu<br />
überdenken, wie sich Ihre Formulierung auswirkt. Eine<br />
klare – sozusagen automatisch geltende – Gleichstellung<br />
dessen, was in einer Patientenverfügung niedergeschriement<br />
wird die Patientenverfügung wichtig. Sie dient der<br />
Achtung der Menschenwürde, indem sie ein Instrument<br />
bereitstellt, mit dem wir unsere Selbstbestimmung auch<br />
dann zur Geltung bringen können, wenn wir zu einer bewussten<br />
Willensäußerung nicht mehr in der Lage sind.<br />
ben worden ist, mit dem aktuellen Willen ist annähe- Die Wertschätzung der Patientenverfügung wird auch<br />
rungsweise am ehesten in den Fällen möglich, die Herr dadurch deutlich, dass die beiden Kirchen seit über sie-<br />
Bosbach und Herr Röspel so definiert haben, dass die ben Jahren ein eigenes Patientenverfügungsformular mit<br />
Krankheit einen irreversibel tödlichen Verlauf nimmt. einer Handreichung anbieten und davon bereits mehr als<br />
Dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Wille de- 1,5 Millionen Exemplare abgegeben haben. Patienten,<br />
ckungsgleich ist, am größten. Dann kann Sterbenlassen Angehörige, Ärzte und Betreuer sind verunsichert. Sie<br />
unter der Formulierung auf jeden Fall so gesehen werden. brauchen aber mehr Rechtssicherheit bei den Entschei-